Kampf um Reformen in Argentinien: Schwarzer Tag für Javier Milei
Argentiniens Präsident Javier Milei wollte mit einem Veto ein Gesetz zu Ausgaben für Menschen mit Behinderung stoppen. Jetzt wurde er vom Kongress überstimmt.

Erneut hatten sich mehrere Tausend Menschen vor dem Kongressgebäude versammelt. Ein überdimensionaler Rollstuhl symbolisierte den Protest. Viele Familien mit behinderten Kindern waren gekommen. Großer Jubel brach aus als das Votum bekannt gegeben wurde. Vielen lagen sich buchstäblich lachend vor Freude und weinend vor Erleichterung in den Armen. „Das ist ein historisches Ergebnis. Jetzt muss der Präsident unsere Rechte anerkennen“, sagte eine der Anwesenden.
Dies ist das erste Mal seit April 2003, dass der Kongress das Veto eines Präsidenten überstimmt hat. Mit dem Gesetz sollen die staatlichen Zuwendungen für Behindertenhilfeeinrichtungen sowie die beitragsunabhängige Mindestrente für Menschen mit Behinderung leicht angehoben werden. Derzeit beträgt eine Behindertenrente 70 Prozent der staatlichen Mindestaltersrente, also monatlich 140 Euro. Der Kongress hatte das Gesetz im Juli verabschiedet.
Kein Geld für Mindestrente
Anfang August legte Milei sein Veto mit der Begründung ein, dass keine Mittel zur Finanzierung vorhanden seien. „In Argentinien leben fünf Millionen Menschen mit Behinderungen, das sind zehn Prozent der Bevölkerung. Wenn der Staat seine Bürger schlecht behandeln muss, um Geld zu sparen, dann spart er kein Geld, sondern lässt sie im Stich“, erklärte der peronistische Senator Daniel Bensusán während der Debatte.
Nachdem nun beide Kammern das Veto aufgehoben haben, muss Milei das Gesetz in Kraft setzen. Ob er dies tut, bleibt abzuwarten. Schon vor der Abstimmung hatte er angekündigt Klage bei der Justiz einreichen zu wollen. Ob es ihm gelingt, das Gesetz auf juristischem Weg zu stoppen, bliebe dann ebenfalls abzuwarten.
Bereits im August hatte ein Richter einer einstweiligen Verfügung stattgegeben, die von Eltern eines behinderten Kindes beantragt worden war, und das Veto des Präsidenten für ungültig erklärt. In seiner Begründung verwies der Richter auf die Verpflichtung der argentinischen Regierung, die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen einzuhalten, die Argentinien ratifiziert und so Verfassungsrang hat.
Ehemalige Unterstützer wenden sich ab
Das Ergebnis ist eine herbe Schlappe für den Präsidenten. Es zeigt, wie sich die Mandatsträger der konservativen Opposition, die ihn bisher bei vielen Abstimmungen im Kongress unterstützt haben, von ihm abwenden. Allerdings ist Wahlkampfzeit, und viele Parlamentarier wollen ihre Unabhängigkeit vom libertären Präsidenten unter Beweis stellen.
Ende Oktober finden Teilwahlen zum Kongress statt. Dann werden die Hälfte der Abgeordneten und ein Drittel des Senats neu gewählt. Die Umfragen sagen seit Wochen einen Triumph des Präsidenten voraus. Doch selbst bei einem sehr guten Abschneiden seiner Kandidat*innenliste wird er auch zukünftig über keine eigene Mehrheit im Kongress verfügen. Sein Ziel ist ein Drittel der Mandate zu bekommen, mit dem er Abstimmungsniederlagen wie die vom Donnerstag vermeiden kann.
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