Kinofilm „Destroyer“: Für ihr Kind geht sie über Leichen

Im Thriller „Destroyer“ begeistert Nicole Kidman mit einem brutal nüchternen Auftritt. Karyn Kusama ist ein versierter Film Noir gelungen.

Eine Frau mit grimmiger Mine sitzt auf der Treppe vor einem Wohnhaus

Die wandlungsfähige Nicole Kidman als abgehalfterte Polizistin Erin Bell Foto: Concorde Filmverleih GmbH

Karyn Kusama, die Regisseurin von ­„Destroyer“, verbindet mit ihrer Hauptdarstellerin Nicole Kidman die Souveränität im Angesicht großer Herausforderungen. Kusama wurde als aufstrebende Sundance-Gewinnerin gefeiert, hätte einen ähnlichen Erfolgsweg wie ihre Kollegin Patty Jenkins (von „Monster“ mit Charlize Theron zu ihrer Blockbuster-Comicverfilmung „Wonder Woman“) beschreiten können, fiel jedoch als unerfahrene Jungregisseurin mit ihrer ersten Großproduktion auf die Nase.

Kidman kennt das Auf und Ab in der Filmbranche ebenfalls, sie scheute in ihrer Karriere davon unbeeindruckt nie das Risiko. Als abgehalfterte Polizistin Erin Bell liefert sie in „Destroyer“ einen brutal nüchternen Auftritt und verschafft einem kleinen Film eine beachtliche Tragweite.

Zunächst spielt Kusama mit ihrem Thriller „Destroyer“ ein Verwirrspiel und verschleiert, was Sache ist. Denn das meiste wurde verdrängt. Von Behörden. Von den Schuldigen sowieso. Von den Mundtoten natürlich auch. Schon in der ersten Szene liegt da eine Leiche mit mysteriösen Tattoos. Erin Bell taucht auf, sie hat schon viele Tote gesehen. Zurück im Auto, um über das Gesehene nachdenken. Der Film hält kurz inne. Dann zieht das Tempo an.

Es fallen Namen von Kriminellen, mysteriöse Briefe mit eingefärbten Geldscheinen zirkulieren. Wer Schritt halten will, muss genau aufpassen. Der Film formuliert seinen Wissensvorsprung als Herausforderung ans Publikum. Dann beginnen die Rückblenden: Erin ist noch nicht lange im Dienst, als sie sich entscheidet, verdeckt zu ermitteln. Mit ihrem Kollegen Chris (Sebastian Stan) tritt sie einer Gang bei, die sie zu schnell in ihren Bann zieht. In der Gruppe von Silas (Toby Kebbell) taugen Drogen nur als Zeitvertreib. Das Ziel sind bewaffnete Raubüberfälle.

Flächendeckende Zerstörung

Kollisionen sind vorprogrammiert in diesem Film, der die Zeit­ebenen jedoch gern so verschachtelt, dass es immer wieder um grundlegende Einsichten statt um simple Affekte geht. Nur Kausalität, die wird in „Destroyer“ in aller Drastik ausgespielt. Die Vergangenheit und die Gegenwart dieser filmischen Welt befinden sich fest im Griff von Gewalt und extremen Temperamenten.

„Es hat sich in mein Gehirn eingebrannt“, meint Bell zu ihrer Tochter und erzählt davon, wie sie ihm Wahnsinn aufwuchs, mit einem Blick, in dem sich gleichermaßen scharfe Klarheiten, tiefe Gefühle und noch tiefere Abgründe auftun. In der Tat sind sich abgesehen von der Tochter alle Figuren klar darüber, worauf sie sich mit ihrem Handeln einlassen.

Kusama erzählt in realistischen Bildern von einer Mündigkeit auf allen Seiten der Beteiligten, die Entscheidungen und Schicksale umso schwerer erträglich macht. Wenn Menschen sich opfern, andere schwer verletzen oder töten, dann wissen sie genau, warum. Bei der großen Schießerei des Films nimmt Bell für ihren persönlichen Rachefeldzug skrupellos in Kauf, dass zwei überforderte Kollegen umkommen könnten.

Und so ist die Zerstörung flächendeckend: Körper, Zeitordnungen, Psychologien, sie alle fallen dem Film zum Opfer. Menschen werden gebrochen. Doch nie die filmische Erfahrung. Denn der Film behauptet in keiner Faser, kein Film zu sein. Da ist keine Suche nach einer Erzählung, die außerhalb des Drehbuchs liegt. Kusama macht Genrekino, offensichtlich aus Liebe, das zeigen ihre Filme.

Kidman als Unterstützerin des unabhängigen US-Kinos

„Entschuldige dich niemals!“, hieß es in ihrem Debütfilm „Girlfight“, in dem Michelle Rodriguez zur Boxerin ausgebildet wird. Der Film markiert für Rodriguez den Karrierebeginn als toughe Type, die später in Actionfilmen wie „Machete“, „Resident Evil“ oder „Fast & Furious“ Menschen und Monstern aufs Maul haut. Vor zehn Jahren machte Kusama „Jennifers Body“, einen Film über eine hypersexuelle Monster-Cheerleaderin, die Männer frisst.

