Kein Mittel gegen Alzheimer: Zum Vergessen

Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko, an Alzheimer zu erkranken. Bisher gibt keine Möglichkeit, die Demenzerkrankung aufzuhalten.

Rentner aus einem Altersheim im Rollstuhl und mit Rollator beim Spaziergang durch eine Parklandschaft

Sozialkontakte und Bewegung sind zwar kein Allheilmittel, fördern aber die Gesundheit Foto: Rust/imago

Es ist wohl der Verlust der eigenen Identität und der Selbstbestimmtheit, welche die Alzheimer-Erkrankung so beängstigend machen. Vielleicht auch, dass wir nichts dagegen tun können, wenn die Erinnerungen langsam schwinden und Bekanntes fremd wird – eine Heilung gibt es nicht. Medikamente können allenfalls die Symptome hinauszögern. Seit vielen Jahren gab es keinen nennenswerten Fortschritt auf der Suche nach Therapien. Und das, obwohl etwa 50 Millionen Menschen weltweit an Demenz erkrankt sind und die Zahl sich in den nächsten 30 Jahren möglicherweise verdreifachen wird.

Patienten fragen nach der Diagnose einer Alzheimer-Erkrankung häufig, was sie selbst gegen das Vergessen tun können. Leider sei das viel zu spät, sagt Professor Lutz Frölich, Leiter der Gerontopsychiatrie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. „Eigentlich müssten die Menschen schon mit der Vorsorge beginnen, bevor das Thema Alzheimer ihnen überhaupt in den Sinn kommt.“

Denn es ist tatsächlich möglich, sich gegen die Erkrankung zu schützen – oder zumindest das eigene Risiko zu senken. Einige Faktoren, wie etwa die genetische Veranlagung, können wir nicht beeinflussen, andere jedoch schon. Das beginnt bereits früh im Leben: Studien haben gezeigt, dass eine gute Bildung mit einem geringeren Alzheimer-Risiko einhergeht. Das liegt vermutlich daran, dass wir eine Art Gehirnreserve aufbauen. Grob gesagt: Je mehr wir wissen und je besser unser Gehirn auf logisches Denken trainiert ist, desto eher können wir eventuelle Verluste im Alter ausgleichen.

Auch eine gesunde, ausgewogene Ernährung und körperliche Aktivität können helfen. Sie verringern zudem unser Risiko für Bluthochdruck, der seinerseits die Entstehung einer Demenz begünstigt. Wer ein aktives Sozialleben führt, beugt damit ebenfalls der Alzheimer-Erkrankung vor. Negativ wirken sich dagegen Depressionen und Isolation aus. Viele dieser Faktoren beeinflussen sich gegenseitig.

Hörgeräte können helfen

So ist Sport auch hilfreich, um Kontakte zu knüpfen und sogar die Symptome psychischer Erkrankungen wie Depressionen zu lindern. Wer wiederum häufig depressiv ist, zieht sich eher zurück und trifft seltener Freunde. Wichtig ist auch das Gehör: Oft meiden schwerhörige Menschen soziale Situationen. Hörgeräte können viel helfen und für ein aktiveres und angeregteres Leben sorgen.

„Wenn wir an einigen dieser Aspekte arbeiten, könnten wir viele Alzheimer-Fälle verhindern“, sagt Professor Richard Dodel, Leiter des Lehrstuhls für Geriatrie an der Universität Duisburg-Essen und Demenz-Experte der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN).

Allerdings zeigen die meisten Studien zur Alzheimer-Prävention nur Korrelationen

Allerdings zeigen die meisten Studien zur Alzheimer-Prävention nur Korrelationen, also Zusammenhänge im Sinne von „Wer Sport macht, hat seltener Demenz“. Das zeigt aber nicht direkt, dass Sport eine Alzheimer-Erkrankung abwendet, wenn wir uns eigentlich (etwa durch unsere Gene) auf dem Weg dorthin befinden.

Etwas anders war es bei der sogenannten FINGER-Studie: Hier teilten die schwedischen und finnischen Wis­­senschaftler*innen die Teilnehmenden in zwei Gruppen ein. Eine Interventionsgruppe bekam einen Ernährungsplan, Sport- und Hirnaufgaben, die Kontrollgruppe nur allgemeine Tipps für ein gesundes Leben. Alle Testpersonen waren zwischen 60 und 77 Jahre alt und zeigten teilweise bereits leichte Beeinträchtigung bei den geistigen Fähigkeiten. Das Ergebnis: Die Intervention half, die Teilnehmenden geistig fit zu halten oder ihre Fähigkeiten sogar noch zu verbessern. Ein starkes Argument, unser Leben entsprechend umzukrempeln?

