Justizministerin über Gleichberechtigung: „Frauen müssen viel zu oft zurückstecken“
Stefanie Hubig (SPD) will lesbische Mütter gleichstellen und das Sexualstraftrecht verschärfen. Der Fall Pelicot beschäftigt sie noch immer.
taz: Frau Hubig, aus Ihrem Ministerium kamen in dieser Legislatur bisher deutlich mehr Initiativen zur Geschlechterpolitik als aus dem Frauenministerium. Sind Sie die bessere Frauenministerin?
Stefanie Hubig: Ich schätze die Kollegin Karin Prien seit vielen Jahren sehr und sehe uns nicht in einem Wettbewerb. Mir ist ausgesprochen wichtig, dass wir gut zusammenarbeiten und gemeinsam viel erreichen. Gerade Frauenpolitik ist mir wirklich ein Anliegen, und ich will da in dieser Legislatur einiges bewirken.
taz: Rührt der Stellenwert des Themas auch aus Ihrer Zeit als Richterin und Staatsanwältin?
Hubig: Ich habe damals viele Sexualstraftaten verhandelt, die meisten zum Nachteil von Frauen. Die Vulnerabilität von Mädchen und Frauen und die strukturelle Ungleichheit zwischen den Geschlechtern war da deutlich zu erfahren. Seitdem ist es mir auch in der beruflichen Zusammenarbeit enorm wichtig, Frauen zu fördern. Auch mit meiner langjährigen Chefin, Ministerpräsidentin Malu Dreyer, hatte ich da ein Vorbild. Sie hat immer klar gemacht, dass sie Feministin ist.
Jahrgang 1968, war Richterin und Staatsanwältin, und von 2016 bis 2025 Bildungsministerin in Rheinland-Pfalz. Seit Mai ist sie Bundesministerin für Justiz und Verbraucherschutz.
taz: Sind Sie selbst Feministin?
Hubig: Ich würde sagen, ja. Frauen müssen viel zu oft zurückstecken oder werden in vielen Bereichen noch nicht gleichermaßen gefördert. Das ist eine Frage von Gerechtigkeit. Ich bin auch deshalb in der Politik, um das zu ändern. Aber neben der Ungleichbehandlung sind Frauen auch viel zu oft Opfer von Gewalt. Vor zwei Wochen war ich hier in Berlin in einem Frauenhaus. Dort suchen Frauen Zuflucht, die von ihren Partnern verletzt, geschlagen, bedroht, misshandelt werden. Es ist zutiefst bedrückend, wie viele Frauen in unserem Land solche Gewalterfahrungen machen.
taz: In Fällen häuslicher Gewalt haben Sie für Täter die elektronische Fußfessel auf den Weg gebracht. Gerade prüft Ihr Haus, inwiefern verbale sexuelle Belästigung unter Strafe gestellt werden kann. Warum ist das wichtig?
Hubig: Frauen müssen sich frei im öffentlichen Raum bewegen können, ohne aufs Vulgärste angesprochen und zum Objekt gemacht zu werden. Auch das ist eine Frage von Gleichberechtigung. Der Staat muss hier Grenzen ziehen.
taz: An einem Gesetzentwurf, der 2024 im Bundesrat vorgestellt wurde, kritisierte Bayern, damit würden nahezu sämtliche Verhaltensweisen mit sexuellem Bezug strafbar sein. Wo wollen Sie die Grenze ziehen – ist „tolle Figur“ noch zulässig?
Hubig: Natürlich! Bei der verbalen sexuellen Belästigung geht es nicht um peinliche oder missglückte Komplimente, sondern um Machtausübung – Bedrohungen und Einschüchterungen, die in sexualisierter Sprache verkleidet sind.
taz: Ein Beispiel aus der aktuellen Politik: Was ist mit: „Grab them by the pussy“?
Hubig: So ein Satz kann sogar mehr sein als eine verbale sexuelle Belästigung. Darin kann man, je nach Kontext, auch eine Aufforderung zu körperlichen Übergriffen sehen. Wohlgemerkt: Das hängt, wie immer im Strafrecht, sehr von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab.
taz: Die Union lehnt Ihre Ideen zum Thema als „Symbolgesetzgebung“ ab.
Hubig: Strafrecht hat immer auch eine symbolische Dimension. Das weiß die Union, und sie weiß das auch zu nutzen. Gerade von jungen Frauen – aber auch von vielen anderen – erfahre ich für meinen Vorschlag viel Rückenwind, durchaus auch von Seiten der CDU/CSU.
taz: Haben Sie Karin Prien auf Ihrer Seite?
Hubig: Wir haben darüber noch nicht gesprochen.