Dazwischen liegt mit „Æon Flux“ der große Fehlschlag, doch auch eine große Comicverfilmung zur Zeit, als der gegenwärtige Hype um Superhelden noch nicht volle Fahrt aufgenommen hat. Zuletzt tauchte die Filmemacherin mit „The Invitation“ erneut in Horrorgefilde ab und wurde beim größten internationalen Genrefestival in Sitges ausgezeichnet.

Mit „Destroyer“ bewegt sich Kusamas Karriere wieder voran. Sie inszeniert einen versierten Film noir, wenn sie will, einen Thriller und ein Charakterdrama, in allen Fällen gelungen, mit einer klaren Auflehnung gegen Rollenklischees und doch dem ständigen Wissen um das Vergnügen am eigenen Dialog mit filmischen Traditionslinien.

Und so funktioniert Kidman im doppelten Sinne, als Unterstützerin des unabhängigen US-Kinos der Gegenwart und gleichermaßen als Schauspielerin, die Traditionslinien mit erschaffen hat. Sie verleiht dem Film Gewicht, trägt ihre Zusammenarbeit mit Kubrick nicht minder in die Rolle mit hinein wie die Erinnerung an den Glamour von „Moulin Rouge“. Ihre Wandlungsfähigkeit aus „The Hours“, wo sie als Virginia Woolf noch weniger zu erkennen war. Die Härte und Kälte, die sie mit Lars von Trier in „Dogville“ erprobte. Die Lust an der Grenzüberschreitung aus „The Killing of a Sacred Deer“ oder Park Chan-wooks „Stoker“.

Zerstörungsgefühle, Missgunst und Hass

In Letzterem spielte sie übrigens auch eine Mutter, eine Horror-Mutter, traktiert ihre Tochter mit Sätzen wie: „Ich kann es nicht erwarten, zu sehen, wie das Leben dich zerfetzt!“ Kidman verleiht Erin Bell Zerstörungsgefühle, Missgunst und Hass. Doch Erin ist auch die völlige Antithese. Sie liebt ihr Kind mehr als ihr Leben, versaut sich ihr Leben für das Kind. Sie trägt die kleine Tochter als Junkie durch den Schnee, wenn es sein muss, kurz vor dem Erfrieren und doch klaren Geistes, was den Schutz der Kleinen angeht. Für ihr Kind geht Erin Bell über Leichen.

Kusamas Film erdet ihre Figuren, etwa wenn der Film wiederholt innehält. Und sie lässt sie doch in einzelnen Momenten doppelbödig werden

Kusamas Film erdet ihre Figuren, etwa wenn der Film wiederholt innehält. Und sie lässt sie doch in einzelnen Momenten doppelbödig werden. Weil Chris und Erin in der Gaunerbande natürlich auch ihre Rollen spielen. Weil der Bandenführer dann doch ein Perücke trägt und sie schlussendlich verbrennt. Weil Bankräuber immer absurd maskiert sind. Weil der kleine Gauner dann irgendwann als Pfarrer auftaucht. Hinter den Oberflächen, da drehen sich die Rädchen.

Und Kidman weigert sich natürlich in allen Interviews, etwas über das Make-up zu erzählen. Ihr Gang ist das Markanteste an ihr, sie geht, als würde sie gleich abbrechen. Die Kleider sind lotterig und lassen nicht erahnen, wie sehr sie abgemagert war für die Rolle. Einmal fällt Erin um, stocksteif, gefühlt ungebremst.

„Destroyer“. Regie: Karyn Kusama. Mit Nicole Kidman, Sebastian Stan u. a. USA 2018, 123 Min.

Im Interview gibt Kidman zu, dass sie sich angezogen fühlt von ihren Ängsten. Mit der Figur Erin Bell legt sie ein ganzes Set von Ängsten an, die Veräußerung von Verletzungen, einen Körper, der umso politisierter ist, weil er nicht gezeigt wird. Ein Körper, der vom körperlichen Niedergang erzählt und damit auch von Hollywood. Wenn Erin in der Vergangenheit zu sehen ist, gleicht Kidman ihren früheren Auftritten. Als Verführerin verleitet sie einen Mann, sein Leben wegzuwerfen.

Nur der Gangführer, der Typ mit der Perücke, sieht Bell in die Augen und macht ihr klar, dass er sie sieht. Wirklich sieht. So wie sie ist. Mit all ihren Abgründen. Der Gegner, der alle Abscheu der Heldin auf sich ziehen wird, ist gleichermaßen ihr größter Kenner und Richter. Die Heldin braucht ihren Widersacher. Wenn sie ihn, traumwandlerisch wie eine Untote, endlich zerstört, verliert sie den verbliebenen Sinn ihrer Existenz, ihre Bestimmung, sie löst sich auf im Licht der Leinwand. Es ist nur ein Film, zum Glück.

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