Kampagne für Genossenschaften: Wer in Tschechien rechts wählt

Die heutige tschechische Regierung ist nicht vom Himmel gefallen. Sie stellt die extreme Folge einer Weltanschauung dar, die für einen kleinen Teil der Gesellschaft typisch ist.

Wer wählt hier rechts? Prag. Bild: reuters

BRÜNN kulturní noviny | Die letzten zwei Jahre haben den Eindruck endgültig widerlegt, dass an der chronischen Unfähigkeit der hiesigen Rechten die Partei ODS oder Václav Klaus schuld sind. Es zeigt sich, dass sie der tschechischen Rechten immanent ist. Aus diesem Grunde sind alle Versuche gescheitert, eine seriöse konservative Partei zu etablieren, die nicht korrupt wäre und die die These verstehen würde, dass der Staat den Bürgern dienen soll und nicht umgekehrt.

Das Problem besteht nämlich vor allem in der Mentalität des Rechtswählers. Es geht weder um einen faschistoiden Ignoranten noch um einen Mafioso, wie sich ihn einige linksorientierte Intellektuelle gerne vorstellen. Er ist ein normaler Mensch, sagen wir ein Mann in den mittleren Jahren, mit einer kleinen Firma, die er gleich nach dem Schulabschluss mit vollem Optimismus gegründet hat.

In der letzten Zeit stockt es jedoch ein bisschen und der Mann verdient nur so viel, dass er seine Raten zahlen kann. Er ist genug intelligent, so dass er die immer verrückteren Aussagen der Wahnsinnigen aus der Burg nicht ernst nimmt. Er hasst die Kommunisten, weil es in der Zeit ihrer Herrschaft keine Freiheit gegeben hat, jetzt denkt er aber, dass einige Leute zu viele Freiheiten haben.

Dieser Text erschien in der tschechischen Zeitung Kulturní noviny, die zu den vier Zeitungen gehört, die von der taz-Genossenschaft unterstützt werden. Wir sammeln Geld für vier unabhängige Zeitungen – in Tschechien, Schweden, Uruguay und der Türkei. Helfen Sie mit – für unabhängigen Journalismus!

Alle Linksparteien hat er im Verdacht, dass sie die Verhältnisse aus der Zeit vor 1989 wiederherstellen wollen, und ebenso lehnt er die Parteien der Mitte ab. Er verlässt sich nur auf sich selbst und ist skeptisch gegenüber allen höheren Entitäten, wegen denen er sich einschränken sollte, sei es Gott (Die Volkspartei) oder die Natur (Die Grünen). Die Korruption geht ihm zwar auf die Nerven, im Geschäft macht er sich jedoch längst keine Illusionen mehr, dass sich das Fair-Play lohnt. Er hat einen gewissen Sinn für soziale Gerechtigkeit – dieser manifestiert sich in der Regel so, dass er einem netten afrikanischen Kind seine Ausbildung zahlt (was die Probleme in Afrika keinesfalls lösen könnte).

Das Leben als Kampf

Seinen bedürftigen Mitbürgern hilft er jedoch nicht, denn sie können nicht so rührend dankbar sein. Von der Solidarität hat er schon was gehört, versteht sie jedoch wie einen im Voraus bezahlten Solotanz beim Tanzabend: weil ich gezahlt habe, soll mein Lied gespielt werden. Er wäre sehr verärgert, wenn man ihn Egoist nennen würde, denn er bemüht sich, seine Familie zu versorgen, und damit begründet er manche Kompromisse, die er eingeht.

Václav Klaus: Präsident der Tschechischen Republik, bekannt für seinen Euroskeptizismus und für seine nationalistischen Ansichten. Er plädiert für freie Marktwirtschaft als gesellschaftliches und wirtschaftliches Allhelmittel.

Die Burg: Symbolische Bezeichnung für die Prager Burg, einst Sitz der böhmischen Könige, jetzt der Präsidenten.

ODS (Demokratische Bürgerpartei): Die stärkste Rechtspartei, die in den 1980´er Václav Klaus gegründet hat; die heutige Regierung bildet die Koalition der Parteien ODS, TOP 09 und Věci veřejné.

TOP 09 (Tradition, Verantwortung, Wohlstand 09): Die zweitstärkste Rechtspartei, die unlängst aus dem rechten pragmatischen Flügel der KDU-ČSL (Christliche und Demokratische Union – Tschechoslowakische Volkspartei) entstanden ist. Sie vertritt die härtesten neoliberalen Wirtschaftsmaßnahmen (die Kürzungen) und die maximale Reduzierung des Sozialstaates.

