Kinderschutz: "Keine absolute Sicherheit"

Nach der Entdeckung eines "Kellerkinds" in Bad Segeberg wird über grundlegende Defizite diskutiert. Immer mehr Kinder aus ihren Familien genommen

Gesteigertes Interesse: Segebergs Landrätin Jutta Hartwieg und Kreisjugendamtsleiter informieren im September die Presse. Zuvor war ein Dreijähriger aus einer verschmutzen Kellerwohnung befreit worden Bild: dpa

BAD SEGEBERG taz | „Nein“, antwortet Birgit Heß knapp. Gefragt worden war die Kieler Oberstaatsanwältin danach, ob es Neues gibt in den Ermittlungen gegen Jugendamt und Eltern des „Kellerkinds“ von Bad Segeberg. Durch Zufall war dort im Juni ein Dreijähriger in einem verdreckten Keller entdeckt und daraus befreit worden. Im Nachhinein stellte sich heraus: Das Jugendamt hatte wesentliche Teile des Sorgerechts inne gehabt.

Ein Blick in die Statistik nährt die Sorge, dass der Segeberger Fall kein einzelner ist: Bundesweit wurden im vergangenen Jahr 38.500 Kinder und Jugendliche in staatliche Obhut genommen, das sind sechs Prozent mehr als im Vorjahr. Auch in Schleswig-Holstein steigt deren Zahl kontinuierlich, hat sich von 896 Fällen im Jahr 2004 auf zuletzt 1.952 mehr als verdoppelt (siehe Kasten).

Das merkt auch der Kinderschutzbund. Nach Angaben von dessen schleswig-holsteinischer Landesvorsitzenden Irene Johns stieg die Zahl der Hilfeanfragen in den drei Kinderschutzzentren des Landes zwischen 2007 und 2010 um 20 Prozent. Bei den Fachberatungen hätten sich die Zahlen zwischen 2006 und 2010 gar verdoppelt. Dies hängt Johns zufolge mit der rechtlichen Stärkung des Kindeswohls durch neue Gesetze zusammen. „Die personellen Ressourcen“, sagt sie, „sind leider nicht aufgestockt worden.“ Den Segeberger Fall nennt Johns „besonders traurig“, und fürchtet, „dass wir solche Fälle weiter haben werden“. Zugleich begrüßt sie, dass sich der Kreis um Aufklärung bemühe.

In Deutschland kamen 2011 38.500 Kinder in Obhut. 41 Prozent kehrten zu den Eltern zurück.

In Schleswig-Holstein wurden 2010 1.880 und 2011 1.952 Kinder aus ihren Familien geholt.

Das Jugendhilfegesetz (Sozialgesetzbuch VIII) verlangt partnerschaftliche Zusammenarbeit öffentlicher und freier Jugendhilfe. Erstere soll "von eigenen Maßnahmen absehen", soweit Einrichtungen und Dienste von freien Trägern betrieben werden. (FBT)

Mehr Personal für das Jugendamt fordert Gerd-Rainer Busch (SPD), Chef des Jugendhilfeausschusses im Bad Segeberger Kreistag. Betreuer dürften sich nur noch um 50 Fälle kümmern, „zurzeit sind es über 100“. Sobald in der nächsten Ausschusssitzung am 18. Oktober der beauftragte Gutachter Bericht erstattet habe, werde man „sofort mit allen in Clinch gehen, die es angeht“, so Busch. Ihn nerve, dass im Kreisparlament vor allem diejenigen am lautesten nach Veränderungen riefen, die zuvor den Personaletat des Kreises gedeckelt hätten, sagt der Sozialdemokrat – „das betrifft die ganze schwarz-gelbe Seite“.

Nicht zuletzt hat die Sache in Segeberg auch eine Debatte darüber ausgelöst, welche Rolle den freien Trägern zukommt: An einen solchen hatte das Jugendamt die Betreuung der Familie delegiert. Laut Frank Strutz-Pindor vom Kieler Sozialministerium, in dem das Landesjugendamt angesiedelt ist, sieht das Sozialgesetzbuch für freie Träger einen Vorrang in der Jugendhilfe vor – sofern sie geeignete Dienste anbieten. Aus der „weichen“ Formulierung des Gesetzestextes folge ein Kooperationsgebot.

Den Personalbedarf in den Jugendämtern müssten grundsätzlich die Kreise einschätzen, sagt Strutz-Pindor. Zu glauben, mehr Personal allein löse Probleme, könne fatal sein, das habe sich in Hamburg gezeigt, sagt er: „Das Schutzkonzept ist maßgeblich.“

Würden Überlastungsanzeigen gestellt, müssten die Gründe sofort abgestellt werden – das scheine in den Landkreisen auch zu geschehen, sagt Strutz-Pindor. Was nicht bedeute, dass in Bad Segeberg alles richtig gemacht wurde, so Strutz-Pindor. Fälle wie der dortige zeigten, dass es keine hundertprozentige Sicherheit gebe.

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