Kampagne für Genossenschaften: Die Suche nach Familien

In Uruguay sollen Kinder, die nicht mehr bei ihren leiblichen Familien leben können, nicht mehr in Heimen untergebracht werden. Die Umstellung ist schwierig.

Für Kinder ohne Familie ist es schwierig in Uruguay. Bild: reuters

MONTEVIDEO la diaria | „Es ging alles sehr schnell, schon nach einer Woche wurde ich angerufen“, erzählt Alicia López, die zwei Kinder als Pflegemutter in Obhut genommen hat. Nachdem López mit Psychologen und Sozialarbeitern gesprochen hat, war sie bereit, die Verantwortung zu übernehmen: „mit viel Liebe“, wie sie sagt. „Es geht nicht nur darum, auf ein Kind aufzupassen, man muss auch viele andere Dinge klar haben.“

Kinder und Jugendliche in Uruguay, die nicht mehr in ihren ursprünglichen Familien leben können, sollen nicht mehr in Heimen untergebracht werden, sondern eine Chance auf Familienleben haben, auch wenn es mit der eigenen nicht geht. Das ist das Ziel von INAU, dem staatlichen Institut für Kinder und Jugendliche in Uruguay. Das ursprüngliche Verfahren, die Unterbringung in Heimen und mit Betreuern, soll ersetzt werden durch ein Leben mit Pflegefamilien.

Die Umstellung ist schwierig, in einigen Fällen sind mehr Rechte von Kindern verletzt worden als im alten Modell der Unterbringung im Heim.

Dieser Text erschien in der tschechischen Zeitung Kulturní noviny, die zu den vier Zeitungen gehört, die von der taz-Genossenschaft unterstützt werden. Wir sammeln Geld für vier unabhängige Zeitungen – in Tschechien, Schweden, Uruguay und der Türkei. Helfen Sie mit – für unabhängigen Journalismus!

Alicia Deus, Präsidentin der Kinderschutzorganisation Iaci, ist unzufrieden mit der Umstellung. Sie sei „überfallartig“ geschehen, sagte sie La diaria. Es habe „Leute gegeben, mit denen alles gut gegangen ist, die sich an die Kinder angepasst haben und andere, die sich allen Regeln widersetzt haben“, sagt sie.

Ziel ist es, die bisherige Betreuung ganz abzuschaffen – auch wenn das Modell ähnlich zu dem der Pflegefamilien ist. In einem Fall habe eine Betreuerin Schritte eingeleitet, um das Baby, das sie hütete, zu adoptieren. „In diesem Fall ist die Suche nach der besten Familie für das Kind eingestellt worden“. In einem anderen Fall war eine Jugendliche, die ihre biologische Familie verlassen musste, nicht bei einer befreundeten Familie untergekommen, wie beide Seiten es wünschten, sondern musste zu einer anderen Familie. Dort wurde sie nicht gut aufgenommen und am Ende wollte die neue Familie sie nicht mehr aufnehmen, weil der Fall so kompliziert geworden war.

In einem weiteren Fall ist eine 17-Jährige vom 37-jährigen Sohn ihrer Betreuerin schwanger geworden. Die Jugendliche bekam Angst, fühlte sich von ihrer Betreuerin bedroht und verheimlichte in den ersten Monaten ihre Schwangeschaft. Irgendwann nahm sie Kontakt mit ihrer leiblichen Mutter auf, die dafür sorgte, dass sie wieder zu ihr nach Hause kam. Laut der Mutter hat der Sohn der Betreuerin auch danach noch versucht, die Tochter zu bedrängen, damit sie keine rechtlichen Schritte gegen ihn unternähme.

Er soll versucht haben, sie davon zu überzeugen, ihn zu heiraten, damit er nicht ins Gefängnis müsse und seine Mutter weiterhin Pflegekinder bekäme. „Und meine Großmutter bringt sich nicht um, denn sie sagt, sie würde sich umbringen, wenn ich ins Gefängnis gehe“, soll er laut einer Anwältin gesagt haben.

Von der Organisation "Adolescencia Ciudadana" (betreute Jugend) Iaci heißt es, dass der Mann vermutlich nicht ins Gefängnis gehen müsse, weil die Gesetzgebung hier lückenhaft sei. Galusso deutete an, dass die Mitarbeiter von INAU dabei waren, die Hochzeit zu organisieren, als er kam, um den Missbrauchsfall zu schildern. „Es handelt sich nicht um Missbrauch, sondern um Verlobung, denn es lag keine physische Gewalt vor.“

Es kommt auf den Richter an

Laut Iaci kommt es ganz auf den Richter an, ob es zu einer Verurteilung kommen wird. Es sei wahrscheinlich, dass das Urteil nicht auf Missbrauch lauten wird. Wenn die Betreffende älter als 12 Jahre ist und der Geschlechtsverkehr auf Einverständnis beruht, spricht das Gesetz nicht ovn Missbrauch. „Dazu kommt, dass ein Wort gegen das andere steht: Sie wird ihn anschuldigen und er wird sagen, dass sie Verlobte waren, er sie liebte und sie es provoziert hat“, sagte Deus. Hinter dieser Wahrnehmung gebe es die Vorstellung, dass sie „irgendwas gemacht“ haben wird, um ihn zu verführen.

Inau nahm als Konsequenz alle Pflegekinder aus der betreffenden Familie. Der Fall werde „untersucht“, sagte Almeida.

Für Iaci ist das neue Programm „Familia Amiga“ eine Lösung der bestehenden Probleme, aber es komme darauf an, wie es umgesetzt werde. Die größte Schwierigkeit liege in der langfristigen Betreuung der Fälle. Der Psychologe von INAU Yuri Silva sieht das genauso und weist darauf hin, dass es darum gehe, das Vorgehen „geübt, ausprobiert, und optimiert“ wird.

Recht auf Identität

Das Ziel von Familia Amiga ist es, die Kinder in einem familiären Rahmen zu betreuen, so wie es die uruguayischen Gesetze vorsehen. Es geht darum, die institutionalisierten Unterbringungen zu reduzieren, ebenso wie die alten Heime.

Das Program steht noch an seinem Anfang und braucht Menschen, die bereit sind, diese Verantwortung zu übernehmen – über einen Aufruf, der dauerhaft besteht. Es gibt drei Typen von Familien „amigas“: dauerhafte, erweiterte – normalerweise innerhalb ihrer Gemeinden oder der Nachbarschaft –, oder in Teilzeit. Der INAU beteiligt sich an den Kosten und stellt Unterstützung für die biologischen Familien. Ein wichtiger Aspekt ist, dass das Kind oder der Jugendliche mit seiner biologischen Familie in Kontakt bleibt – für sein Recht auf seine eigene Identität und Geschichte.

Für Alicia López war die Unterstützung von INAU entscheidend und die Gruppenarbeit, die damit einher ging. Für sie ist es wichtig, dem Kind Zugehörigkeit in der Familie zu vermitteln und es wie die anderen Kinder zu integrieren. Für Silva bedeutet dies, den Kindern die Familie als Ort des Aufwachsens und der Entwicklung zu bereiten: „So, wie wir alle es erlebt haben.“

Facundo Franco ist mit 23 einer der neuen, jungen Redakteure bei „la diaria“. Übersetzung von Frauke Böger.

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