Klima und Erdölkonzerne: Staatsfeind Nr. 1

Im Kampf ums Klima kann es nur einen Sieger geben: die Firmen oder den Planeten.

Die fossilen Energiekonzerne erklären die Zerstörung des Planeten zu ihrem Geschäftsmodell. Bild: dpa

Wissenschaftler schätzen, dass wir bis Mitte des Jahrhunderts noch rund 565 Milliarden Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre pumpen können, wenn wir einen katastrophalen Klimawandel abwenden wollen. Gleichzeitig hat die Carbon Tracker Initiative, ein Team von Finanzanalysten in London, berechnet, wie viel CO2 in den nachgewiesenen Reserven von Ölfirmen, Gasfirmen und Staaten wie Venezuela oder Kuwait stecken, die sich wie Energiekonzerne benehmen.

Es geht um die fossilen Vorräte, die in absehbarer Zeit verbrannt werden sollen. Ergebnis: 2.795 Milliarden Tonnen. Fünf mal mehr, als das 2-Grad-Klimaziel zulässt. Die Daten von Carbon Tracker mögen nicht perfekt sein. Die neu entdeckten unkonventionellen Gas-Reserven etwa sind noch nicht berücksichtigt. Aber mit Blick auf die großen Unternehmen sind die Zahlen ziemlich exakt. Allein die beiden Top-Unternehmen Lukoil (Russland) und Exxon-Mobil (USA) sitzen auf Reserven, die 40 Milliarden Tonnen CO2 entsprechen.

Die 2.795 Milliarden Tonnen stehen auf dem Tisch wie eine Dose Bier aus dem Supermarkt: Die Dose ist geöffnet und wartet nur noch darauf, getrunken zu werden. Öl, Gas und Kohle sind zwar noch im Boden. Aber ökonomisch gesehen sind sie längst in Aktienkurse oder als Gegenwert von Unternehmensanleihen eingepreist, und viele Staaten haben die Einnahmen fest in Staatshaushalten verplant.

Und weil alleine ihre Ressourcen den Wert der Energiekonzerne ausmachen, kämpfen sie so hart gegen jede Art von Klimaschutz. Darum sollen auch die kanadischen Teersande ausgebeutet werden; darum wird Tausende Meter unter dem Meer nach Öl gebohrt, darum wird in den Appalachen nach Gas gefrackt. Wenn man Exxon oder Lukoil verbieten würde, ihre Reserven zu fördern, wären die Firmen am Ende.

So einfach ist das. Die 2.795 Milliarden Tonnen CO2 entsprechen einem Öl-, Kohle- und Gasvermögen von 27 Billionen Dollar. Wenn man davon 80 Prozent im Boden lässt, zerstört man Unternehmenswerte von gut 20 Billionen Dollar. Wir haben die Wahl: Verbrennen wir den Kohlenstoff und retten die Firmen? Oder retten wir unseren einigermaßen gesunden Planeten und schreiben die Firmen ab? Andere Alternativen gibt es nicht.

Das politische System ändern

Alle anderen Bemühungen, den Klimawandel zu stoppen, haben weltweit zu nichts geführt. Die Emissionen steigen rasant, insbesondere in den sich entwickelnden Ländern. Die Umweltbewegung hat viel Aufwand betrieben, damit die Menschen ihren Lebensstil ändern. Aber wir alle lieben billige Flüge in warme Länder und geben das auch nicht auf, so lange alle anderen weiter billig fliegen.

Die Leute nehmen völlig zutreffend wahr, dass ihr persönliches Verhalten keinen entscheidenden Unterschied macht. Effizienter wäre es, sich durch das politische System zu arbeiten. Umweltaktivisten haben auch das versucht – in den meisten Teilen der Welt mit sehr bescheidenem Erfolg. Stattdessen macht jede Regierung, die auf fossilen Vorkommen sitzt, das gleiche: Die Kanadier etwa galten als außerordentlich gutwillige Internationalisten und hatten sich dem Kioto-Protokoll verpflichtet – bis die Teersande von Alberta ökonomisch interessant wurden.