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taz: Sie haben als Staatssekretärin unter Heiko Maas „Nein heißt Nein“ mitverhandelt. Ist es an der Zeit, dass „Ja heißt Ja“ kommt, also sexuelle Handlungen nur mit ausdrücklicher Zustimmung möglich sind?
Hubig: Die Einführung von „Nein heißt Nein“ war damals ein Paradigmenwechsel. Persönlich bin ich bei Jugendlichen wegen ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit für ein „Ja heißt Ja“. Alles weitere ist zu diskutieren.
taz: Vergangenes Jahr hat Deutschland noch verhindert, dass „Ja heißt Ja“ auf europäischer Ebene in den Gewaltschutz kommt. Was hat sich geändert?
Hubig: Auf jeden Fall die Hausleitung.
taz: Jetzt würde Deutschland mit Ja stimmen?
Hubig: Es gab schon auch Gründe, die dagegen gesprochen haben. Es war ja umstritten, ob die EU überhaupt die Kompetenz hat, solche Regeln zu treffen.
taz: „Wer seine Partnerin schlägt, muss damit rechnen, dass er sein Kind nicht mehr sehen darf“, sagten Sie. Wie weit sind die Pläne, den Stellenwert häuslicher Gewalt im Sorge- und Umgangsrecht zu ändern?
Hubig: Das Vorhaben hat für mich hohe Priorität. Es ist an der Zeit, dass wir den Schutz vor Gewalt noch stärker im Sorge- und Umgangsrecht verankern. Mein Haus arbeitet mit Hochdruck an dem entsprechenden Gesetzentwurf. Wir gehen davon aus, dass wir ihn in den nächsten Monaten ins Verfahren geben können.
taz: Soll es verpflichtende Fortbildungen für Richterinnen und Richter geben?
Hubig: Fortbildungen können einen riesigen Unterschied machen, gerade wenn es um Gewaltschutz und den sensiblen Umgang mit Betroffenen geht. Ich will gemeinsam mit den Ländern besprechen, wie wir da Verbesserungen erreichen können. Es braucht auch ein Signal: Der Staat steht auf der Seite gewaltbetroffener Frauen. Wenn sie geschlagen oder vergewaltigt wurden, sind nicht sie schuld daran. Und: Sie können sich gegen Gewalt wehren. In Frankreich hat Gisèle Pelicot eine enorm mutige Entscheidung getroffen, sich aktiv in den Prozess einzubringen. Ihr Satz hat vielen Frauen die Augen geöffnet: „Die Scham muss die Seite wechseln.“ Dieser Satz begleitet mich seitdem.
taz: Sie wollen auch das Familienrecht ändern und können sich vorstellen, die doppelte Mutterschaft für lesbische Paare einzuführen. Arbeiten Sie da schon an einem Gesetzentwurf?
Hubig: Da braucht es dringend eine gesetzliche Regelung. Es ist für die betroffenen Familien kaum zumutbar, dass sie ein langwieriges Adoptionsverfahren durchlaufen müssen, bevor beide Frauen rechtliche Eltern des Kindes sind. Was ist zum Beispiel, wenn die biologische Mutter vor Abschluss des Verfahrens stirbt? Das Kind hat dann keine Sicherheit, dass die zweite Mutter rechtlich elterliche Verantwortung trägt. Das Jugendamt müsste das Kind in Obhut nehmen und einen Vormund bestellen. Das sind große Belastungen. Mein Haus arbeitet derzeit an Regelungsvorschlägen. Aber wir sind in einer Koalition. Da gehört auch gegenseitige Rücksichtnahme dazu.
taz: Auf die Befindlichkeiten der Union?
Hubig: Darauf, dass es in einer Koalition immer Kompromisse geben muss.
taz: Der Kanzler selbst hat gesagt, dass er sich die Gleichstellung lesbischer Mütter vorstellen kann. Muss man ihn da nicht beim Wort nehmen?
Hubig: Ich bin da gar nicht zögerlich. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass es gut ist, mit Menschen zu sprechen und sie mitzunehmen. Überstülpen funktioniert in der Regel nicht, das gilt auch in einer Koalition.
taz: Wie wollen Sie die SkeptikerInnen überzeugen, die um die Rechte des biologischen Vaters fürchten?
Hubig: Im Fall von Samenbanken spielt das keine Rolle, weil der genetische Vater in diesen Fällen gar nicht rechtlicher Vater des Kindes werden kann. Bei sogenannten Becherspenden im privaten Umfeld ist das etwas anderes. Da kommt es auch auf die konkrete Konstellation an. All das sind schwierige Fragen, über die wir uns vertieft Gedanken machen müssen. Das machen wir. Oft ist die Realität da schon weiter als das Familienrecht.
taz: Beim Bundesverfassungsgericht liegen sechs Fälle lesbischer Mütter.
