Kabarettist Schleich über das Oktoberfest: "Ausbeutung ist Teil des Spiels"

Am Wochenende beginnt das Münchner Oktoberfest: Ballermann im Bierzelt, Trachtenfasching. Kritik gibt es reichlich. Kabarettist Helmut Schleich liebt die Wies'n trotzdem.

Helmut Schleich beim Starkbier-Anstich als Kurt Beck und mit Kurt Beck. Bild: dpa

taz: Herr Schleich, am Samstag heißt es mittlerweile schon zum 178. Mal "Ozapt is" auf dem Münchner Oktoberfest. Gehen Sie hin?

Helmut Schleich: Ja freilich geh ich auf die Wiesn. Gleich am Samstag um 12 Uhr habe ich meinen ersten Stammtisch. Danach bin ich fast jeden Tag draußen. Entweder ich bin eingeladen, oder ich gehe privat hin.

Auch am mittleren Wiesnsamstag, wenn man schon früh am Morgen anstehen muss, um noch einen Tisch im Zelt zu bekommen?

Nein, da lasse ich mir von meiner Agentur immer einen Auftritt buchen, damit ich nicht in Versuchung komme. Aber am Sonntag gehe ich dann schon wieder hin.

Was gefällt Ihnen denn so sehr am Oktoberfest?

Ich bin mit der Wiesn aufgewachsen, und es gibt zwei Aspekte an der Wiesn, die ich immer geschätzt habe. Das ist zum einen die Tatsache, dass die Münchner, die man auf der Wiesn trifft, und das sind ja weit mehr, als man in der Ferne immer meint, wesentlich umgänglicher und netter sind wie unterm Jahr. Und zum anderen mag ich den internationalen Charakter der Wiesn. Ich suche immer bevorzugt die Zelte aus, in denen es besonders international zugeht, sprich: das Hofbräuzelt und das Löwenbräuzelt, wo viele Amerikaner, Australier und Neuseeländer sind. Dort mit Leuten aus anderen Kulturkreisen in Kontakt zu kommen, das gefällt mir sehr. Mein Arzt hat im Übrigen gesagt: Wer die Wiesn gesund übersteht, ist gut gerüstet für den Winter, weil man Virenstämme aus der ganzen Welt abbekommt.

Der 44-jährige Münchner Kabarettist tritt seit 1983 auf Kleinkunst- und Theaterbühnen in Bayern auf. Im Bayerischen Fernsehen hat er eine eigene Sendung namens "Schleich Fernsehen". Beim traditionellen Derblecken auf dem Münchner Nockherberg spielte Schleich Kurt Beck, Frank-Walter Steinmeier und Franz Josef Strauß.

Nun sind das ja genau die Zelte, in denen schon seit Jahren keine bayerische Blaskappelle mehr aufspielt, sondern eine Band Wiesnhits wie "Hey Baby" und "Mambo Number Five" zum Besten gibt. Heißt das, man kann Sie dort auf der Bierbank stehend und Wiesen-Hits grölend erleben?

Eher weniger. Einige Leute würden mich deswegen vielleicht als Wiesn-Muffel bezeichnen, aber ich bin oft der Einzige, der sitzen bleibt. Meine Freunde und ich bezeichnen diesen Bereich immer als Schützengraben. Da verkehre ich nur gelegentlich. Aber so geht es ja auch nicht in allen Zelten und zu allen Zeiten zu.

Diese Schützengräben, wie Sie das nennen, sind mit der Grund, warum viele Münchner sagen, die Wiesn sei nicht mehr das, was sie einmal war. Stimmen Sie zu?

Stimmt, die Wiesn ist nicht mehr das, was sie mal war. Wenn man sich heute zum Beispiel das Hackerzelt anschaut, dann ähnelt das zeitweise mehr einer Großraumdisko auf Mallorca als einem bayerischen Bierzelt. Aber ich würde sagen, das ist das Erfolgsgeheimnis. Denn wenn die Wiesn das wäre, was sie vor 25 Jahren war, dann würde da heute keiner mehr hingehen. Früher war es auf der Wiesn wesentlich ruhiger. Es war kein Problem, an einem Samstagabend aufs Oktoberfest zu gehen und zu zehnt noch einen freien Tisch im Zelt zu finden. Aber damals war die Wiesn, und das sage ich bewusst in Anführungszeichen, eine Rentnerveranstaltung.

Zum 200-jährigen Jubiläum im letzten Jahr gab es zum ersten Mal die sogenannte historische Wiesn mit traditionellen Fahrgeschäften, Pferderennen, einem Limogarten für Kinder und einem Zelt, in dem ausschließlich Blasmusik gespielt wurde. Viele Münchner fanden es dort bedeutend angenehmer. Nun soll die "Oide Wiesn" jedes Jahr fester Bestandteil der Veranstaltung sein. Was halten Sie davon?

