Kampf der Mapuche in Chile: Hungern für das eigene Land

Ein Teil der Mapuche kämpft um ihr Land. Von der Regierung werden sie als Terroristen abgestempelt. 34 Inhaftierte sind deshalb seit über zwei Monaten im Hungerstreik.

Ihr Protest wird kriminalisiert: Eine Mapuche demonstriert in Santiago. Bild: ap

Wären auf der Mauer nicht riesige Stacheldrahtrollen, man ginge achtlos am Stadtgefängnis von Temuco vorbei. Der Knast passt sich dem Stadtbild der Hauptstadt der chilenischen Region La Araucanía an. Vor dem Tor tippelt Elena Cayupan ungeduldig von einem Bein auf das andere. Sie will ihren Sohn im Gefängnis besuchen.

Seit dem 12. Juli befinden sich in Chile 34 inhaftierte Mapuche im Hungerstreik, 13 von ihnen in der Haftanstalt von Temuco, 670 Kilometer südlich der Hauptstadt Santiago. Unter ihnen ist auch Elena Cayupans Sohn, Eliseo Ñirripil.

Taschen auspacken, Inhalt vorzeigen, Taschen einpacken. Die Kontrolle geht routiniert und schnell. Wer schon als Besucher registriert ist, muss nur seinen Ausweis abgeben. Neulinge bekommen drei Stempel auf das Handgelenk. Nach der zweiten Gittertür trennen sich die Wege der Besucher. Wer nach links geht, in den großen Saal, besucht die normalen Gefangenen.

Mit gut einer Million machen die Angehörigen der Mapuche knapp 7 Prozent der chilenischen Bevölkerung aus. Noch im 19. Jahrhundert gehörten ihnen fünf Millionen Hektar Land. Während der Pinochet-Diktatur wurden sie in kleine Reservate, sogenannte Comunidades, zurückgedrängt. Nach der Rückkehr zur Demokratie wurde den Mapuche ein Teil ihres Landes rückübertragen. Ein kleiner, aber radikaler Teil der Mapuche klagt aber weiterhin über koloniale Herrschaftsverhältnisse in dem chilenischen Staat. Sie kämpfen für die Rückgewinnung von Land. Deshalb blockieren sie Straßen, begehen aber auch Brandanschläge auf Scheunen oder Lkws für den Holztransport. Die meisten Mapuche, die in ländlichen Gegenden leben, begreifen sich wie selbstverständlich als Chilenen und Mapuche. In den Ballungszentren ist Mapuchesein dagegen überwiegend Privatsache.

Elena Cayupan geht nach rechts. Seit ihr Sohn im Hungerstreik ist, trifft sie ihn in der Gefängniskapelle. Essensgeruch, laute Musik und vor allem der Zigarettenqualm im großen Besuchersaal waren nicht mehr auszuhalten.

In dem kleinen Raum der Kapelle haben sie die Bänke zu Quadraten zusammengeschoben. In Grüppchen sitzen sie um die kleinen Elektroöfen. Es ist empfindlich kalt. Wärmender Mate-Tee macht die Runde. Eliseo ist blass, seine Bewegungen sind langsam. Die langen, schwarzen Haare heben das Weiß in seinem Gesicht hervor. Im Kopf ist er klar, sagt er, nur nicht zu lange reden, das strengt an.

Seit dem 17. Januar sitzt er im Gefängnis. Am Tag der Präsidentschaftswahl haben die Carabineros vor dem Wahllokal auf ihn gewartet. Ein anonymer Zeuge will ihn bei zwei Brandanschlägen gesehen haben. Jetzt wird ihm ein Terroranschlag vorgeworfen. Es geht um Brandstiftung.

Terrorgesetze greifen

Wie auf Eliseo wird auch auf die anderen inhaftierten Mapuche ein Terrorgesetz angewandt. Das stammt noch aus der Zeit der Pinochet-Diktatur. Es erlaubt eine zweijährige Untersuchungshaft und verbietet den Anwälten in den ersten sechs Monaten die Akteneinsicht.