Da haben sie sich schnell von Kioto abgemeldet. Das Muster zeigt sich über alle Ideologien hinweg: Auf der Klimakonferenz von Kopenhagen zitierte Venezuelas Hugo Chavez Rosa Luxemburg, Jean-Jacques Rousseau „Jesus den Erlöser“, um klar zu machen, dass „Klimawandel ohne Frage das verheerendste Umweltproblem unserer Zeit“ sei.

Im folgenden Frühjahr unterzeichnete er einen Vertrag, um die Orinoko- Teersande auszubeuten. Sämtliche Versuche den Klimawandel anzuhalten, haben nur kleine, graduelle Veränderungen erreicht. Aber: Für eine schnelle Veränderung braucht man eine mächtige Bewegung. Und eine mächtige Bewegung braucht: Feinde!

An Feinden hat es dem Klimawandel bisher gefehlt. Darum müssen wir die fossilen Energiekonzerne in einem neuen Licht sehen. Aus ihnen sind längst Schurken-Unternehmen geworden, rücksichtsloser als jede andere Macht der Erde. Sie sind der Staatsfeind Nr. 1 im Überleben unserer Zivilisation.

Lukoil und Exxon-Mobil sitzen auf Reserven, die 40 Milliarden Tonnen CO2 entsprechen. Bild: ap

„Es gibt viele Firmen mit dreckigen Methoden – die schlechte Löhne zahlen oder Leute in Sweatshops arbeiten lassen. Diese Firmen greifen wir selbstverständlich an“, sagt Globalisierungskritikerin Naomi Klein. „Die fossilen Energiekonzerne haben die Zerstörung des Planeten inzwischen zu ihrem Geschäftsmodell erklärt“, so Klein weiter.

Warum kommen sie dann so ungeschoren davon? Nach den Berechnungen von Carbon Tracker würden allein die Reserven von Exxon (der Nummer zwei nach Lukoil) mehr als sieben Prozent der Aufnahmefähigkeit der Atmosphäre für CO2 beanspruchen. Es folgen BP und die russische Gazprom, Chevron, ConocoPhillips und Shell. Severstal, der russische Kohleriese, führt die Liste der Kohlefirmen vor BHP Billiton und Peabody an.

Die Zahlen verschlagen einem die Sprache: Diese Industrie hat die Macht, die Physik und Chemie unseres Planeten zu verändern. Und sie haben vor, es zu tun. Bisher waren Umweltaktivisten vorsichtig. Man hoffte, die Giganten zu veränderten Energiekonzernen zu machen. Aber: BP hat seine Solar-Sparte 2011 geschlossen. Shell 2009. Und die fünf größten Konzerne haben seit 2000 zusammen eine Billion Dollar Gewinn gemacht – man kann zu leicht zu viel Geld mit Öl, Gas und Kohle verdienen, als dass man seine Zeit damit verplempern müsste, Sonnenstrahlen zu jagen.

Muss man sich vor dem Fall der Riesen fürchten? „In einer ökonomischen Weiterentwicklung ist es normal, dass das Vermögen einzelner Industrien wertlos wird“, sagt Nick Robins, der das Climate Change Centre der Bank HSBC leitet. „Denken Sie an Filmkameras oder Schreibmaschinen. Die Frage, ob so etwas passiert, stellt sich gar nicht. Es passiert garantiert.“ Für die Umweltbewegung gibt es nur eine Alternative: Entweder überleben Exxon, Gazprom und Severstal. Oder unser Planet.

Bill McKibben hat mit seinem fulminanten Artikel „Global Warming‘s Terrifying New Math“ im Rolling Stone Magazine weltweit Wellen geschlagen. Für uns hat er den Kern seiner Argumentation zusammengefasst.

Der Artikel ist erschienen in der Ausgabe zeo2 01/2013.

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