Gar nichts. In meinen Augen ist das ein Feigenblatt, das verdecken soll, dass man ein fünfzehntes Wiesnzelt braucht, anstatt der bisher vierzehn Zelte. Und dafür verlangt man dann auch noch drei Euro Eintritt. Böse Zungen behaupten, das sei ein Testlauf, um irgendwann für die ganze Wiesn Eintritt verlangen zu können. Letztes Jahr war das ganz nett. Aber heuer? Pfff? Albern!

Trotzdem beschweren sich viele Münchner, dass die Wiesn zum Saufgelage verkommt.

Die Wiesn hat sich doch immer um den Rausch und ums Bier gedreht. Ums Saufen ist es also immer gegangen. Natürlich stimmt es, dass die ruhige Wiesn immer mehr an den Rand gedrängt wird. Trotzdem finde ich nicht, dass der Trend von der traditionellen Wiesn hin zur Partywiesn eine negative Entwicklung ist. Das Oktoberfest ist einfach eine internationale Party geworden, weil wir in einem Partyzeitalter leben. Aus den Münchner Brauereien sind in den letzten zwanzig Jahren internationale Biermarken geworden. Ebenso wie das Münchner Bier ist auch das Oktoberfest der Globalisierung ausgesetzt. Aber nicht nur das Fest, sondern auch die ganze Gesellschaft. Deswegen findet sich die Gesellschaft auch in dem veränderten Fest wieder.

In den letzten Jahren ist es normal geworden, dass Wiesnbesucher in Tracht aufs Oktoberfest gehen. Ziehen Sie am Samstag auch eine Lederhose an?

Ich besitze gar keine Lederhose. Ich will auch gar keine Lederhose besitzen, denn ich bin ja Münchner und nicht vom Land. Also brauch ich gar keine Lederhose. Früher hat man immer gesagt: Ein echter Münchner geht nicht in Tracht auf die Wiesn. Ich glaub, das hat sich mittlerweile ein bisschen geändert. Irgendein Trachten-Accessoire hat jeder an und wenn es nur ein Janker ist. Den habe ich auch.

Woher kommt denn diese neue Lust zum Trachtenfasching auf der Wiesn?

Ich glaube das liegt daran, dass viele Menschen nachspielen wollen, was sie im Fernsehen bei den Promis im Hippodrom und im Käferzelt sehen. Die überbieten sich mit dem schicksten Dirndl und der besten Lederhose. Das ist ja der klassische Anlass für den Fasching. Es geht darum, sich zu verkleiden, ein anderer sein zu können, sich aufmandeln zu können. Und so ist es mit der Tracht auch. Heute muss man als Frau jede Wiesn ein noch fescheres Dirndl anhaben. Das führt aber in meiner Beobachtung auch dazu, dass man immer weniger spontan zusammenrückt. Früher war es so, dass man fremden Leuten erlaubt hat, sich spontan zu einem an den Tisch zu setzen. Das war ein ganz wichtiger Teil der Wiesn. Genau dieser Volksfestcharakter ist es, den es zu bewahren gilt. Heute gibt es immer mehr Menschen, die das nicht mehr wollen. Die haben furchtbar Angst, dass ihre tolle Tracht einen Fleck abkriegen könnte. Da muss ich einfach sagen: Dann darf man damit nicht auf die Wiesn gehen. Das ist ja wohl klar, dass man da versaut heimkommt.

Nicht nur die Münchner gehen heute in Tracht auf die Wiesn, sondern auch viele Touristen. Dürfen die das?

Ja selbstverständlich dürfen die das, wenn sie das lustig finden. Viele Touristen ziehen sich ja auch gleich wieder aus. Und wenn sich die Tracht leichter und schneller wieder ausziehen lässt, dann sollen sie das halt machen. Die Wiesn ist ja sowieso auf gewisse Art eine Ausbeutung des bayerischen Brauchtums für kommerzielle Interessen. Aber das macht nichts. Das ist Teil des Spiels.

Ihre Freude am Oktoberfest ist also trotz aller Kritik nicht zu erschüttern?

Zwei Tage vor der Wiesn, wenn man ein Jahr lang kein Oktoberfest gehabt hat, sowieso nicht. Natürlich ist vieles an der Wiesn abstoßend. Nicht nur die Menschenmassen und die vielen Besoffenen. Auch die Zweiklassengesellschaft in den Zelten, die vielen Schnösel, die rumlaufen. Aber jetzt überwiegt einfach die Vorfreude. Wenn Sie mich zwei Tage nach der Wiesn fragen würden, hätte ich vermutlich eine etwas andere Meinung.

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