Věci veřejné (Öffentliche Angelegenheiten): Eine neue Mitte-Rechts-Partei, Repräsentant der Unternehmerkreise, diskreditiert durch Korruptionsaffären; die Partei wurde im Frühling 2012 gespalten– die Partei Věci veřejné hat die Regierung verlassen und neuentstandene Partei LIDEM ist in der Regierung geblieben.

Ein häufig unterschätzter Vorteil von Sozialdarwinismus besteht darin, dass zu dessen Verständnis ein sehr simpler Verstand genügt. Außerdem ist der radikale Individualismus eine bequeme Lebenseinstellung, die keine limitierenden Skrupel kennt. Das Leben als Kampf zu verstehen, bei dem der Tüchtigste gewinnt, hängt damit zusammen, dass in einigen Menschen immer noch ein kleiner Junge steckt – der wirtschaftliche Wettbewerb ist heutzutage so deformiert, dass das Prinzip von Arbeit und Verdienst zum Kitsch geworden ist.

Wenn sich an den Formeln aus den Kursen für Manager auch solch ein komplexer Organismus wie die menschliche Gesellschaft zu orientieren beginnt, kann es übel ausgehen. Der Kult der oberflächlich begriffenen Ökonomie führt dazu, dass die Mittelschicht bei allen Wahlen jedem Hochstapler einen Blankoscheck ausstellt, wenn er sich für den Anhänger der Rechten ausgibt.

Da der Wähler der Rechten immer arbeitet, hat er nicht viel Zeit zum Nachdenken. Die Medien sind sich dessen bewusst und bieten ihm alle Themen in einer solchen Form an, dass sie schon auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gebracht sind. Die Griechen seien faul, Moslems grausam, Russen böse, Gewerkschaftler schmutziges Gesindel, die Europäische Union sei kommunistisch, die Intellektuellen seien Parasiten und der Staat sei ein schlechter Unternehmer. An der Krise sind immer nur die Anderen schuld.

Die Linke schweigt

Die Neigung, ständig an den Jahresabschluss zu denken, führt dazu, dass die Kleinunternehmer ein ständiges Gefühl beunruhigt, für jemanden zu zahlen. Ihre Lebenseinstellung hat mit dem laut verkündeten Konservativismus nicht viel gemeinsam, es handelt sich eher um eine Analogie zu der kommunistischen Utopie: wenn die Arbeitenden die Parasiten los werden (Rentner und Arbeitslose), kommt das Paradies auf Erden.

Die tschechische Linke schwelgt leider in einem Gefühl moralischer Überlegenheit und der Wähler der Rechten interessiert sie nicht. Es ist ein großer Fehler, denn es wäre angebracht, einige Vorurteile und Chimären gegenüber der linken Politik geduldig und sachlich zu widerlegen.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Rechtswähler beim nächsten Urnengang weder der kompromittierten Partei ODS noch der misanthropischen TOP 09 seine Stimme gibt, sondern der recycelten Partei Věci veřejné, deren geheimnisvoller Mäzen wiederum optimistische Wahlprognosen gewährleistet. Der Rechtswähler muss manchmal daran erinnert werden, dass Steuern nicht als Strafe gemeint sind.

Aus Steuergeldern wird manches bezahlt, was den Unternehmen ihr Funktionieren ermöglicht und was kein Einzelner besorgen kann. Zum Beispiel den Straßen- und Eisenbahnbau oder die Polizei, die die Kriminalität im erträglichen Maße hält. Es lohnt sich genauso, ins Schulwesen zu investieren, das qualifizierte Arbeitskräfte hervorbringt und auch ins Gesundheitswesen, das für gute Kondition dieser Arbeitskräfte sorgt. Auch die Sozialhilfe wird nicht aus reinem Altruismus ausgezahlt; der Rechtswähler ist ebenso wie ein armer Mensch ein potenzieller Empfänger. Auch deshalb kann man bei uns immer noch Geld verdienen.

Das alles ist aber keinesfalls selbstverständlich: man kann das am Beispiel der südamerikanischen Länder oder der Nachfolgestaaten der Sowietunion beobachten, die den Anordnungen der Weltbank folgen müssen. Für libertäre Experimente würden wir dann alle büßen: auch diejenigen, die sie für eine Rettung halten.

Der Autor ist Dichter, Publizist, Übersetzer und Redakteur bei der Zeitung „Kulturní noviny“. Übersetzung von Tomáš Procházka.

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