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Karl-May-Spiele in Bad SegebergAntirassismus für alle

Bei der Aufführung von Karl Mays „Halbblut“ in Bad Segeberg treten große Gefühle zutage. Warum das auch für woke Kri­ti­ke­r*in­nen erfreulich ist.

Wenn er spricht, hören alle zu: Alexander Klaws als Winnetou im Freilichttheater am Kalkberg in Bad Segeberg Foto: dpa | David Hammersen

K urz vor Bad Segeberg schalten wir das Navi ab und lassen uns vom Parkleitsystem führen. „Ignorieren Sie, sobald Sie unsere LED-Tafeln sehen, bitte Ihr Navi!“, stand in der E-Mail des Veranstalters. Machen wir. Persönliches Navi aus, ab sofort leiten lassen: So funktioniert das hier. Nicht nur bei der Anfahrt, sondern auch später im Theater.

Würde das persönliche Navi noch laufen, dann gäbe es viel nachzudenken. Über die Rassismen und Stereotype in Karl Mays Werk. Über Sinn und Unsinn von Karl-May-Theateraufführungen. Und über kulturelle Aneignung, weil es gleich weiße Europäer sein werden, die sich als Native Americans verkleiden, sich „Indianer“ nennen und sich herausnehmen, eine erfundene Geschichte über sie zu erzählen.

Aber das Navi ist aus und der Weg zum Freilufttheater führt durch ein Wohngebiet, vorbei am Restaurant „Zum Wilden Westen“, vorbei an einem Totem­pfahl und Verkaufsbuden am Straßenrand: Getränke, Popcorn, Regenponcho. Es wirkt, als hätten die Nachbarn mal eben einen Stand aufgebaut.

Beim Einlass in das Amphitheater passiert etwas Ungewöhnliches: Die Taschen bleiben unkontrolliert. Es ist ausdrücklich erlaubt, Verpflegung und Getränke mitzubringen. Also packen die Leute in den Sitzreihen Kuchen und Chips aus. Offenbar sind viele nicht zum ersten Mal hier.

Winnetou hält gleich zwei Ansprachen zum Thema Antirassismus

Überhaupt die Leute: Manche haben sich das Gesicht bemalt und tragen auf dem Kopf einen Pappring mit Feder. Manche tragen einen Cowboyhut, die Männer in Braun, die Frauen in Pink. Aber die meisten sind einfach so da. Und dann erhebt sich eine Stimme aus den Lautsprechern und begrüßt alle mit dem schlauen Satz: „Willkommen in der Traumwelt von Karl May.“

Eine Traumwelt also – das entlastet vom Humbug-Vorwurf, den sich Karl May gefallen lassen muss. Dem Vorwurf, etwas als wahr zu verkaufen, was nur ausgedacht, zurechtgebogen und aus Klischees gespeist ist.

Das Stück heißt „Halbblut“ und basiert lose auf dem gleichnamigen Roman. Mit dabei sind Winnetou und Old Shatterhand in der Ausgestaltung, in der sie in den Filmen der 1960er Jahre berühmt wurden. Auch die anderen Figuren sind alte Bekannte: der Bösewicht, der Stammeshäuptling, der trottelige Professor.

Sofort ist klar: Das hier ist nicht nur Theater, es ist auch Zirkus und Jahrmarkt. Es gibt Pferde­akrobatik und ­Clownerien, spektakuläre Showkämpfe und einen Adler, der über den Köpfen der Zu­schaue­r*in­nen fliegt. Hinzu kommen Pyrotechnik und Schusswaffengeknalle. Und eine Eisenbahnbrücke, die zerbricht – mit einer Lokomotive darauf.

Winnetou hat seinen ersten Auftritt auf dem Pferd, reitet durch die Reihen der Zuschauer*innen, es wird die berühmte Filmmelodie eingespielt und es geht ein Raunen durch die Reihen. Den Menschen geht das Herz auf, weil Winnetou der Held ihrer Kindheit ist, eine Lichtgestalt ohne Brüche. Traumwelt eben.

Trotz des Popcorns folgen die Menschen konzentriert der Geschichte, in der der weiße Bösewicht und der böse Comanchen-Häuptling einander umbringen wollen. Winnetou bekehrt den Häuptling, bestraft den Bösewicht und rettet den Enkel des Häuptlings, der als Sohn einer Comanchen-Mutter und eines Siedler-Vaters zwischen die Fronten geraten ist.

Das Theaterstück

„Halbblut“, bis 7. September 2025, Freilichttheater am Kalkberg, Bad Segeberg.

