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KI im Spiegel, Wildschweine in KroatienWer vertraut hier noch wem?

Doris Akrap
Kolumne
von Doris Akrap

Nicht nur der Spiegel vertraut auf KI. Auch die Meldung über eine „Wildschwein-Invasion“ zeigt: Medien verlassen sich blind auf die künstliche Unintelligenz.

Is das Echt oder ChatGPT? Foto: Lino Mirgeler/dpa

E ine Studie der Europäischen Rundfunkunion, die am Mittwoch veröffentlicht wurde, hat 22 öffentlich-rechtliche Medienanstalten aus 18 Ländern und führende KI-Assistenten wie ChatGPT, Copilot, Perplexity und Gemini bewertet. Das Ergebnis: Fehler der KI sind keine Einzelfälle und verzerren Inhalte öffentlich-rechtlicher Medien.

45 Prozent aller KI-Antworten auf Fragen zu aktuellen Ereignissen weisen demnach ein signifikantes Problem auf, das in die Irre führen könne. Der größte Problembereich sei die Quellennachverfolgung. Behauptungen der KI seien nicht durch die angegebene Quelle gedeckt oder gänzlich ohne Quellenangabe. Auch die Genauigkeit der Fakten und die Bereitstellung eines ausreichenden Kontextes seien mangelhaft.

Die Auswirkungen sind alarmierend: 42 Prozent der Befragten gaben an, das Vertrauen in das ursprüngliche Nachrichtenmedium zu verlieren, wenn die KI-Antwort Fehler liefere.

Nun, das eine sind KI-Assistenten, die ohne Wissen der Redaktionen ihr Eigenleben treiben. Das andere sind KI-Tools, die Redaktionen selbst benutzen. Am Tag, an dem die Studie veröffentlicht wurde, kam es beim Spiegel zu folgendem Ereignis: Unter dem Onlinetext, der berichtete, dass die Bahn sich von ihrer Güterverkehrschefin trennt, stand einige Stunden lang: „Wenn du magst, passe ich Ton und Detailtiefe (z. B. nüchterner Nachrichtenstil vs. magaziniger) an oder markiere dir die konkreten Änderungen im Vergleich zum Original.“

Nachdem das etlichen Le­se­r*in­nen aufgefallen war, wurde der Satz gelöscht und durch folgenden Hinweis ersetzt: „Anmerkung der Redaktion: Eine frühere Version dieser Meldung enthielt wegen eines produktionstechnischen Fehlers den Hinweis eines KI-Tools, das wir gelegentlich zur Überprüfung unserer eigenen Texte einsetzen. Entgegen unseren Standards ist die Meldung veröffentlicht worden, bevor sie gründlich von einem Menschen gegengelesen wurde. Wir haben das nachgeholt und den Hinweis des KI-Tools gestrichen.“

Diese Formulierung wirft einige Fragen auf: Hat nun ein Mensch den Text verfasst und die KI hat gegengelesen, aber danach kein Mensch mehr? Oder hat ihn doch die KI verfasst? Überprüft die KI den Menschen oder der Mensch die KI? Und sollte die Au­to­r*in­nen­zei­le neben dem menschlichen Namen auch den der KI ausweisen? Das Vertrauen der Spiegel-Leser*innen in die Frage, wessen Text sie da jetzt eigentlich gelesen haben und wer die Texte beim Spiegel sonst so verfasst, dürfte nicht gerade gestärkt sein.

Wildschwein-Invasion in Kroatien?

Dass Redaktionen KI-Tools einsetzen, um Nachrichtentexte zu generieren, führt inzwischen in vielen Fällen dazu, dass Nachrichten ein Eigenleben führen.

So flutet beispielsweise seit etwa zwei Wochen ein kroatischer Wildschwein-Tsunami die Nachrichten auf österreichischen und deutschen Medienseiten. „Wildschwein-Invasion in Kroatien(Focus), „Tier-Plage erobert Adria-Strände(Merkur),Kroatien-Plage gerät außer Kontrolle(FR),Wildschwein-Invasion in Kroatien(heute.at). Da es von der vermeintlichen Invasion keine Bilder gibt, nutzten die Redaktionen irgendwelche symbolischen Wildschweinfotos.

