Kinofilm „The Big Short“: Bizarrer Handel

Regisseur Adam McKay inszeniert in seinem Film die Finanzkrise von 2008 im Stil einer Stand-up-Comedy. Dem Thema gewinnt er viel Humor ab.

Viele Männer zeigen mit dem Finger auf einen anderen.

Wer ist schuld? Szene aus „The Bigh Short“. Foto: Paramount/ap

Der Begriff besaß wahre Zauberwirkung. Die, die ihn hörten, fühlten sich zuerst in akute Spannung und dann in unwillkürlich aufsteigende Schläfrigkeit versetzt, ganz ähnlich wie man es von der Hypnose kennt. Es geht um den „Credit Default Swap“, deutsch nur unzulänglich mit „Kreditausfallversicherung“ wiedergegeben.

Zur Erinnerung: besagte „CDS“ waren ein Skandalobjekt in der Finanzkrise von 2008. Weshalb allerorten mit wachem Interesse gefragt wurde: Was sind denn Credit Default Swaps? Aber sobald jemand zu erklären begann, kam eben diese Schläfrigkeit auf. Die Rede war von Hauskrediten und Zinsraten, und sobald auch noch das Wort Versicherung fiel, war der Langeweile schon kein Einhalt mehr zu gebieten. Und wer versteht schon was, wenn er gleichzeitig gähnen muss?

Regisseur Adam McKay holt in „The Big Short“ seine Zuschauer genau an dieser Stelle ab. „Sind sie schon gelangweilt?“, fragt da die ölige Stimme von Ryan Gosling aus dem Off, als die ersten „hypothekenbesicherten Wertpapiere“ und „Swaps“ erwähnt werden. „Das sollen Sie auch“, heißt es weiter, „die Wall Street verbirgt sich gerne hinter verwirrenden Begriffen, damit man sie in Ruhe machen lässt.“ Und dann lässt McKay die schöne Margot Robbie im Schaumbad erklären, was es mit dem Subprime-Markt auf sich hat.

Manche mögen sich wundern, warum ausgerechnet der Regisseur von so herrlich kindsköpfigen Will-Ferrell-Komödien wie „Stiefbrüder“ mit „The Big Short“ ein Sachbuch zum Thema Finanzkrise verfilmt. Aber vom Resultat her betrachtet, ist es ein Hauptgewinn.

Mit der „Punchline“

Wo Michael Lewis, der Autor der gleichnamigen Vorlage, versuchte seinem vermeintlich langweiligen Thema Spannung zu verleihen, indem er die Finanzkrise von 2008 gewissermaßen als Showdown eines Westerns beschrieb, verfährt Adam McKay wie ein Stand-up-Comedian: Er weiht den Zuschauer in seine Beobachtungen ein, lässt ihn ein Weilchen sanft vor sich hinkichern und gibt ihm am Ende mit der „Punchline“ eins drüber.

Jenen oberarroganten Supercharme kann eben nur Ryan Gosling rüberbringen

Lewis stellte in seinem Buch eine Handvoll sehr eigensinniger und sehr verschiedener Finanzmarktakteure vor, die eines gemeinsam hatten: Sie haben den 2008 erfolgten Zusammenbruch des amerikanischen Hypothekenmarkts vorhergesehen, mittels besagter „Credit Default Swaps“ gegen ihn gewettet und deshalb satt an der Krise verdient. Statt ihnen Letzteres übelzunehmen, hat sich Lewis dafür interessiert, wie sie wissen konnten, was anderen, die es hätten wissen müssen, verborgen blieb.

McKay setzt den Horizont seines Films weiter an: Schon die ersten Montagesequenzen mit Archivmaterial rund um die Krise sind von Wut und Empörung begleitet. Wie als Dämpfer nimmt sich McKay dann den zwiespältigsten von Lewis’ Helden, den Deutsche-Bank-Händler Greg Lippmann und macht aus ihm eine von Ryan Gosling verkörperte Kunstfigur.

Mit jenem oberarroganten Supercharme, den eben nur Gosling rüberbringen kann, führt sein Jared Vennett als Erzähler durch den Film, wobei er sich gelegentlich direkt an den Zuschauer wendet, entweder um zuzugeben, wenn etwas fiktiv überzeichnet wurde, oder um zu betonen, dass sich manche Unglaublichkeit doch tatsächlich genauso zugetragen hat.

Regie: Adam McKay. Mit Christian Bale, Ryan Gosling u. a. USA 2015, 130 Min.

Unglaublich zum Beispiel erscheint es, dass einer wie Michael Burry (Christian Bale als asozialer Supernerd) für seine Investoren in der Krise sage und schreibe 489 (!) Prozent Plus erwirtschaftete. Schier unglaublich wirkt auch ein Fondmanager wie Mark Baum (wunderbar kantig und exzentrisch von Steve Carrell verkörpert), ein Choleriker mit Herz und Depressionen, der die Machenschaften der Banken scharf kritisiert und seinen Profit voll Bitterkeit einstreicht.

Wüst und hektisch

Diese beiden und weitere stellt McKay vor, skizziert knapp ihre Hintergründe und präsentiert dann ihre Schreibtischtätigkeit als rasante Abfolge von turbulenten Sitzungen und originellen Feldrecherchen. Der Ton ist stets wüst und hektisch, die Verhaltensweisen sind voller gewollter Bizarrerien – über weite Strecken wirkt „The Big Short“ wie die Realversion einer satirischen Animationsserie à la „South Park“.

Erst auf den zweiten Blick mag auffallen, mit welcher Sorgfalt McKay die wesentlichen Topoi der Finanzkrisenkritik einbaut: Da gibt es die Anzugidioten, die mit ihren betrügerischen Kreditverkäufen angeben. Eine Mitarbeiterin der Finanzregulierungsbehörde wird beim hemmungslosen Flirt mit denen gezeigt, die sie doch „regulieren“ soll. Und es gibt da eine Familie, die im Zuge der Krise völlig ohne eigenes Verschulden ihr Haus verliert.

Witzig und zugleich ernst, polemisch und erhellend – mit „The Big Short“ gelingt McKay etwas ganz Erstaunliches. Dem öden und beängstigenden Thema Finanzkrise gewinnt er Humor ab, ohne jemals versöhnlich zu werden.

Nach dem Film mag man immer noch nicht verstanden haben, was denn nun genau Credit Default Swaps sind. Aber man wird es nicht mehr langweilig finden.

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