Kampagne gegen sexuelle Gewalt: Niemand wird dir glauben

Sexuelle Übergriffe werden selten angezeigt. Das kann so nicht bleiben, finden drei Frauen aus München. Im Internet veröffentlichen sie verstörende Geschichten vom Schweigen.

Anonymität als Schutz? Bild: 106313 / photocase.com

„Hätte ich eine Tochter und sie würde vergewaltigt, ich würde ihr abraten, zur Polizei zu gehen.“ Das verkündete Exgeneralstaatsanwalt Hansjürgen Karge im Verlauf des Falls Kachelmann 2010 in einer Talkshow.

ICH HABE NICHT ANGEZEIGT ...

... weil ich dann nicht hätte tun können, als habe es nicht stattgefunden.

... weil ich zwar mehrfach „nein“ gesagt, aber mich nicht richtig gewehrt habe.

... weil es meine Mutter war und ist. Und weil es mir selbst erst vor drei Jahren (jetzt 31) bewusst geworden ist. Meine Mutter ist so beliebt und ich dachte, mir glaubt keiner.

... weil ich mich ja nicht erinnern kann, also ist auch nichts passiert, so sagt es mir mein umfeld. ich habe k.o. tropfen bekommen. weiss nicht genau was war. weiss, dass etwas war. da ich nichts darüber erzählen kann, ist also nichts passiert.

... Ich habe meinen Vater nicht angezeigt, weil ich meiner Mutter keinen Kummer machen wollte.

... weil er eine grosse fangemeinde im internet hat, die mir das leben zur hölle machen würde, wenn ich sage dass er mich in der beziehung mehrfach vergewaltigt hat.

... weil ich erst acht war und er sagte, daß ich ins Heim kommen würde, wenn jemand erfährt, daß ich mitgemacht habe.

... weil ich mir dachte ich bin selbst daran Schuld und außerdem vielleicht war es ja auch gar nicht so schlimm.

... weil er es, glaube ich, gar nicht böse gemeint und gar nicht gemerkt hat, dass es eine Vergewaltigung war.

... und frage mich, ob ich es nochmals tun würde? Ich habe nur negative Erfahrungen gemacht. Mein Selbstwertgefühl hat sehr darunter gelitten.

Mit anderen Worten: Der Staatsanwalt zieht die Straflosigkeit eines Verbrechens vor gegenüber einem Prozess, in dem die Beweislage oft jämmerlich ist und der die Anzeigende retraumatisieren kann.

Dabei kann es nicht bleiben, dachten drei Frauen aus München. Ehrenamtlich organisierten die Autorin, die Lehrerin und der weibliche Coach mit der Frauenberatungsstelle Kofra die Kampagne ichhabnichtangezeigt: Menschen, die sexuelle Gewalt erlebt haben und es nicht wagten, die Polizei einzuschalten, können ihre Geschichte an die Kampagnenseite mailen. Die Initiatorinnen stellen sie dann anonym auf Facebook und Twitter ein.

„Wir waren überwältigt von der Resonanz“, so die Autorin Sabina Lorenz, es war, „als hätten die Leute nur darauf gewartet.“ Bis heute haben rund 900 Frauen und Männer ihre Geschichte erzählt.

Am 15. Juni soll die Kampagne enden. Was folgt aus ihr? „Es war erschütternd, zu sehen, wie viele Menschen die Beratungsstellen nicht kennen“, so Lorenz. PolizistInnen sollten eine Fortbildung erhalten, um Traumata zu erkennen und nicht noch zu verschlimmern, fordert sie. Die Menschen sollten schon bei der Anzeige psychologisch begleitet werden.

Und, so könnte man hinzufügen: Staatsanwälte wie Karge sollten Tipps geben, die Opfern weiterhelfen, statt sie erneut zu Opfern zu machen, die gar nicht erst versuchen, Gerechtigkeit zu finden.

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