Klimakämpferin in China: Die einsame Streikerin

Unermüdlich warnt die 17-jährige Ou Hongyi in China vor den Folgen des Klimawandels. Das bleibt in dem autoritären Staat nicht folgenlos.

Ou Hongyi

Ou Hongyi beim Klimastreik im August. Zur Strafe musste sie die Schule verlassen Foto: Nicolas Asfouri/afp

YANGSHUO taz | Schon nach einer halben Stunde schreitet der Polizist zur Tat. Verdutzt landen seine Augen auf dem bunten Pappschild, vor dem sich bereits eine neugierige Menschentraube gebildet hat. „Systemwandel statt Klimawandel“ ist darauf zu lesen, ein im autoritären China unerhörter Schriftzug. Doch der Sicherheitsbeamte, der umgehend mit seinem Funkgerät einen Vorgesetzten informiert, scheint offensichtlich überfordert: Bei dem Störenfried hinter dem Plakat handelt es sich um ein 17-jähriges Mädchen mit Pferdeschwanz, weitem Schlabber-Shirt und aufgeweckten Augen. Ob er schon mal vom Klimastreik gehört habe, möchte die selbstbewusste Aktivistin von der Autoritätsperson wissen. Ohne lange zu fackeln, verweist er sie ihres Platzes.

„Ich kenne die Polizisten alle schon, die tun nur ihren Job. Man muss sie respektieren und versuchen zu inspirieren“, sagt die Jugendliche wenige Minuten später. Mit Rucksack, Thermos­kanne und einer Menge Flyer und Plakaten ausgerüstet ist Ou Hongyi wie jeden Freitagabend in die Fußgängerzone von Yangshuo gezogen, einem südchinesischen Ferienort wie aus einem Reiseprospekt: Steile Karstberge, schlangenförmige Flussläufe und riesige Palmen säumen die Umgebung.

Allabendlich, wenn die immer noch pralle Sonne hinter der Gebirgslandschaft verschwindet, versammeln sich die Touristenmassen in der Fußgängerzone der Kleinstadt: Dampfende Garküchen reihen sich neben folkloristischen Souvenirshops, vor einem Nachtclub werben junge Frauen in Elfenkostümen um Laufkundschaft, rotbeleuchtete LED-Schilder preisen Fußmassagen an. Kaum ein Tourist trägt eine Gesichtsmaske, die Coronapandemie scheint in Yangshuo weit entfernt.

Ein Pappschild und eine Menge Geduld
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Das Konsumverhalten ihrer Landsleute, das fehlende Problembewusstsein gegenüber der Klimakrise: all das mache sie ängstlich und treibe sie an, auf der Straße zu demonstrieren, sagt Ou Hongyi. Als sie den Dokumentarfilm „Eine unbequeme Wahrheit“ mit dem einstigen US-Vizepräsidenten Al Gore sah, habe sie das erste Mal realisiert, welche Auswirkungen die Erd­erwärmung für ganz normale Menschen bedeutet: „Die Klimakrise ist die größte Bedrohung der menschlichen Zivilisation“, sagt Ou Hongyi.

Im Frühling fing die Schülerin schließlich an, inspiriert durch Greta Thunberg, sich vor das Regierungs­gebäude ihrer Heimatstadt Guilin zu stellen. Ein friedlicher Ein-Personen-Protest, lediglich mit einem Pappschild und einer Menge Geduld: Jeden Abend nach der Schule zog sie vor das vergitterte Gebäude, die meisten Passanten ignorierten allerdings das junge Mädchen mit ihren Slogans über Klimawandel und globale Erwärmung. Doch am siebten Tag passierte das in China Unausweichliche: Mehrere Sicherheitsbeamte führten die Schülerin auf eine Polizeiwache ab. Vier Stunden lang verhörten sie Ou Hongyi, fragten sie nach ihren Motiven, schüchterten sie ein. Doch Ou Hongyi blieb stur: Dass sie für ihren Aktivismus eine mehrjährige Haftstrafe riskieren könnte, nimmt sie in Kauf.

