Katastrophe im Hillsborough-Stadion: Lügner in Uniform

Nach 23 Jahren enthüllt ein Bericht das Polizeiversagen beim tödlichen Pokalspiel von Hillsborough. 1989 starben 96 Menschen, von denen 41 wohl überleben hätten können.

Gedenken an die 96 Toten zwei Tage nach der Katastrophe im Hillsborough-Stadion. Bild: dapd

DUBLIN taz | Es hat 23 Jahre gedauert, bis die Wahrheit ans Licht kam. Damals, am 15. April 1989, starben 96 Menschen im Gedränge beim Pokalhalbfinale zwischen dem FC Liverpool und Nottingham Forest im Hillsborough-Stadion von Sheffield. Die Polizei gab den Liverpool-Fans die Schuld: Sie seien betrunken und aggressiv gewesen.

Ein unabhängiger Ausschuss unter Vorsitz des Bischofs von Liverpool, James Jones, kam jetzt zu einem anderen Ergebnis. Der Ausschuss hat rund 450.000 Dokumente unter die Lupe genommen. Am Mittwoch veröffentlichte er seinen 395 Seiten umfassenden Bericht. Darin kommt die Polizei von South Yorkshire nicht gut weg. Die Beamten begannen ihre Diffamierungskampagne bereits, als die Toten noch in einer provisorischen Leichenhalle in Hillsborough lagen, heißt es in dem Bericht.

Die Polizei ließ Blutproben von allen Opfern nehmen, auch von einem Zehnjährigen. Das sei „eine außergewöhnliche Entscheidung“ gewesen, für die es keinen triftigen Grund gegeben habe, so der Ausschuss. Als sich herausstellte, dass kein Alkohol im Spiel war, durchforstete die Polizei ihre Verbrecherkartei, um rauszufinden, ob einige Opfer vielleicht vorbestraft waren.

Vier Tage nach der Katastrophe hatte Polizeichef Peter Wright seine Leute in einem Restaurant zusammengetrommelt, um eine Verteidigungsstrategie und eine „wasserdichte Geschichte“ zu entwickeln. Sein Sekretär Paul Middup schrieb im Protokoll, Wright habe ihm freie Hand gegeben, eine Version zu veröffentlichen, die der Polizei den Rücken freihalte.

Insgesamt wurden 116 von 164 Aussagen junger Polizisten entweder gestrichen oder verändert, so dass nicht der Hauch einer Kritik an der Polizei übrig blieb. Vor allem fielen die Hinweise auf Beinahe-Katastrophen bei früheren Pokalspielen in Hillsborough unter den Tisch. Maria Eagle, Abgeordnete von Liverpool, bezeichnete das Polizeiteam als „Einheit für schwarze Propaganda“.

Entschuldigung nach 23 Jahren

Die Sun titelte damals: „Die Wahrheit“. In dem Artikel folgte der Autor wortgetreu der Version, die dem Boulevardblatt von der Polizei übermittelt worden war. Demnach hatten betrunkene Liverpool-Fans auf Polizisten uriniert und die Toten ausgeraubt. Das Blatt wurde daraufhin lange Zeit in Liverpool boykottiert.

Der damalige Chefredakteur Kelvin MacKenzie entschuldigte sich am Donnerstag für die Schlagzeile: „Die Überschrift ’Die Lügen‘ wäre passender gewesen.“ Auch Londons Bürgermeister Boris Johnson musste sich entschuldigen. Als Chefredakteur des Magazins Spectator hatte er den Liverpool-Fans die Schuld an der Katastrophe gegeben.

Der Ausschuss zog am Mittwoch das Fazit, dass es keine Hinweise gebe, die die Anschuldigungen der Polizei in Hinblick auf Trunkenheit, fehlende Eintrittskarten oder Gewaltbereitschaft der Liverpool-Fans untermauerten. Hauptgrund für die Katastrophe seien die Fehler der Polizei gewesen, deren Einsatz von einem unerfahrenen Beamten geleitet wurde. Hätten Polizei und Ambulanzen ihre Arbeit ordentlich gemacht, hätten 41 der 96 Opfer überleben können.

Es sei eine Schande für Großbritannien, dass es mehr als 20 Jahre gedauert habe, um die Fehler offenzulegen, die zu der Katastrophe beigetragen hätten, sagte Premierminister David Cameron. Generalstaatsanwalt Dominic Grieve muss nun entscheiden, ob er eine neue Untersuchung einleitet. Möglich sind auch Anklagen gegen Polizisten, Stadion-Funktionäre und Stadtverordnete wegen Verletzung der Sicherheitsbestimmungen. Trevor Hicks von der Organisation „Hillsborough Justice Campaign“ sagte: „Heute ist die Wahrheit ans Licht gekommen. Morgen geht es um Gerechtigkeit.“

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