Andere wurden kreativ: Die Seite heute.at bebilderte die Nachricht mit einem Hammerfoto einer aus dem Meer steigenden Wildschweinrotte. Unter dem Foto jedoch die Information: „Chaos an der Adria: So stellt sich die KI eine Wildschwein-Invasion an einer kroatischen Küste vor.“

In Wahrheit ist Kroatien von einer Invasion weit entfernt. Wildschweine sind hervorragende Schwimmer und können bis zu 12 Stunden und 25 Kilometer durchs Wasser pflügen. Die kroatischen Inselwildschweine überqueren regelmäßig die Adria, um das zu machen, was Touristen auch machen: Sightseeing und Restaurantbesuch.

Die Behauptung, solche Überquerungen würden sich häufen, geht allein auf die kroatische Webseite morski.hr zurück

Die Behauptung, solche Überquerungen würden sich häufen, geht allein auf die kroatische Webseite morski.hr zurück, von der die KI-Tools offenkundig die Nachricht ins Deutsche kopierten. Sprachbarrieren verlieren so an Bedeutung ebenso wie die Glaubwürdigkeit der Quelle.

Die Grundlage des kroatischen Portals: ein Video eines Fischers und eine Frau, deren Garten Wildschweinbesuch hatte. In gewisser Weise ist diese Geschichte beruhigend: Zuerst war der menschengemachte Skandaljournalismus, dann erst kam die KI.

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Doris Akrap
Redakteurin
Ressortleiterin | taz zwei + medien Seit 2008 Redakteurin, Autorin und Kolumnistin der taz. Publizistin, Jurorin, Moderatorin, Boardmitglied im Pen Berlin.
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5 Kommentare

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  • Neulich ins ZDF-Fernsehprogramm gezappt. Ging wohl um Kriminalitätsfälle mit Spielszenen, Überfall etc.



    Die Filme waren laut Insert KI generiert. Wurden hier Schauspieler und Laien billig durch KI ersetzt? Die taz sollte mal recherchieren.

    Erschütternd, dass der Spiegel seine Online-Texte durch KI frisiert wie ein Moped. Folge: zwar süffiger in der Anmutung, aber eben auch beliebiger, weil es nicht mehr um die beste menschliche Sprache geht. Damit schafft sich der Journalismus selbst ab.

  • Manche (Menschen ;-)) schwören ja z.B. auf Perplexity, das sehr sorgfältig aufdröselt, was es wo gefunden und in seiner zusammenfassende Antwort verwendet hat.



    Wenn Redaktionen für ihre Beiträge auf KI setzen, warum nicht auf so etwas?

  • Es wäre schon viel geholfen, wenn die stochastischen Papageien, die im Moment von der Presse "KI" genannt werden, mit ihren wahren Namen bezeichnet würden. Dann würde allerdings die "KI"-Blase platzen.

  • Mit sog. "Content Farming" lässt sich inzwischen sehr leicht ein System aufbauen, das Nachrichtenquellen automatisch auswertet und aus den gefundenen Texten ohne jeden menschlichen Eingriff neue generiert und veröffentlicht. Das gibt immerhin Hoffnung, dass das Netz sich nach und nach selbst kannibalisiert und irgendwann nur noch Content enthält, der aus anderem Content zusammengewurstelt ist, der wiederum aus anderem Content zusammengewurstelt ist usw. ad infinitum, sodass es bei dem ganzen dazu halluzinierten Unsinn irgendwann wieder lohnt, eine richtige Zeitung zu produzieren.

  • Na, solange ich noch lustige Fehlerchen wie cut&paste statt copy&paste oder eindeutige Wurstfinger-Tippfehler in der Taz entdecke, weiß ich zumindest, dass wenigstens einige Texte noch von Menschen angefasst worden sind 😁



    Ich wäre generell sehr dafür, dass Tools, die inhaltlich irgendetwas erstellen oder ändern, sei es am Bild oder am Text, irgendwo am Ende eines Artikels erwähnt werden.