Katarina Witt über die Wende: „Man schweigt den Schmerz weg“

Die Eiskunstläuferin war ein Weltstar, der in der DDR lebte. Sie genoss Freiheiten, um die sie viele beneideten. Doch 1989 bedeutete auch für sie einen Einschnitt.

Die Ex-Eiskunsläuferin Katarina Witt während des taz-Interviews

Die einstige Eisprinzessin Katarina Witt blickt zurück auf die Wendezeit Foto: Stefanie Loos

taz am wochenende: Frau Witt, wir haben hier Fotos aus Ihrer Zeit in Karl-Marx-Stadt.

Katarina Witt: Ach, guck mal an. Die Frau Müller und ich in der Trainingshalle in Chemnitz! Oh Gott, wie toll, da müsste ich ungefähr dreizehn gewesen sein.

Wen sehen Sie auf diesen Bildern, wer waren Sie damals?

Das ist ein anderes Mädchen als das, an das ich mich erinnere. Kurze Haare, sehr burschikos, eher wie ein Junge. Und ich gucke da ziemlich ernst, Frau Müller sagt mir offenbar gerade, wo’s langgeht. Ich höre zu und hab ein bisschen Schiss.

Sie war ab 1977 Ihre Trainerin, hatte eine fast soldatische Ausstrahlung. Wie streng war diese Frau Müller tatsächlich?

Frau Müller war noch strenger, als man sich das ausmalen möchte. (lacht) Sie wollte das Beste von uns, das ist nun mal der Trainerjob. Da musste sie auch manchmal extrem sein, ohne dass man das gleich persönlich nimmt und sofort der Rechtsanwalt angerufen wird, wie das heute läuft. Der Sport war schließlich auch für mich eine ernste Sache. Wenn es nicht lief, hat man sich das sehr zu Herzen genommen. Ein Sportler muss im Grunde jeden Tag über seine Schmerzgrenze hinausgehen können, auch langweilige Sachen geduldig wiederholen.

Jutta Müller ist eine starke Frauenfigur in Ihrem Leben.

ist eine ehemalige deutsche Eiskunstläuferin, Jahrgang 1965. Sie startete im Einzellauf für die DDR, nach der Wende auch für die BRD. Sie errang zwei Olympiasiege (1984, 1988) und mehrere WM-Titel.

Absolut. Sie hat mich geprägt, ich habe lange mehr Zeit mit ihr als mit meiner Mutti verbracht. Wenn wir ins Ausland gereist sind, da hat sie mir auch mal ’ne Stulle geschmiert oder ein Würstchen unterm Wasserhahn warm gemacht. Wir haben ins Ausland Schwarzbrot und Salami mitgenommen, weil wir kaum Westgeld hatten, um uns was zu kaufen.

Junges Müdchen und Frau im Pelzmantel auf einer Eisbahn

Katarina Witt mit ihrer Trainering Jutta Müller in der Karl-Marx-Städter Trainingshalle Foto: Ute Mahler/Ostkreuz

Gibt es heute junge Frauen, die Sie fördern und fordern?

Na ja, ich fordere vor allem meine Umwelt heraus. (lacht) Aber klar, ich treffe oft Frauen, denen ich ein Vorbild war, für die ich ein anderes Bild von der DDR rübergebracht habe: nicht immer so trist, wie man uns darstellen wollte. Einige erzählen mir auch, sie seien nach mir benannt worden.

„Helden sind für mich die Leute, die 1989 auf die Straße gegangen sind. Die haben Mut gezeigt, Rückgrat“

Sind Sie eine Heldin?

Überhaupt nicht. Helden sind andere. Ich war eine Leistungssportlerin und habe da meine Frau gestanden, auch unter immensem Druck. Wir haben Leistungen geliefert, aber wir waren keine Helden, haben uns nicht aufgebäumt gegen etwas. Helden sind für mich die Leute, die 1989 auf die Straße gegangen sind. Die haben Mut gezeigt, Rückgrat. Ich hatte im Sport dagegen das, was ich machen wollte.

Wie kommt es eigentlich, dass es heute in der gesamtdeutschen Erzählung so wenige Heldinnen und Helden aus dem Osten gibt?

