Kinofilm „Prince Avalanche“: Zwei Männer und ein Mittelstreifen

Wo die Die Latte niedrig liegt: „Prince Avalanche“ von David Gordon Green ist ein Roadmovie, in dem die Helden lieber zu Fuß gehen.

Lance (liegend, Emile Hirsch), der Heißsporn, und Alvin (Paul Rudd), der Bescheidwisser. Bild: koolfilm

Was muss ein richtiger Mann können? Einen Fisch ausnehmen, ein Zelt aufbauen und einen Knoten binden, meint Alvin. Für Lance dagegen zählt nur, wie viele Frauen er flachlegen kann.

Die Latte liegt niedrig für die Protagonisten von „Prince Avalanche“. Sie reißen sie dennoch bravourös: Zumindest wirkt Lance so begriffsstutzig, dass man sich fragt, ob er sich allein die Schuhe zubinden kann, und bis zum Ende werden die beiden jungen Männer auch keinen Sex gehabt haben. In der langen, typisch amerikanischen Tradition des Buddy-Films gibt dieses Kumpel-Paar ein ziemlich tragikomisches Bild ab.

Beide Männer sind on the road, aber anders als in den glorreichen späten sechziger und frühen siebziger Jahren, als Butch Cassidy und Sundance Kid auf Pferderücken das Land unsicher machten, Wyatt und Billy in „Easy Rider“ auf ihren Choppern den Spießern den Steinbrück-Finger zeigten und die beiden namenlosen Protagonisten von „Two Lane Blacktop“ illegale Rennen in ihrem aufgemotzen Chevrolet One-Fifty fuhren, sind Lance und Alvin zu Fuß unterwegs.

„Prince Avalanche“. Regie: David Gordon Green. Mit Emile Hirsch, Paul Rudd u. a. USA 2013, 94 Min.

In blauen Latzhosen malen sie im Sommer 1987 gelbe Mittelstreifen auf eine scheinbar endlose Straße in einem vor Kurzem abgebrannten Wald im Niemandsland von Texas. Wirklich Kumpels sind sie zunächst nicht. Aber Alvin nimmt Lance unter seine Fittiche, weil er der kleine Bruder seiner Freundin ist.

„Walden“-artiges Läuterungserlebnis

Den Genreregeln entsprechend könnten beide kaum unterschiedlicher sein: Lance ist ein jugendlicher Heißsporn, alles andere als helle, aber dafür ganz niedlich in seiner triebgesteuerten Naivität. Der etwas ältere Alvin glaubt dagegen, die Lebensweisheit mit der Schaufel gefressen zu haben. Seine Arbeit sieht er als ein „Walden“-artiges Läuterungserlebnis auf der Landstraße, aber eigentlich ist auch er nur ein armer Tropf.

Die Rollenverteilung der beiden erinnert ein wenig an die Kino-Urväter der Buddy-Komödie: Stan Laurel und Oliver Hardy – wenn Doof allerdings dauerrollig gewesen wäre und Dick ein paar Selbsthilfebücher zu viel gelesen hätte.

Wirklich zu packen bekommt man David Gordon Greens achten Kinofilm mit solchen Vergleichen nicht. Kein Wunder, der gerade einmal 38-jährige Regisseur, Autor und Produzent hat eine der unberechenbarsten Karrieren in der amerikanischen Filmindustrie der letzten Dekade hingelegt. Sein Debüt „George Washington“ (2000) war ein Indie-Drama über eine multiethnische Gruppe von Kindern aus der Arbeiterklasse, die ein düsteres Geheimnis bewahren müssen.

Mit der Kifferkomödie „Pineapple Express“ (2008) wechselte er ein paar Filme später in den Bannkreis von Judd Apatow – dem erfolgreichsten Humorspezialisten Hollywoods zurzeit. Greens Mainstream-Komödien seither („Bad Sitter“, „Your Highness“) wurden zwar nicht mehr von Apatow produziert, folgen aber deutlich dessen tiefen Spuren.

„Samuel Beckett nach einigen Zügen aus der Bong“

Mit „Prince Avalanche“ geht er jetzt wieder eigene Wege. Auch wenn seine zwei Typen, die nie „richtige“ Männer geworden sind, aus dem aktuellen Mainstreamkomödien-Bausatz entsprungen sein könnten, so wirft „Prince Avalanche“ sie in einen völlig anderen Kontext – was wahrscheinlich daran liegt, dass Green eine isländische Komödie aus dem Jahr 2011 auf amerikanische Verhältnisse umgeschrieben hat.

Man könnte sich den Stoff auch als Theaterstück vorstellen. Neben den beiden Männern im Wald taucht lediglich ein paarmal ein skurriler alter Truckfahrer mit einer Vorliebe für schwarz gebrannten Schnaps auf und eine alte Frau in den Ruinen ihres abgebrannten Hauses, die vielleicht ein Geist ist oder nur eine Erscheinung aus Alvins Imagination.

Die Grundkonstellation, schreibt die New York Times, hätte sich „Samuel Beckett nach einigen Zügen aus der Bong“ ausdenken können, in Anspielung auf dessen Zwei-Mann-Klassiker „Warten auf Godot“. Plot im herkömmlichen Hollywood-Sinne gibt es auch kaum in „Prince Avalanche“: Der Film mäandert träumerisch dahin, beschränkt sich weitgehend darauf, immer tiefer in die Psyche der beiden Hauptdarsteller einzudringen.

Witze über mangelnde Männlichkeit

Überraschenderweise ist „Prince Avalanche“ aber auch großes, bildmächtiges Kino – eine Seltenheit für eine Komödie. Der abgebrannte Wald mit seinen verkohlten Stämmen, dem vergilbten Nadelgrund und dem frisch hellgrün nachwachsenden Unterholz bietet dem Kameramann Tim Orr eine einmalige, zugleich vertraut und fremd wirkende Kulisse – gedreht wurde übrigens im 2011 tatsächlich abgebrannten Bastrop State Park nicht weit von Austin.

Auch die schwebend-schwärmerische Musik von Greens Kindheitsfreund David Wingo und der texanischen Postrock-Band Explosions in the Sky rückt die eigentlich doch so prosaische Geschichte ins Pastorale. In einigen schönen Montagesequenzen wird das Naturerlebnis gar bis ins Ekstatische gesteigert. Das sind genau die Momente, die lange nach dem Kinoerlebnis bleiben werden, wenn die üblichen tragikomischen Witze über mangelnde Männlichkeit schon längst vergessen sind.

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