Die Anklagen stützen sich auf anonyme Zeugen. Diese heißen "Testigos sin Rostro", Zeugen ohne Gesicht. Allein die anonyme Aussage, jemand habe vor, ein Waldstück zu besetzen, reicht für den Tatbestand "terroristische Bedrohung", einen Haftbefehl und fünf Jahre Gefängnis im Fall einer Verurteilung. Während einige Inhaftierte von Zivilgerichten aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurden, sitzen sie hier in Haft und warten auf den Prozess vor dem Militärgericht.

Dem 24-jährigen Eliseo droht im Fall seiner Verteilung eine Gefängnisstrafe von bis zu 80 Jahren. "Mit dem Hungerstreik sagen wir, dass wir keine Terroristen sind. Wir fordern nicht die Freilassung, sondern eine Verhandlung vor einem zivilen Gericht."

Sie sind gegen die Abholzung der Wälder und die Aufforstung mit Monokulturen aus Kiefern und Eukalyptusbäumen, die auf einem Land wachsen, das traditionell den Mapuche gehört, gegen die Überflutung ganzer Regionen durch den Bau von Staudämmen und Wasserkraftwerken. Mit dem Antiterrorgesetz wird ihr Protest kriminalisiert. "Sie verfolgen unsere Ideen, nicht die Straftaten, und damit die Rückgewinnung unseres traditionellen Landes", sagt Eliseo.

Seit der Pinochet-Ära wurden die Mapuche in ihrer Heimat, der Araucanía-Region, durch Großstaudämme sowie riesige Pinien- und Eukalyptusplantagen großer Zellstoffkonzerne massiv zurückgedrängt. Rund zwei Drittel der Plantagen liegen auf ehemaligem Mapucheland. Die Zellulose wird zur Papierproduktion vorzugsweise nach Asien und Nordamerika exportiert. Die chilenische Holzwirtschaft steht, gemessen an ihrem Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt, an zweiter Stelle.

In Chile bestimmt nun die Justiz, gegen wen und warum ermittelt wird, und sie weist die Carabineros an. Eine Holzfirma oder ein Farmer, der sich bedroht sieht, kann beim Richter oder beim Staatsanwalt Schutz beantragen. Über diesen Weg werden Polizisten offiziell zum Schutz in die riesigen Pinien- und Eukalyptusplantagen der großen Zellstofffabriken abkommandiert. Heute sind es in der Region an die 50 Ländereien, die unter Polizeischutz stehen. Das ist die Militarisierung der Region, sagen die Mapuche.

In der Auseinandersetzung mit den Mapuche gab es bereits Tote. Im Januar 2008 kam der 22-jährige Matías Catrileo bei einer Landbesetzung ums Leben; eine Kugel aus einer Polizeiwaffe traf ihn in den Rücken.

Der Mann war mit dem hungerstreikenden Eliseo befreundet. Sie hatten zusammen Pädagogik studiert. Nach dem Tod von Matías brach Eliseo das Studium ab und ging zurück in die Comuniad, wo seine Eltern leben.

Die Wanduhr zeigt das Ende der Besuchszeit. Eliseo ist erschöpft. Die Mutter verabschiedet sich. Übermorgen will sie wiederkommen. Mit dem Bus braucht sie jetzt knapp zwei Stunden nach Hause in die Comunidad Mateo Ñirripil.

Dort liegen die Häuser über das hügelige Land verstreut. 160 Familien der Mapuche leben in der Comunidad Mateo Ñirripil. Bis zum Ende der Pinochet-Diktatur hatte der chilenische Staat versucht, das noch verbliebene Gemeinschaftsland der Mapuche aufzuteilen und aus den Besitzern Kleinbauern zu machen. In der Comunidad Mateo Ñirripil ist das gelungen. Jede der 160 Familien besitzt einen Hektar Land. Was sie darauf anbauen, ist fast ausschließlich für den Eigenbedarf.

