Kennzahlenvergleich bei Abschiebungen: Hannover sucht den Superabschieber

Niedersachsens Innenministerium will Optimierungsmöglichkeiten bei Abschiebungen feststellen. Die Kommunen sind sauer.

Ein Flugzeug fliegt über einem Gebäudekomplex, der der Unterbringung von Asylbewerbern in Abschiebungshaft dient.

Hauptsache weg? Ein Flugzeug über einem Abschiebeknast in Hannover Foto: dpa

HAMBURG taz | Die Irritation ist deutlich zu hören: „Wir haben erwartet, dass es ein Entschuldigungsschreiben gibt“, sagt Hubert Meyer, Hauptgeschäftsführer des Niedersächsischen Landkreistags (NLT). Stattdessen habe das niedersächsische Innenministerium lediglich ein Rechtfertigungsschreiben an die aufgebrachten Kommunen geschickt. Grund des Streits: ein Kennzahlenvergleich zur Abschiebepraxis, anhand dessen das Ministerium ersehen kann, wie erfolgreich die Kommunen dabei sind.

Diese Praxis ist in den Augen der Kommunen doppelt fragwürdig. Zum einen sei die zugrunde gelegte Statistik „reiner Unsinn“, sagt Hubert Meyer. Denn dort würden alle „im Prinzip“ ausreisepflichtigen Menschen aufgeführt, unabhängig davon, ob sie eine Duldung hätten, etwa wegen einer begonnen Ausbildung, die eine Abschiebung verhindert.

Außerdem sei die Situation in den verschiedenen Kommunen sehr unterschiedlich – man vergleiche da sozusagen Äpfel mit Birnen. Manchen Kommunen würden viele sogenannte „Dublin-Fälle“ zugewiesen, denen „praktisch nie“ eine Duldung ausgesprochen würde, sagt Meyer. Andere Landkreise bekämen dagegen mehr Asylbewerber zugeteilt, die durchaus Perspektiven zumindest auf eine Duldung hätten. Insofern sei die Quote derer, die überhaupt tatsächlich abgeschoben werden könnten, sehr unterschiedlich und von den Kommunen selbst nicht beeinflusst.

Auch in anderer Hinsicht sieht Meyer den MitarbeiterInnen der Landkreise weitgehend die Hände gebunden: etwa beim Besorgen von Passersatzpapieren. Die nicht zu bekommen, sei nicht „die Verantwortung einer schlampigen Verwaltung“. Eine Kommune sei schlicht nicht in der Lage, die Staatsrechtspolitik eines ausländischen Landes zu beeinflussen. Auch die schlechte Besetzung der Bundespolizei und fehlende Charterflüge könnte man nicht den Kommunen anlasten.

2018 hat Hamburg 538 Abschiebungen vollzogen und 619 abgebrochen.

Schleswig-Holstein vollzog 343 und brach 1.018 ab.

Mecklenburg-Vorpommern vollzog 368 Abschiebungen und brach 931 ab.

In Bremen gab es 95 Abschiebungen.

In Niedersachsen ist, so man den Begriff benutzen möchte, ein Viertel der Abschiebungen erfolgreich. Laut Innenministerium sind die Hauptgründe für den Abbruch einer geplanten Abschiebung das Nicht-Antreffen der Betroffenen, Umbuchung des Flugs und aktiver oder passiver Widerstand der abzuschiebenden Person.

Das System der Kennzahlen, so heißt es aus dem Haus, sei keine Erfindung des Ministeriums gewesen. Vielmehr habe der Landtag – ausgehend von einem Hinweis des Landesrechnungshofes – die Landeregierung aufgefordert, „auf Grundlage definierter Kennzahlen Optimierungspotenziale bei der Rückführung vollziehbar ausreisepflichtiger Personen durch die örtlich zuständigen kommunalen Ausländerbehörden zu eruieren“, so heißt es in der Antwort der Innenbehörde auf eine Anfrage der taz.

Es sei dabei „wichtig festzuhalten“, dass „ein niedriger Wert bei der ermittelten Kennzahl noch keine Bewertung der von der jeweiligen Ausländerbehörde geleisteten Arbeit“ erlaube. Den Vorwurf, die zugrunde liegenden Zahlen seien unsinnig, weist das Ministerium zurück. Alle geduldeten Personen seien „vollziehbar ausreisepflichtig“.

Unterstützung erwünscht

Wozu das Verfahren gut ist, wenn die Kennzahlen nicht notwendigerweise Aufschluss über die Qualität der Arbeit vor Ort geben? Die Kommunen sollten prüfen, „ob Optimierungsbedarf bei der Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen besteht“, heißt es dazu relativ allgemein in der Ministeriums­antwort. Auch in der Frage der Verantwortlichkeit für erfolglose Abschiebungen wird man nicht sehr konkret: „Die Gründe“, so heißt es, „können sehr vielfältig sein. Diese konkret in Erfahrung zu bringen, sei Funktion der Schreiben an die Kommunen.

Geht es nach denen, stellt das Ministerium sie möglichst rasch ein. Doch dort ist von solchen Plänen nichts bekannt. NLT-Hauptgeschäftsführer Hubert Meyer wünscht sich statt Belehrungen Unterstützung – etwa bei der Aufgabe, Passersatzpapiere zu besorgen. Die Praxis des Kennzahlenvergleichs nennt er eine „sehr unschöne Art der Statistik“. Die Organisation der Abschiebungen sei ohnehin „einer der unangenehmsten Jobs, die wir haben, wir kümmern uns lieber um Integration“.

Ungutes politisches Klima

Glaubt man dem niedersächsischen Flüchtlingsrat, so ist die Diskussion um Abschiebezahlen ohnehin „fragwürdig“, so sagt es dessen Geschäftsführer Kai Weber. Seit 2015 hätte sich die Zahl der Geflüchteten verfünffacht, während sich die der Ausreisepflichtigen nur verdoppelt habe. Abschiebungen seien nicht dringlicher geworden, sondern das politische Klima habe sich verschärft.

Innenminister Boris Pistorius (SPD) habe noch 2015 Aktivisten, die Abschiebungen blockierten, versichert, es sei legitim, sich so zu engagieren. Und in der Flüchtlingspolitik sollte nach der Ära Schünemann ein Paradigmenwechsel stattfinden mit einer Politik, die statt auf Abschiebungen auf freiwillige Rückkehr setzte. Stattdessen treibe nun bundesweit die AfD die Politiker der Mitte vor sich her.

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