Nun, ganz so einfach ist es nicht. Die Autor*innen der Studie empfanden es schon als Erfolg, dass nur 12 Prozent der Teilnehmenden das Experiment vorzeitig abbrachen. Denn es erforderte drastische Veränderungen der Gewohnheiten. Genau regulierte Mahlzeiten, bei denen die Testpersonen darauf achten mussten, wie viel Fett, Protein und Kohlenhydrate sie zu sich nahmen. Auch der Verzehr von Salz, Zucker und Alkohol war deutlich eingeschränkt. Dazu kamen 3 bis 8 Sporteinheiten pro Woche und verschiedene Hirntrainings, also ein großer Zeitaufwand.

Möglicherweise helfen schon kleinere Veränderungen in unserem Alltag – es gibt allerdings bisher keine Studien, die das eindeutig belegen. Und die Alzheimer-Vorsorge leidet unter dem gleichen Problem wie andere Präventionen: Solange wir die Krankheit nicht haben, fehlt oft die Motivation für ein gesundes Leben.

Besonders, wenn es Verzicht bedeutet: Verzicht auf Alkohol, auf das Rauchen, auf Fastfood und Süßigkeiten. Schließlich wissen wir, dass ausgewogenes Essen und regelmäßige Bewegung uns gesund halten. Das Herz, die Niere, die Lunge, unser gesamter Körper profitiert davon. Trotzdem reicht das Wissen bei einigen Menschen nicht aus, den Magnetismus der Couch aufzuheben und gesundes Essen auf den Tisch zu stellen.

Würde es helfen, die Alzheimer-Erkrankung bereits in einem sehr frühen Stadium zu erkennen? Dann wäre es möglicherweise nicht zu spät, etwas zu ändern, und es gäbe ausreichend Motivation. Neue Tests werden derzeit ständig entwickelt und geprüft. Je weniger invasiv, desto besser und einfacher. Deshalb arbeiten Wissenschaftler*innen an Bluttests, die möglichst akkurat Alzheimer-Demenz vorhersagen sollen.

„Ein Bluttest wird vermutlich in zwei bis drei Jahren auf den Markt kommen“, schätzt Richard Dodel. Dabei geht es allerdings um einen Test zur Sicherung der Diagnose – also dann, wenn man eine Erkrankung vermutet. Für die Prävention weiterhin zu spät. Die Tests können nur Veränderungen erkennen, die bereits stattgefunden haben. Ob sich der Prozess dann noch aufhalten lässt, ist fraglich.

Lutz Frölich sieht den Nutzen der Bluttests eher darin, nach der Diagnose die Patienten besser zu begleiten oder klinische Studien zu unterstützen. Selbst, wenn man die Erkrankung schon früh im Leben vorhersagen könnte: Ohne wirksame Medikamente würde Frölich davon abraten, jüngere Menschen „einfach so“ zu testen. „Bei einem positiven Befund kann ich ihnen schließlich nur raten, gesund zu leben – und dafür brauche ich keinen Test.“

Wichtig ist es daher vor allem, mehr über die Erkrankung zu erfahren. Warum zeigen manche Menschen typische Veränderungen im Gehirn, aber keine Symptome? Wann setzt die Erkrankung ein? Lässt sich der Verlauf beeinflussen, wenn wir die Ablagerungen im Gehirn eindämmen oder entfernen? Welche Medikamente können tatsächlich helfen?

Meldungen von möglichen Therapien kommen immer mal wieder auf. Zuletzt machte der Wirkstoff Aducanumab Schlagzeilen, der es in die Phase 3 der klinischen Studien geschafft hatte. Dann die Enttäuschung, als die Studien für gescheitert erklärt wurden. Und plötzlich wieder Hoffnung, als die Auswertung aller Daten doch Hinweise auf wirksame Effekte lieferte. Nun hat die Firma Biogen einen Zulassungsantrag bei der Food and Drug Administration (FDA) in den USA gestellt. Bis Ende März 2021 soll die Entscheidung fallen. Unabhängig vom Ausgang geht die Forschung weiter, offene Fragen halten sich hartnäckig.

Vorerst bleibt uns das Dilemma: Schaffen wir es, gesund zu leben, solange der Gewinn nur ein vages Versprechen ist? Vielleicht gelingt es besser in kleinen Schritten. Hier ein Glas Alkohol weniger, dort ein paar Beeren und Nüsse mehr, eine Runde Jogging pro Woche – den richtigen Weg muss ohnehin jede*r für sich selbst finden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.