Kleinstadt-Einkaufszentrum: Mall soll Leer voll machen

Retter oder Totengräber? Der Hamburger Investor ECE will neues Leben in die Leeraner Innenstadt zaubern. Darüber ist in der Stadt heftiger Streit entbrannt.

Braucht "architektonischen Anschluss": Kaufhaus Ceka in Leer. Bild: Thomas Schumacher

LEER taz | In der ostfriesischen Kleinstadt Leer tobt ein Glaubenskrieg über die Frage: Wie soll "unser" Leer in Zukunft aussehen? Denn der Hamburger Investor ECE will mitten in bester Innenstadt-Lage ein Einkaufszentrum mit 60 Geschäften auf 15.000 Quadratmetern Fläche pflanzen - fast die Hälfte der aktuellen Geschäftsfläche.

Möglich macht die Center-Planung ein günstiger Immobiliendeal mit einem anliegenden Kaufhaus. "Wir müssen modernisieren. Ein architektonischer Anschluss an das Center, ist für uns und für Leer gut", sagt Harald Többens, Chef des Kaufhauses Ceka. Zuvor hatte ein anderer Immobilienbesitzer versucht, ECE auf seine Seite zu ziehen.

Der Geschäftsführer des Leeraner Modehauses Leffers ist ein großer Animator. Er hat sein Textilkaufhaus als Kundenmagnet in bester Lage schon längst für die Zukunft gerüstet: "Leer ist die Einkaufstadt Nummer eins in der Region, das müssen wir ausbauen.

Dafür brauchen wir das Center", gibt Johannes Poppen das Ziel vor. Bürgermeister Wolfgang Kellner stimmt zu: "Es gibt heute schon Unternehmen, deren Strahlkraft weit über Leer hinaus ragt. Wir müssen, um unsere Position zu sichern, diese Tendenz verstärken."

ECE soll es richten. Bislang hießen die Ziele des Hamburger Investors Athen, Berlin, Madrid, Basel. Europaweit managt ECE 132 Superwarenhäuser. Die ziehen täglich tausende Besucher an. "In Leer ist der Handel etabliert und deswegen hoch attraktiv für uns", sagt Jan Röttgers, Projektleiter von ECE Hamburg. "Sicher ist Leer mit 34.000 Einwohnern zu klein für das geplante Einkaufszentrum.

Aber die Stadt hat ein interessantes Umfeld", erklärt er die neue Begeisterung der Hamburger für Unterzentren. Bürgermeister Kellner fügt hinzu: "Wir müssen die gesamte Stadt weiterentwickeln." Das hat Leer in den letzten Jahren getan.

Ein völlig neuer Stadtteil, jenseits der Fußgängerzone am Binnenhafen ist auf einer Brachfläche aus dem Boden gestampft worden. Problematische Randbezirke werden seit Jahren mit Fördermitteln, mit Infrastruktur und sozialen Einrichtungen aufgearbeitet.

Bleibt das Problemkind Kernstadt. Diese historische Altstadt wollten PolitikerInnen vor 40 Jahren in Teilen abreißen. Heute, nach massivem BürgerInnenprotest saniert, ist sie das Schmuckstück der Stadt.

Wie ein zweimal geknickter Zollstock legt sich die Leeraner Einkaufsmeile um den Binnenhafen der Stadt. Der obere Teil am Bahnhof ist die gewerbliche 1 A-Lage. Der mittlere Teil ist schon weniger frequentiert. Der untere Teil in der sanierten Altstadt ist, gewerblich gesehen, abgehängt.

Mit dem Center in der oberen 1 A-Lage befürchten betroffene Kaufleute eine weitere Austrocknung der Altstadt. "Das geplante Center ist zu groß. Erst saugt es die Altstadt aus, nach einigen Jahren des Erfolges bröckelt der Umsatz, die Kunden bleiben weg, der Investor zieht sich zurück und mitten in der Stadt entsteht eine Bauruine", fürchtet Immobilienbesitzer Udo Fesenfeld von der Bürgerinitiative "Leer braucht Leer."

Zwar wünschen sich auch die ECE-Gegner eine Auffüllung der Innenstadt mit fehlenden Sortimenten wie Lebensmittel, Sport oder Elektronik, aber nicht durch ein Monstercenter. "Wir brauchen kein ECE, Leer hat gerade so wie es ist seinen Charme", sagt Fesenfeld. Der Stadtrat hat sich in der Mehrheit für das Center ausgesprochen.

Grundlage für die ECE-Planung ist ein Gutachten der Münchener Beraterfirma CIMA im Auftrag der Stadt Leer. Das volle Gutachten hält die Verwaltung unter Verschluss. "Es wird noch dran gearbeitet", heißt es aus der Verwaltung.

Der veröffentlichte Teil des Gutachtens befürwortet die "Leeraner ECE - Stadtgalerie". Er verkündet, Leer könne mehr als 200.000 Kunden jährlich erwarten. Im nicht öffentlichen Kleingedruckten steht unter anderem, das Center brauche unbedingt einen attraktiven Gegenpart am entgegengesetzten Ende der Fußgängerzone, sonst litten die umliegenden Geschäfte. "Diesen Kundenmagneten gibt es nicht und die Zahlen über Kaufkraft etwa sind rein willkürlich", schimpft Hans Strobel, selbst City-Kaufmann und Center-Gegner.

Die für das Center notwendigen Einzugsgebiete werden im CIMA-Gutachten großzügig zwischen Oldenburg und Emden angesiedelt. Das Problem: CIMA hat auch für diese Städte Gutachten erstellt und dort ähnlich fließende Kundenströme prognostiziert. "Die Wirkungskreise überschneiden sich", gibt ECE Projektplaner Röttgers zu.

Der Leeraner Architekt Eerke Bruns sorgt sich um die Stadtentwicklung: "Einige Flächen im Zentrum sind einer Innenstadt unwürdig. Wenn die durch das ECE beplant würden, wäre diese Verdichtung ein Gewinn. Zumal das Center die historischen Teile der Fußgängerzone als Fassaden integrieren würde."

Aber, es müssten laut Bruns weitere Bedingungen erfüllt sein: "Wir brauchen eine staufreie Verkehrsführung, einen offenen, durchgängigen Centerkomplex, eine flächendeckende Entwicklung der gesamten Innenstadt, eine attraktive Gestaltung der restlichen Freiflächen", so Bruns. Für all diese Probleme liegen aber entweder nur teilweise, oder gar keine Pläne vor. Oder es fehlt Geld, die Ideen umzusetzen. Center-Gegner Strobel zieht sein Fazit: "Wir brauchen diese blöde Kiste nicht."

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