"Dort ist noch der Schuhabdruck", sagt Pedro Ñirripil. Er ist der Vater des Inhaftierten. Nun deutet er auf die Stelle, an der die Carabinieros die Tür eingetreten haben. Am 6. Februar 2009, genau um 12 Uhr Mittag, waren sie in Mannschaftsstärke angerückt; bewaffnet bis an die Zähne, umstellten sie erst das Haus, dann wurde es gestürmt. Sie durchsuchten alles. Sie suchten nach Eliseo. "Alles von ihm haben sie mitgenommen. Seine Wäsche, seine Kleidung, nicht ein Bild von ihm haben sie hiergelassen." Der Vater holt das Durchsuchungsprotokoll. Alles haben sie fotografiert, Schuhe, Stiefel, Geld, alles weg. "Hier, alles säuberlich aufgeschrieben."

Zur gleichen Zeit wurden Wohnungen von Eliseos Freunden in Buin und Santiago durchsucht. Auch dort wurde alles beschlagnahmt. Auch das Handy nahmen sie mit. "Die dachten wohl, Eliseo ruft an", sagt Pedro Ñirripil.

Im September 2009 hatte sich die Comunidad gegen eine erneute Durchsuchung gewehrt. Als die Mannschaftswagen kamen, haben sie mit Steinen und Balken den Zufahrtsweg blockiert. Aber als die vermummten Carabineros in ihren Kampfuniformen ausrückten, "mussten wir davonlaufen". Wieder suchten sie nach angeblich Verdächtigen, versteckten Waffen und hinterließen nur Zerstörungen. Nun gibt es Zwietracht in der Gemeinschaft. Denn die anonymen Zeugen, die die Männer im Gefängnis belastet haben, stammen alle aus der Comunidad. "An den Stimmen haben wir sie erkannt. Hier kennt doch jeder jeden. Die werden bezahlt fürs Lügen", sagt die Mutter. Das Misstrauen sei gewollt, glaubt sie.

Im Gefängnis in Temcuo sitzen jetzt acht Mitglieder aus der Comunidad Mateo Ñirripil, dazu zwei Jugendliche im nahen Chol Chol. Dort gibt es ein Jugendgefängnis. Fünf der Erwachsenen und einer der Jugendlichen sind im Hungerstreik. Darunter auch Eliseo.

Von Matías' Tod haben sie aus dem Fernsehen erfahren. "Matías war oft bei uns", sagt der Vater. Die Comunidad, in der er wohnte, ist gerade mal fünfzehn Kilometer von hier entfernt. "Dort haben sie schon zehn Razzien gemacht."

Die Angst geht um

Die Mutter kann schon lange nicht mehr schlafen. Oft hat sie Herzrasen. "Wir bekommen mehr Unterstützung von außerhalb als von innerhalb der Comunidad", sagt der Vater. Nicht viele Familien sind der gleichen Meinung, und nur wenige gehen zu den Unterstützungsdemonstrationen. Die Angst geht um. Wen holen sie bei der nächsten Razzia?

Oben auf dem Feld sagt Vater Pedro: "Hier haben wir zum ersten Mal Lupinen eingesät." Er schaut auf das Grün der jungen Keime. "Die Lupinenkörner können wir an die Fischzuchten verkaufen, die nehmen sie als Futter." Ein finanzielles Zubrot, "und es macht nicht so viel Arbeit wie Weizen". Eliseo kann ja nicht mehr mit anpacken. "Hier sind alle arm", sagt Pedro noch. "Nicht nur die Mapuche." Auch deshalb wollen alle mehr Land. Das Land gehört traditionell den Mapuche. "Es ist die Frage, wie wir es zurückgewinnen können."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.