Noch vor wenigen Jahren wäre das Schicksal der chinesischen Umwelt­aktivistin wohl in Vergessenheit geraten. Doch auf Twitter, das in China offiziell gesperrt ist, lud die Jugendliche damals ein Foto von ihrer Protestaktion hoch. Wenige Tage später verbreitete Greta Thunberg höchstpersönlich den Tweet und bezeichnete die junge Chinesin, die auf Twitter unter dem Namen Howay Ou firmiert, als „echte Heldin, wir stehen alle hinter dir!“ Seither erreichen Ou Hongyi Medienanfragen vom britischen Guar­dian hin zum schwedischen Fernsehen. Bei Twitter folgen ihr immerhin 11.000 Nutzer. Nur in ihrem Heimatland kennt sie praktisch niemand.

Für die weltweite Fridays-for-Future-Bewegung ist die Volksrepublik nach wie vor ein weißer Fleck auf der Landkarte. In dem autoritär regierten Land beschneidet die Kommunistische Partei die Zivilgesellschaft, die öffentliche Meinung wird durch strikte Zensur gelenkt. Ein Demonstrationsrecht gibt es nicht, kritische Artikel über ­umweltpolitische Vergehen der Regierung werden umgehend gelöscht. Über Fridays for Future wird von den staat­lichen Medien praktisch nicht berichtet.

Ou Hongyi, Aktivistin

„Gewaltfreier ziviler Ungehorsam ist das einzige Licht, das uns noch Hoffnung bringt“

Als die Bewegung am 25. September zum weltweiten Klimastreik aufrief, zog Ou Hongyi in der Shanghaier Innenstadt auf die Straße, wo sie ebenfalls von Polizisten in ein Verhörzimmer abgeführt wurde und eine „Selbstkritik“ verfassen musste. Auf Instagram, das in China verboten ist, postete sie wenig später über den Vorfall: „Gewaltfreier ziviler Ungehorsam ist das einzige Licht in der Dunkelheit, das uns noch Hoffnung bringt.“

Dabei gibt es auch in China durchaus aktive Umweltorganisationen, Greenpeace beispielsweise hat eine Vertretung in Peking. Doch wer sich bei den Nichtregierungsorganisationen umhört, erhält unter der Hand immer dieselbe Antwort: Seit Präsident Xi Jinping an der Macht ist, würden die Handlungsmöglichkeiten immer weiter eingeschränkt. In der Vergangenheit mussten etliche Veranstaltungen abgesagt werden, und bei Interviews mit ausländischen Journalisten halten sich die meisten Experten bedeckt. War es noch vor wenigen Jahren möglich, öffentliche Kampagnen zu initiieren, ist dies unter Chinas neuem Führer ausschließlich Staatsangelegenheit.

Zwar kann Xi in seiner Umwelt­bilanz durchaus Erfolge vorweisen, das Gesamtbild fällt jedoch ambivalent aus: Absolut gesehen ist die Volksrepublik mit einem Ausstoß von knapp 10 Milliarden Tonnen Kohlendioxid der weltweit größte Klimasünder, weit mehr als ein Viertel aller freigesetzten Klimagase gelangen von China aus in die Atmosphäre. Noch immer werden 64 Prozent des Stroms in Kohlekraftwerken erzeugt, weitere Kraftwerke mit einer Leistung von 250 Gigawatt sind im Bau oder werden geplant. Doch auf die Bevölkerungsgröße heruntergerechnet liegt der Verbrauch pro Kopf eines Chinesen noch immer deutlich hinter den Vereinigten Staaten oder Deutschland.

