Justizstreit in Bremen: Keine Zeit für Zuhälter

Nach der Freilassung mutmaßlicher Menschenhändler schieben sich Gericht und Politik gegenseitig die Schuld zu. Der Rechtsausschuss macht eine Sondersitzung

Für die war noch Zeit: Prozess wegen Menschenhandels am Landgericht Bremen. Foto: dpa

BREMEN taz | Politiker von SPD und Grünen haben gestern der Forderung nach mehr RichterInnen in Bremen eine Absage erteilt. Hintergrund der Debatte ist ein Urteil des Oberlandesgerichtes (OLG) vom Freitag. Es hatte zwei Untersuchungshäftlinge wieder auf freien Fuß gesetzt, weil das Landgericht den Prozess nicht rechtzeitig eröffnet hatte.

Die Staatsanwaltschaft wirft den beiden Angeklagten Menschenhandel, Zuhälterei und Körperverletzung vor. Sie sollen zwischen 2012 und 2015 in Bremerhaven drei Bulgarinnen zur Prostitution gezwungen haben. Laut Staatsanwaltschaft mussten die Frauen 19 Stunden am Tag für Freier da sein, auch wenn sie krank waren oder gerade abgetrieben hatten.

Zudem wurden die Prostituierten laut Anklage „regelmäßig“ geschlagen, wenn sie zu wenig verdienten oder sich ihren ZuhälterInnen widersetzten. Die jetzt Freigelassenen seien „dringend verdächtig“, heißt es, zudem bestehe „Verdunkelungsgefahr“.

Den Angeklagten sei nicht zuzumuten, länger als sechs Monate in Untersuchungshaft zu sitzen, „weil der Staat es versäumt, seiner Pflicht zur verfassungsgemäßen Ausstattung der Gerichte zu genügen“, entschied das OLG nun. Und weiter: Helfe der Staat den überlasteten Gerichten nicht, so müsse er es „hinnehmen“, dass Straftäter frei kommen, sich der Verurteilung entziehen können oder erneut kriminell werden.

Unterschrieben haben dieses Urteil Klaus-Dieter Schromek (SPD), Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen, und Andreas Helberg, der Landesvorsitzende des Richterbundes.

Die Lobby der Richter und Staatsanwälte hat sich gleich nach der Urteilsverkündung zu Wort gemeldet: Die Haftentlassung komme „nicht überraschend“, weil die personelle Ausstattung der Bremer Justiz „völlig unzureichend“ sei, gerade im Landgericht. In den nächsten Monaten „drohen weitere Haftentlassungen“, so der Richterbund, der mindestens 44 neue Stellen einfordert.

Vorgesehen sind derzeit nur 22 – sie kommen aber nicht dem Landgericht zugute, sondern der Staatsanwaltschaft, dem Knast sowie dem Familien- und Verwaltungsgericht.

Was für die einen „bedarfsgerecht“ ist, ist für andere „nicht verfassungsgemäß“

Aus Sicht des Justizressorts ist das Landgericht ohnehin „bedarfsgerecht ausgestattet“, im Bundesvergleich und im Vergleich deutscher Großstädte – und ebenso wie der Richterbund hat auch das Ressort Zahlen an der Hand, die seine Sicht der Dinge belegen.

Auch die Rechtspolitikerinnen von SPD und Grünen, Sascha Karolin Aulepp und Sülmez Dogan sehen derzeit keine akute Notwendigkeit, mehr RichterInnen einzustellen. „Die Zahlen geben das so nicht her“, sagt Dogan. Das Problem hätte „gerichtsintern“ geregelt werden müssen, sagt Aulepp. Ressort und Gericht müssten nun dafür sorgen, „dass das nicht nochmal passiert“, sagen die beiden Politikerinnen einhellig. Zugleich soll sich, womöglich noch in dieser Woche, der Rechtsausschuss in einer Sondersitzung mit dem Thema befassen.

Ob Schromek und Helberg mit ihrem Urteil Politik machen? Es wäre „dramatisch“, wenn politische Erwägungen hier eine Rolle spielten, sagt Aulepp.

Zur Lösung des Problems verweisen das Ressort und die Abgeordneten auf die Möglichkeit, RichterInnen abzuordnen und „Hilfsstrafkammern“ einzurichten. Das würde angesichts der zuletzt stark steigenden Zahl an Straf- und Haftsachen „seit Monaten immer wieder geprüft“, sagt der Landgerichtssprecher, Thorsten Prange – aber rechtlich wäre das „sehr heikel“, schon weil einzelne Fälle nicht einzelnen RichterInnen zugewiesen werden dürften.

Und auch für Hilfsstrafkammern fehle es an freien Kapazitäten. „Alle Bordmittel sind ausgeschöpft“, so Prange. Zudem sei eine der sieben Kammern „seit Jahren“ nur mit dem Beluga-Verfahren gegen Niels Stolberg befasst. Wie lange noch? Das sei derzeit nicht absehbar, so Prange.

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