Gleich zwei Ansprachen hält Winnetou zum Thema Antirassismus und Völkerverständigung und bekommt Applaus vom Publikum. Davor haben alle gelacht über den Bösewicht, der sich das N-Wort verkneift und sagt: „Man darf heute ja nicht mehr sagen, was man denkt.“ Und über den Spruch, dass man irgendwann mal Präsident der USA werden könne, wenn man seine Lügen nur so lange wiederholt, bis alle glaubten, sie seien wahr.

Wenn man so will, dann besteht auch Karl Mays Werk aus Lügen, die wiederholt werden, bis alle sie glauben. Allerdings taugen die Karl-May-Lügen hier auch dazu, dass sich die rund 7.500 Zu­schaue­r*in­nen zumindest situativ auf Antirassismus einigen können.

Man denkt: Wenn alle, die nach Winnetous Antirassismus-Ansprachen klatschen, nicht (mehr) AfD wählen, dann wäre viel gewonnen. Also ist es vielleicht so mit dem Schaden und Nutzen von Karl May: Das nudelt sich aus. Ein erfreuliches Unentschieden. Zumindest aus der Perspektive des woken weißen Mannes.

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Klaus Irler
Hamburg-Redakteur
Jahrgang 1973, fing als Kultur-Redakteur der taz in Bremen an und war dann Redakteur für Kultur und Gesellschaft bei der taz nord. Als Fellow im Digital Journalism Fellowship der Hamburg Media School beschäftigte er sich mit der digitalen Transformation des Journalismus und ist derzeit Online-CvD in der Norddeutschland-Redaktion der taz.
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8 Kommentare

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  • Ohne Navi durch die kunterbunte Kulturwelt. Wir gruseln uns in der Geisterbahn, onanieren zu Pornos, werden im Museum besinnlich, fiebern beim Sport mit usw. usf., und dann wird behautet, wir würden dabei etwas lernen fürs Leben und die Kultur wäre so wichtig für die Demokratie. Konsum? Können wir doch schon. Lernen wir von Kindesbeinen an.

    Apropos „Indianer“ und Multikulti: In den USA plakatierte White Supramcy große Werbetafeln mit der Botschaft, dass „weitere Migration in die USA das Ende der Indianer bedeuten würde“.

    Paternalistische Ordnungsgewalt mit Waffeneinsatz kann man im Kulturspektakel, als Variante zu Karl May, auch unserem „Winnetou-Vorzeigeindianer“ übertragen. Kommt beim breiten aka trunkenem Publikum immer gut an.

  • Ganz nett hier, aber haben sie schon mal als Erwachsener in einem Karl May Buch gelesen?

    Ich hab's probiert, aber musste nach etwa 50 Seiten aufgeben.

  • Die erste Seite von Winnetou sollte mensch einmal gelesen haben.



    May ist dabei weder wirklicher First-Nations-Versteher, noch unlesbar, sondern ein christlich-sächsisch geprägter Aufschneider-Autor, süffig aus Sicht von Jugendlichen schreibend (ich habe es als Grundschüler verschlungen) - und doch las ich es als Erwachsener mit historischem Wissen auch als etwas seltsam erneut.



    Schön, dass dies in der Aufführung weiterentwickelt zu sein scheint. Es ist ja niemandem verwehrt, sich über das echte Leben und die Geschichte von Wildem Westen und Orient noch zu informieren und auch die Klischees Karl Mays abzustreifen.

  • Es geht um Gut und Böse im Holzschnittformat. Kann damit gut leben, weil das Böse stets verliert.

  • Es gibt wohl wenige Autoren, die es geschafft haben, so viel Symphatien fuer den "sterbenden roten Mann" vermittelt zu haben, wie der Luegner und Betrueger Karl May.

    • @Klartext:

      das sehe ich auch so. In seiner Zeit war er progressiv und hat den Weg bereitet zum heutigem, noch progressiverem Zeitgeist aber ohne ihn und viele Andere seiner Zeit, wären wir heute maximal da, wo er schon damals war.

  • Schöner Text am Morgen nach den Texten über Trumps Anlauf, US-Sportclubs zurück zu ihren alten rassistischen Namen zu erpressen.

    • @Friedel Castrop:

      Ja da hab ich mich auch am Kaffee verschluckt. Nach dem Golf von Amerika jetzt wieder Redskins und Indians...



      Als nächstes wird dann in den Südstaaten die Sklaverei wiedereingeführt, um amerikanische Produktionskosten konkurrenzfähig auf dem Weltmarkt zu machen.



      Dann doch lieber Karl May als Trump