Beim alljährlichen Klimaschutz-Index landet China mittlerweile im internationalen Mittelfeld auf Platz 30 – nur 7 Ränge hinter Deutschland. Denn das Reich der Mitte investierte zuletzt mehr in erneuerbare Energien als die USA, Japan und die EU zusammen. Etwa jede zweite Solarzelle weltweit wird in China verbaut. Selbst in der Hauptstadt Peking, deren Feinstaubbelastung noch vor wenigen Jahren für apokalyptische Straßenszenen sorgte, ist wieder blauer Himmel sichtbar.

Bei der jüngsten UN-Generalversammlung hat Chinas Präsident schließlich einen energiepolitischen Paukenschlag angekündigt: „Unser Ziel ist es, dass der Ausstoß von Kohlendioxid vor 2030 den Höchststand erreicht und dass wir Klimaneutralität vor 2060 erreichen“, sagte der politische Führer der Volksrepublik. Erstmals also legt das weltweit be­völkerungsreichste Land mit dem höchsten CO2-Ausstoß einen zeitlichen Fahrplan zur schadstofffreien Zukunft vor.

Aus der Schule geflogen

Für Ou Hongyi reichen die Taten der chinesischen Regierung jedoch nicht aus. Ohne gesellschaftlichen Druck werde sich auch nichts ändern, sagt sie. Politische Fragen über ihren Staatspräsidenten möchte die junge Chinesin nicht diskutieren. Sie weiß, wo die roten Linien in einem System verlaufen, in dem regelmäßig Menschenrechtsanwälte und Bürgeraktivisten über Nacht verschwinden.

Nach ihrem ersten Polizeiverhör hat Ou Hongyi die Bücher von Mahatma Gandhi gelesen und sich von seinem Konzept des zivilen Ungehorsams inspirieren lassen. In ihrer Schule patrouillierte sie regelmäßig in den Pausen durch die Klassenzimmer, um die Klimaanlagen abzuschalten. In der Kantine forderte sie, das Plastikbesteck sein zu lassen. Auch zu Hause hat sie ihre Eltern dazu gedrängt, sämtlichen Einwegmüll zu verbannen.

Ou Hongyi organisiert Klimaproteste, Dokumentationsfilmabende und Müllsammelaktionen. Und wer die 17-Jährige interviewen möchte, muss versprechen, die elfstündige Anfahrt von Peking aus mit dem Zug anzutreten.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis Ou Hongyi mit ihrem unbequemen Aktivismus an ihre Grenzen stieß. Ihre Schuldirektorin hat sie zu Beginn des Jahres vor die Wahl gestellt: Entweder gibt sie ihr Klima-Engagement auf, oder sie wird von der Schule verwiesen. Hongyi entschied sich dafür, weiterzukämpfen.

Wenn man sie nach Zukunftsängsten fragt, dann antwortet sie dennoch nicht mit fehlenden Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt oder den ständigen Streitereien mit ihren verzweifelten Eltern. „Die Klimakrise ist es, die mir Angst macht. Sie wird eine unkontrollierbare Kettenreaktion auslösen, wenn wir nicht jetzt umgehend handeln“, sagt sie.

Jene Kettenreaktion konnte die 17-Jährige im Sommer mit eigenen Augen beobachten: Die schlimmsten Fluten seit Jahren überschwemmten ihre Heimatprovinz Guangxi, wo die Wassermassen die Existenz von Tausenden Landwirten zerstörten. Wenn Hongyi davon redet, dann schießen ihr noch heute Tränen in die Augen.

An diesem feuchtschwülen Herbstabend in der Fußgängerzone von Yangshuo gibt sich Ou Hongyi kampfbereit. Bis weit nach Mitternacht verteilt sie Informationszettel an interessierte Passanten und spricht über die Notwendigkeit erneuerbarer Energien. Sobald die Polizei kommt, rollt sie die Plakate in ihren Rucksack und sucht nur wenige Straßenecken weiter ein neues Plätzchen. Doch einen festen Platz in der chinesischen Gesellschaft wird die Klimaaktivistin wohl niemals finden können.

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