Hubig: Ja. Ich würde mir aber wünschen, dass wir für sinnvolle Reformen des Familienrechts nicht erst warten, bis das Bundesverfassungsgericht uns dazu eine Aufforderung schickt.
taz: Haben Sie Sorge, dass eine Debatte zum Thema in Richtung eines Kulturkampfs gehen könnte?
Hubig: Wir leben in einer Zeit, in der gerne Kulturkämpfe angezettelt werden. Aber davon dürfen wir uns nicht beirren lassen. Es geht hier ganz konkret um den Abbau von Benachteiligungen.
taz: Ein Kulturkampfthema war auch die Wahl der RichterInnen zum Bundesverfassungsgericht. Sie haben die Art und Weise kritisiert, wie mit Frauke Brosius-Gersdorf umgegangen wurde. Muss der Modus der Wahl reformiert werden?
Hubig: Ich halte es für höchst problematisch, wie das gelaufen ist. Das darf sich nicht wiederholen. Aber nicht das Wahlverfahren ist das Problem. Es sind die Populisten, vor allem aus rechten Kreisen, die den Eindruck erwecken, als würden Richterinnen und Richter nicht wegen ihrer Fachkompetenz eingesetzt. Es wurde einfach behauptet, die Kandidatin sei eine politische Aktivistin. Diese Kräfte versuchen, den Rechtsstaat und seine Institutionen verächtlich zu machen. Ein anderes Wahlverfahren würde daran im Kern nichts ändern.
taz: Trotzdem: Lässt sich jemals wieder eine Kandidatin aufstellen, die sich mit Schwangerschaftsabbrüchen beschäftigt hat?
Hubig: Im Moment stellt sich die Frage nicht.
taz: Sie wird sich wieder stellen.
Hubig: Fest steht: Wir hätten ein ernstes Problem, wenn wir nur noch Juristinnen und Juristen nach Karlsruhe schicken könnten, die ausschließlich zu unkontroversen Themen öffentlich Stellung genommen haben. Unsere Verfassungskultur lebt vom offenen Austausch.
taz: Haben die Vorgänge rund um die Kandidatur von Frauke Brosius-Gersdorf die Bereitschaft, sich in öffentliche Ämter wählen zu lassen, generell beschädigt?
Hubig: Ich sehe das mit Sorge. Wenn öffentliche Anfeindungen dazu führen, dass Menschen sagen, das tue ich mir nicht an, haben wir ein gesamtgesellschaftliches Problem. Gerade die Zahl weiblicher Kandidatinnen für öffentliche Ämter geht zurück. Dagegen müssen und werden wir etwas tun.
taz: Was konkret?
Hubig: Wir sind dabei, das Strafrecht nachzuschärfen. Menschen, die für das Gemeinwohl Verantwortung übernehmen, sollen besser geschützt werden. Wir müssen aber auch als Gesellschaft die Debatte führen, wie wir mit denen umgehen, die sich für den Staat und das Gemeinwesen einsetzen. Bei aller berechtigten Kritik: Ich plädiere für mehr Respekt.
taz: Mit Respekt hat die SPD auch das Bürgergeld begründet. Nun schafft sie es wieder ab. Ist die vollständige Streichung von Geld und Miete für Menschen, die eine Arbeit oder wiederholt Termine ablehnen, verfassungsgemäß?
Hubig: Bärbel Bas als verantwortliche Ministerin hat das natürlich im Blick. Auch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wird den Gesetzentwurf auf Verfassungsmäßigkeit prüfen, sobald er uns vorliegt. Das ist unsere Aufgabe. Sie können sicher sein, wir ziehen hier an einem Strang.
taz: Die SPD hat aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts lange behauptet, komplette Streichungen von Leistungen seien nicht möglich. Was sagen Sie als Juristin zur Kehrtwende?
Hubig: Das Bundesverfassungsgericht schließt eine vollständige Streichung bei fehlender Mitwirkung nicht gänzlich aus. Oberstes Ziel muss immer sein, Menschen in Arbeit zu vermitteln – also keine Sanktionierung um der Sanktionierung willen. Eine komplette Streichung aller Leistungen wird jedenfalls kein Massenphänomen sein.
taz: Das kann Familien mit Kindern betreffen. Kann es die SPD verantworten, Kinder in die Obdachlosigkeit zu schicken, weil die Eltern Termine schwänzen?
Hubig: Das wird nicht passieren. Deutschland ist und bleibt ein Sozialstaat. Als Sozialdemokraten haben wir immer die Schwächeren im Blick. Wir sorgen dafür, dass gerade auch Kinder aus armen Familien gute Rahmenbedingungen zum Aufwachsen und für einen Aufstieg durch Bildung haben.
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