Kirk, Bayrou, AfD: Bürgerkriegsfantasien in den USA und grüne Pubertät
Das Attentat auf den MAGA-Mann Charlie Kirk erinnert an die Tötung des Diplomaten Ernst Rath in Paris, die frühere Grüne-Jugend-Spitze wiederum an die Frühphase der Partei.
t az: Was war schlecht vergangene Woche?
Friedrich Küppersbusch: Gewalt erzeugt Gewalt.
taz: Und was wird besser in dieser?
Küppersbusch: Irgendwann merkt’s irgendwer.
taz: MAGA-Aktivist Charlie Kirk wurde erschossen, unter jungen Rechten war er beliebt. Wer könnte sein Nachfolger sein? Und ist die Angst vor einem „Bürgerkrieg“ in den USA berechtigt?
Küppersbusch: Sein Vorgänger, dachte ich, könnte jemand wie der deutsche Diplomat Ernst Eduard vom Rath sein, ein früher Nazi und SS-Mann. Seine Ermordung in Paris 1938 nahm das NS-Regime zum Anlass und Vorwand für die Novemberpogrome. Aber Rath war unauffällig, nach einigen Quellen mit seinem Attentäter aus der Pariser Schwulenszene bekannt und letztlich Opfer mehrerer persönlicher Tragödien übereinander. Der Mörder, Herschel Grynszpan, wusste seine Familie mittellos in einem Lager in Polen, wohin der NS-Staat 17.000 jüdische Deutsche abgeschoben hatte. Also – der Vergleich hinkt noch schlimmer als Goebbels, der sich daraus einen „Volkszorn“ zusammenlog und die Synagogen anzünden ließ. Der Staat übt rechtswidrige Aggression aus, und dann nutzt er eine letztlich zufällige Reaktion zur noch viel größeren unrechten Aggression. Den Vorwand für den Zweiten Weltkrieg erfanden die Nazis dann sicherheitshalber gleich komplett, und im Moment wage ich kein Urteil, was genau da in Utah passiert ist.
taz: Der französische Premierminister Bayrou wollte sparen und verlor die Vertrauensabstimmung. Welche Risiken ergeben sich für Deutschland und die EU?
Küppersbusch: Etwa das Risiko, den Bayrou zu machen: Nullrunde für Rentner und Arbeitslose, das scheue Geld der Superreichen nicht mit Steuern verschrecken, und dann merzt es schon deutlich: „mehr arbeiten“ und das Echo „Feiertage streichen“. Es ist die gleiche schale Agenda wie in Deutschland, und offenbar taugt sie gut dazu, Hufeisen zu schmieden. Zu den riesigen Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und stecken die Phrasen in den Arsch Ihres Apothekers.
taz: Letzte Woche beriet der Bundestag erstmals über einen Antrag der AfD, das Selbstbestimmungsgesetz aufzuheben. Als eine der Begründungen gelten „Schutzräume für Frauen“. Was tut die AfD sonst so für Frauenrechte?
Küppersbusch: Sie liefert zuverlässig notgeile Fantasien. Der Migrant will ununterbrochen vergewaltigen, der Muslim rammelt sich ein Vermögen aus Kindergeld zusammen, und nun dringt also die trans Person aufs Damenklo. Nimmt man das als Selbstauskunft der rechtsextremen Männersekte, ist es ein schönes Beispiel für persönliche Katastrophen: Das passiert, wenn ich meine eigene Sexualität in ein 50er-Jahre-Korsett zwänge und die so erzwungene Not anderen anhänge. Es ist die Denke von Selbstverknasteten, die dafür wenigstens wollen, dass auch alle anderen unglücklich sind. Und notgeile Fantasien haben.
taz: Die Bundessprecher*innen der Grünen Jugend (GJ) Jakob Blasel und Jette Nietzard verkünden, dass sie nicht mehr für die Parteijugendspitze antreten. Auf welches Vermächtnis blickt die GJ unter ihnen zurück?
Küppersbusch: In der GJ sind eher Enkel als Kinder der aktuellen Parteiführung: Werten und Methoden der Parteiomas und -opas nah und verpflichtet, empört über die schalen Kompromisse der Eltern. Krawall, endlose Gewaltdiskussionen und rechthaberisches Funditum erinnern an die frühen Grünen; und wie jedem anständig Pubertierendem gelang es ihnen, die Eltern von der schlechtesten Seite zu zeigen. Etwa die „Du bist nicht mehr mein Kind“-Rhetorik von Kretschmann und Özdemir, die Parteiaustritte forderten. Alles richtig gemacht.
taz: Letzte Woche wurde ein ORF-Kameramann bei einer Verkehrskontrolle in der Ukraine von einem Militärvertreter festgehalten. Ist das der Beginn eines autoritären Umbaus in der Ukraine?
Küppersbusch: Jedenfalls nicht sein Ende. Die Hindernisse auf dem Weg in die EU – Korruption, Oligarchenherrschaft, Eingriffe in die Justiz – sind bekannt, und unter dem aufgezwungenen Krieg wurde auch die Medienlandschaft zum Gutteil gleichgeschaltet. Was uns an anderen Fronten empört – „embedded journalism“ –, ist in der Berichterstattung über den Krieg dort Standard, und wenn man aus russisch besetzten Gebieten berichtet, wird man gern als Putinknecht wegsortiert. Wir sollten nicht zu überrascht tun, wenn freier Journalismus nach dem Krieg differenzierte Bilder liefert.
taz: Und was macht der RWE?
Küppersbusch: Auswärtssieg in Regensburg und wenigstens ein paar Stunden gucken, wie es auf dem vierten Tabellenplatz so ist. Merkt euch das, Jungs!
Fragen: Wlada Froschgeiser, waam
Friedrich Küppersbusch ist Journalist, Produzent und mag Enkel.
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