Ich bemerke, dass es da noch immer eine Trennung gibt. Als ich zum Beispiel nach dem Tod von Sigmund Jähn, dem ersten Deutschen im All aus der DDR, ein älteres Foto von uns beiden auf Instagram geteilt habe, kamen aus dem Osten diese Reaktionen: einer von uns, einer unserer Helden, einer von unserer Seite. Diese Reaktionen bekomme ich zu meiner Person auch. Auch mein Leben hat vor 89 stattgefunden und nach 89. Klar haben wir Nena und Modern Talking gehört – aber „bei uns“ sage ich, wenn es mit meinem ehemaligen Land zu tun hat. Auch wenn ich dies nicht wieder zurückhaben will. Jetzt gibt es andere Helden, für viele wird das gerade Greta Thunberg.

Als Sigmund Jähn verstorben war, entwickelte sich eine Debatte, ob jemand, der Generalmajor der DDR gewesen ist, zum Helden taugt. Wie sehen Sie das?

Ich finde es richtig, dass diese Diskussionen geführt werden. Aber das ist ja so, als würde man den Sportlern aus der DDR sagen: Ihr könnt keine Helden gewesen sein, denn ihr habt ja ’ne Diktatur repräsentiert. Sigmund Jähn und auch ich sind in der DDR aufgewachsen und zur Schule gegangen. Jähn wurde es dort ermöglicht, als erster Deutscher ins All zu fliegen. Was will man ihm da vorwerfen?

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter. Das Dossier zu "30 Jahren friedliche Revolution" aus der Ausgabe vom 2./3. November gibt es online hier.

Was wird Ihnen denn 2019 noch vorgeworfen? Sie galten lange als SED-Profiteurin.

Eigentlich nüscht. (lacht) Klar, es gab ’ne Zeit, wo ich sehr polarisiert habe. Letztendlich sagen eigentlich alle, ob Ost oder West, dass ich auf eine gute Weise meine Meinung, meine Haltung beibehalten habe. Ich habe meinem Land und dem Sportsystem alles zu verdanken, meiner Trainerin, meinen Eltern. Trotzdem bin ich nicht mit geschlossenen Augen durch die Welt gegangen, ich habe gesehen, dass der Sport der Bereich war, in dem Menschen wie ich ihre Träume verwirklichen konnten. In anderen Bereichen ging das nicht, und das war natürlich schlimm für die Betroffenen. Anderen wieder wurde vorgeschrieben, was sie lernen, studieren sollen.

Die Älteren erinnern sich an Sie als die Gold-Kati aus dem Osten, Jüngere haben Sie eher als Fernsehpromi auf dem Schirm. Als wer möchten Sie denn erinnert werden?

Ich will nicht als Fernsehpromi gesehen werden. Was ist das denn? Nüscht. Ich finde überhaupt dieses Promisein sehr fragwürdig. Ich komme vom Sport, und da habe ich eine Lebensleistung abgeliefert und dort fast ein Jahrzehnt die Weltspitze mitbestimmt. Das ist es, woran man sich erinnern soll.

Sie sind bekannt dafür, Ihr Privatleben sehr gut zu schützen. Kürzlich aber haben Sie doch eine sehr persönliche Geschichte erzählt. Für das Por­trätbuch „Ostfrauen verändern die Republik“ haben Sie geschildert, wie es Ihren Eltern nach der Wende gegangen ist.

Hören Sie auf, da fange ich gleich wieder an zu heulen.

Ihr Vater ist damals arbeitslos geworden, und Sie haben Ihre Eltern noch jahrelang unterstützt. Eine sehr ostdeutsche Erfahrung. Wie geht man als Kind damit um?

Ich war damals 23 Jahre alt. Meine Eltern, die heute über achtzig sind, waren damals also genauso alt wie ich heute. Die haben immer versucht, Probleme von uns Kindern fernzuhalten. Dieser Umbruch Anfang der Neunziger, der Schmerz, der damit einherging, die Verletzungen, das bricht ja jetzt erst auf. Unsere Eltern fangen jetzt erst an, offen zu reden, und das ist für uns, ihre Kinder, neu.

Wie war das damals in der Familie Witt?

Als die Mauer fiel, hatten meine Eltern schon ein langes Arbeitsleben hinter sich, die Kriegskindergeneration ist ja viel früher ins Berufsleben gestartet. Sie hatten erwachsene Kinder und die berechtigte Erwartung, jetzt ein Stück persönliche Freiheit gewinnen, die Früchte ihrer Arbeit ernten zu können. Also Anerkennung für ihre Arbeit, mehr persönliche Freiheiten, Erfahrungen weitergeben. Tatsächlich aber wurde ihnen gesagt: Wir haben eigentlich gar keinen Platz mehr für euch. Es ging da nicht nur um das Finanzielle, sondern auch um den verletzten Stolz, um diese Botschaft: Du bist überflüssig. Da wurde ihnen gesagt: Seid doch froh, ihr habt jetzt Freiheit, Demokratie. Aber was fängst du damit denn an, wenn gerade das gesamte Kartenhaus deines Lebens zusammenbricht und dich niemand an die Hand nimmt?

Was hätte denn damals geschehen müssen?

Es kam niemand und hat die Ostdeutschen an die Hand genommen. Unsere Kompetenzen waren nicht mehr gefragt. Die wenigsten waren ja Unternehmer, wir waren eher Macher, so haben wir das gelernt. Wir kamen aus einem Land, in dem – entschuldigen Sie den Ausdruck – aus Mist Bonbons gemacht wurde. Dinge wurden gelöst.

Aber 1990 kam dieses Prinzip an sein Ende.

Ja, so war das. Diese Generation musste nach dem Mauerfall um alles, alles kämpfen: ihre Rente, die Anerkennung der Abschlüsse und Studienzeiten, Frauenrechte, ihre Häuser und Wohnungen. Das ist das Problem heute: Diese Menschen fühlen sich zweitklassig behandelt. Sogar bei meiner Frau Müller habe ich das damals erlebt.

Für den einen war Linkssein mit dem antifaschistischen Staat DDR verbunden. Für die andere war Che Guevara in Argentinien gefühlt näher als das ehemals sozialistische Ostdeutschland. Ein persönliches Gespräch über Erinnerungen an den Mauerfall, die Unsicherheit nach der Wende und linke Identität als Ossi oder Wessi. Eine Sondersendung des taz-Podcasts Lokalrunde - das Stadtgespräch aus Hamburg und Berlin.

Was ist passiert?

Man hat diese Weltklassetrainerin wirklich kaltgestellt. Die Rivalitäten zwischen dem ostdeutschen und dem westdeutschen Eislaufverband brachen voll auf. Wir waren nun mal die Erfolgreicheren in den zurückliegenden Jahren, wir hatten die Weltmeister, die Olympiasieger. Da hatte man schon dieses Gefühl: Ihr habt verloren, und wir sagen euch jetzt, wo’s langgeht. Selbst hier also, in diesem überschaubaren Bereich, hat man es nicht geschafft, die besten Erfahrungen aus beiden Systemen zusammenzuführen. Es gab eine große Arroganz, so eine herablassende Siegermentalität.

Haben Sie persönlich das auch zu spüren bekommen?

Nein. Ich gehöre ja zum Glück dieser Generation an, für die sich die Türen noch mal weit geöffnet haben. Mit unserer Schulbildung, unserer Art, das Beste aus den Dingen zu machen, sind wir gut durch diese dreißig Jahre gekommen. Meine Generation hatte so viele Möglichkeiten. Ich konnte noch mal als Profi richtig durchstarten, die Möglichkeit hätte ich in der DDR sicher nicht gehabt. Ich habe eigentlich erst in den letzten Jahren richtig verstanden, was damals passiert ist. Wir aus dem Osten mussten uns mächtig durchbeißen, für viele mit mäßigem Ergebnis. Bis heute gibt es viel zu wenige Ostdeutsche in den Führungsposi­tionen. Warum eigentlich?

Sie sagen selbst, dass heute anders über die Zeit der Wende gesprochen wird. Haben Sie noch mal mit Ihren Eltern zurückgeblickt?

Zu Hause eher wenig. Da wird manches weggeschwiegen, man schweigt den Schmerz weg. Da geht es ja um Dinge, die im Nachhinein nicht mehr zu ändern sind. Wenn man dieser Generation sagt, ihr habt im falschen Land gelebt, im falschen System; damit sagst du ihnen ja, ihr habt vierzig Jahre das falsche Leben gelebt. Mit welchem Recht sollte man das sagen? Ist doch klar, dass diese Menschen sich damals arrangiert haben und sich manche Fehler des Systems schöngeredet haben. Es blieb ihnen ja nichts anderes übrig.

Also die Vergangenheit lieber beschweigen?

Ich finde die ganze Debatte gesellschaftlich enorm wichtig. Aber im Privaten ist es schwierig, ich spüre da eine große Traurigkeit und Verbitterung. Wissen Sie, meinen Eltern geht es gut. Ich habe sie ökonomisch auffangen können. Trotzdem war diese Zeit schwierig, besonders für Männer. Eigentlich sollten Väter für ihre Kinder sorgen und nicht Kinder für ihre Eltern. Heute ist das selbstverständlicher als vor 20 Jahren. Wir sollten als Jüngere da ein bisschen großzügig und weitherzig sein.

Es gibt die These, dass sich bestimmte Erfahrungen von Mi­gran­t*innen und Ostdeutschen ähneln: der Heimatverlust, die Entfremdung. Sie kennen doch die halbe Welt – kann man das so vergleichen?

Nein, das kann man nicht. Vergleichen kann man eher noch die jetzige Situation von Immigrant*innen aus Kriegsgebieten mit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Meine Mutti kam aus Hinterpommern, mein Vater aus Bessarabien, dem Gebiet des heutigen Moldawien, zum Teil mit der Kutsche und nur einem Koffer. Um irgendwo zu landen, was nicht ihr Zuhause war. Man kann die Ost­erfah­rung nicht mit dieser Form der Entwurzelung gleichsetzen. Und: Die Ost- und die Westdeutschen sprechen zumindest dieselbe Sprache, auch wenn wir uns hier und da nicht verstehen.

Dann kommen wir doch einmal zu Ihrer Heimat Chemnitz …

… ich weiß gar nicht, was meine Heimat eigentlich so ist. Auf Instagram schreibe ich immer von meiner „alten Heimat“.

Was ist dann die neue Heimat?

Brandenburg und Berlin, hier lebe ich.

Ihre alte Heimat Chemnitz jedenfalls bewirbt sich gerade als Kulturhauptstadt 2025. Sie hatten sich dazu vor sechs Monaten positiv geäußert.

Ich fände es gut, wenn Chemnitz das schafft, ja.

Das Motto der Bewerbung ist „Chemnitzer Aufbrüche“. Es geht um Konflikte und Gewalt, mit der die Stadt umgehen müsse. Gemeint sind die rechtsextremen Ausschreitungen im letzten Jahr. In einem Interview meinten Sie, Sie seien über diese erschrocken gewesen. Was genau hat Sie erschreckt?

Mich hat erschreckt, dass die Szene überhaupt so groß werden konnte. Und dass diese Demonstranten dann vor unserem Karl-Marx-Nischel standen. Ich seh’ dann den Nischel, die Straße der Nationen, ich seh’ uns im Trainingsanzug am 1. Mai de­mons­trie­ren, und da war alles so farbig. Okay, dann sagen die Nächsten jetzt, dass wir für eine Diktatur demonstriert haben. Jedenfalls sah ich letztes Jahr eben diese Bilder, auf denen alles einfach nur dunkel ist, schwarz und dunkelbraun, Menschen mit Aggressionen. Solche Bilder erschrecken mich. Und deshalb bin ich dann umso dankbarer und beruhigter, weil es genug Menschen gibt, die mit den Kindern und den Kinderwagen, bunten Fahnen und Regenbogen dann doch losziehen und sagen: Wir sind eine bunte und offene Gesellschaft.

Warum sprechen Sie nicht konkret von rechtsextremer Gewalt, von Nazis, die in Chemnitz aufmarschiert sind? Versuchen Sie bewusst, vorsichtig mit bestimmten Begrifflichkeiten umzugehen?

Ja, das versuche ich tatsächlich. Vielleicht ist es ein Fehler. Doch, man muss es ansprechen. Wenn Menschen auf einer Demonstration den Arm zum Hitlergruß heben oder Hakenkreuze tragen, ist das Rechtsextremismus. Dem muss man sich entgegenstellen. Viele sind zu Mitläufern geworden. Das will ich nicht entschuldigen. Aber ich denke, die sind nicht unbedingt rechts. Sie sind verzweifelt, weil sie sich nirgendwo mehr zugehörig fühlen.

Glauben Sie, dass reden helfen könnte?

Ja, wenn man dialogbereit ist. Das sind aber längst nicht alle. Gerade bei Rechtsextremismus ist der Staat gefordert. Da muss viel rigoroser durchgegriffen werden. Da hat man doch die Zügel ein bisschen schleifen lassen. Auch bei Pegida in Dresden: Wenn da Plakate mit Frau Merkel am Galgen zu sehen sind, dann muss es sofort einen Zugriff geben, und die Menschen gehören abgeführt. Meinungsfreiheit hin oder her. Es gibt Regeln und es gibt Grenzen, auch in einer Demokratie.

Um Freiheit wurde im Herbst 1989 gekämpft. Die naheliegendste Frage überhaupt: Wo waren Sie am 9. November 1989?

Ich war in Sevilla in Spanien. Ich hatte den „Carmen on Ice“-Film gedreht. Also befand ich mich auf dem Eis – wo auch sonst? Wir hatten Nachtdreh, da kam unser Produzent ans Set. Ein ehemaliger Dresdner, Republikflüchtling. Er kam und sagte auf Sächsisch: Di Maur is gefalln. Ich so: Wie? Das war komplett absurd. Dann haben wir den Dreh beendet, gegen 6 Uhr morgens fahre ich zurück ins Hotel, mache das Fernsehen an und sehe diese Bilder. Ich saß auf dem Bett, starrte wie gespannt auf den Fernseher und konnte noch gar nicht einordnen, was da eigentlich gerade passiert.

Sie waren 1989 zwar noch DDR-Bürgerin, aber eigentlich schon weg. Sie hatten die Freiheit schon erreicht.

Das wird immer so übertrieben. Ich lebte ja noch immer in der DDR und war dort auch weiterhin zu Hause. Ich hatte nicht die unendliche Freiheit. Ich musste mir diese immer für das jeweilige Projekt erkämpfen, in dem Fall für „Carmen on Ice“.

Dann vergessen wir die grenzenlose Freiheit …

… aber natürlich lebte ich in meiner eigenen Blase, in der alles ein bisschen großzügiger war. Es war aber nicht so, dass ich einen Pass hatte und fahren konnte, wohin ich wollte. Ich musste das anmelden.

Wir wollten eigentlich auf ­Ihren Erfahrungshorizont hi­naus.

Den hat man mir ja vorgeworfen. Relativ flott, vielleicht schon am 10. November war ein Fernsehsender bei mir am Set in Sevilla und fragte mich, was ich jetzt über die Maueröffnung denken würde. Und ich habe dann gesagt, dass das toll ist. Und dass ich meinen Landsleuten gönne, dass sie endlich reisen können. Ich habe auch gesagt: Ich habe die Welt gesehen, und es ist nicht alles Gold, was glänzt – also gebt den Menschen Zeit. Und dafür hat man mich dann als „SED-Ziege“ und „Rote Socke“ beschimpft.

„Die Bezeichnung ‚Ostfrau‘ ist für mich mittlerweile ein Gütesiegel“

Sind „Ossi“ und „Wessi“ für Sie Schimpfwörter?

„Ossi“ und „Wessi“ ist eher eine Frotzelei. Grundsätzlich ist aber „Ossi“ eher positiv bei mir ­besetzt als „Wessi“. (alle lachen) Für mich ist die Bezeichnung „Ostfrau“ mittlerweile ein Güte­siegel.

Stimmt, irgendwann muss man aufhören, sich dafür zu schämen.

Ich habe mich nie geschämt. Wir sind da im Sport anders aufgewachsen. Im Sport gab es eine extreme Gleichberechtigung zwischen den Mädchen und den Jungs. Wir haben zusammen trainiert und uns auf Augenhöhe aneinander gemessen. Lustigerweise waren wir Mädchen im Eiskunstlaufen in der einzigen Sportart, in der auch in den Neunzigern die Frauen mehr verdient haben als die Männer. Diese Diskussionen aus dem Fußball oder Tennis hatten wir nie.

Was unterscheidet Ost- und Westfrauen?

Wir sind viel selbstverständlicher auf Augenhöhe mit den Männern aufgewachsen, das hatte schon unsere Elterngeneration so vorgelebt. Meine Eltern haben beide gearbeitet. Sie haben sich den Haushalt geteilt und sind gemeinsam mit der Wäsche überm Arm zur Mangel gegangen.

Da waren Ihre Eltern aber sehr fortschrittlich. In der DDR arbeiteten die Frauen ja eigentlich doppelt voll: Vollzeit auf der Arbeit und dann noch einmal genauso lange zu Hause ….

Ich kenne auch meinen Vati schrubbend in der Wohnung. Er hat auch immer gekocht. Überhaupt kenne ich es nur so, dass die Männer in der Küche stehen, nicht die Frau. Mein Bruder, mein Onkel, mein Vati – bei uns waren die Männer am Herd.

Und hat das zu späteren Konflikten in Beziehungen zu Männern geführt?

(lacht) Gar nicht.

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