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Klimakrise in KolumbienVon Dürre zu Überschwemmungen

Indigene Gemeinschaften im kolumbianischen Regenwald leiden unter Wetterextremen. Sie erschweren vor allem den landwirtschaftlichen Anbau.

In der Gemeinde Puerto Nariño im Süden Kolumbiens nahe der Grenze zu Peru leben 22 indigene Gemeinschaften Foto: Esteban Tavera

BOGOTÁ taz | | Alles ist zerstört. Wo normalerweise Mais, Reis, Bananen, Maniok und Obstbäume oder Heilpflanzen in den sogenannten „chagras“ entlang des Flussufers angebaut werden, steht jetzt das Wasser. Wir befinden uns im kolumbianischen Regenwald Amazoniens, nahe der Grenze zu Peru.

Die kleinen Anbauflächen am Flussufer sind ein wesentlicher Bestandteil der Kultur der Familien, die in diesem Gebiet leben. Neben den Fischen aus dem Fluss und einigen Wildtieren, die sie jagen, liefern die „chagras“ normalerweise den größten Teil der Nahrung. Doch seit Anfang April 2025 ist der Pegel des Amazonas und seiner Nebenflüsse gestiegen. Nun stehen die Pflanzen unter Wasser und liefern die lange erwartete Ernte nicht mehr.

Green Panter Amazonia

Der Text ist im Rahmen des Klimaworkshops Green Panter Amazonia der taz Panter Stiftung entstanden. Mehr Texte der Teilnehmenden aus 8 Ländern der Amazonas-Region auf taz.de.

Vor einem Jahr war die Lage noch genau umgekehrt: Monatelang wurde die Region von einer extremen Dürre heimgesucht. Die Felder bekamen nicht genug Wasser, die Ernte fiel entsprechend dürftig aus. „Es gibt Familien, die nur von dem leben, was sie anbauen. Durch die Dürre sind die Pflanzen jetzt aber verdorben“, sagt Aleksis Damancio Silva, Generalsekretär der Organisation Aticoya, der politischen Autorität in diesem Reservat.

Schwankungen zwischen Extremen

Im Laufe der Monate kehrte der Regen zurück und der Wasserstand benachbarter Flüsse stieg erneut. Es regnete jedoch so viel, dass die Flüsse inzwischen über ihre Ufer traten. Statt Trockenheit sind jetzt Überschwemmungen das Problem.

Diese Entwicklung deckt sich mit einer Untersuchung, die im Juni 2025 in der Zeitschrift Nature veröffentlicht wurde und die Veränderungen der Jahresringe von Amazonasbäumen zwischen 1980 und 2010 untersuchte. Dabei kommen die Forscher zum Schluss, dass die Niederschläge im Amazonasgebiet zwischen Extremen schwanken: Entweder sind sie sehr spärlich oder sie fallen immer häufiger und dazu in immer größeren Mengen.

Durch die Überschwemmungen sind viele kleine Anbauflächen verlorengegangen Foto: Esteban Tavera

Wissenschaftler Santiago Duque von der Nationalen Universität Kolumbiens befürchtet mehr Dürren und extreme Regenfälle als Folgen des Klimawandels in der Region. Eine aktuelle Studie zeige, dass die Zahl der Extremwetterereignisse im Amazonasgebiet zugenommen habe. Dies lasse „vermuten, dass sich das in den kommenden Jahren wiederholen wird“, sagt Duque.

Niederschläge und Temperaturen steigen an

Auch das Institut für Hydrologie, Meteorologie und Umweltstudien (IDEAM) Kolumbiens prognostiziert in seinem vierten nationalen Bericht zum Klimawandel, dass es im Amazonasgebiet im Zeitraum zwischen 2021 und 2040 zu einem Anstieg der Niederschläge zwischen 8 und 45 Prozent zu erwarten ist. Der für 2100 prognostizierte Temperaturanstieg in der Region liegt indes bei bis zu 5 Grad Celsius.

José Carlos Ahué ist ein Angehöriger des indigenen Volkes der Tikuna und lebt in der Gemeinde Puerto Esperanza. Er sagt, es hätte dieses Jahr „keinen Mangel an Mais und Wassermelonen“ gegeben. Aber nicht wegen einer guten Ernte, sondern weil wegen der Dürre und der Überschwemmungen diese Produkte erst gar nicht zum Verkauf auf dem Markt landeten.

Ahués wirtschaftliche Lage verschlechterte sich durch die Wetterextreme, weil er mehr Lebensmittel einkaufen musste. Und weil der Fluss zwischenzeitlich fast ausgetrocknet war, war der Transport schwierig, was die Preise zusätzlich in die Höhe trieb. Sonst verkauft er durchschnittlich 500 Kilogramm Fariña pro Woche, eine aus gemahlenem Maniok gewonnene Mehlsorte. „Damit verdiene ich rund 500.000 Pesos pro Woche“, sagt Ahué. Jetzt sank sein Einkommen auf 350.000 Pesos (ca. 76 Euro), weil er nicht mehr die gleiche Menge Maniok produzieren konnte. „Außerdem musste ich Wasser kaufen, weil die Quelle ausgetrocknet war, aus der wir in meiner Gemeinde das Wasser beziehen.“

José Carlos Alhué von den Tikuna-Indigenen: Seine wirtschaftliche Lage verschlechterte sich durch die Wetterextreme Foto: Esteban Tavera

Schwankungen des Flusspegels sind nichts Neues und die Gemeinden können sich normalerweise daran anpassen. Inzwischen ist das anders. Die betroffenen Be­woh­ne­r*in­nen wüssten nicht mehr, „wann der Fluss steigt, wann er sinkt, wann sie den Boden für die Aussaat vorbereiten und wann sie ernten müssen“, erklärt Professor Duque. Der Tikuna-Anthropologe Abel Santos stimmt dem zu. „Das gab es zwar schon früher, aber da waren die Zeiträume kürzer. Jetzt werden die Dürre- und Regenperioden länger“, sagt Santos.

Mehr als nur Wassermangel

Arturo Candamil gehört zum Tikuna-Volk und lebt in der Gemeinde Tres Esquinas Boyahuarzú. Auch er berichtet, dass in der Trockenzeit der Pegel des Amazonas und seiner Nebenflüsse deutlich sank, wodurch der Transport sich verkomplizierte. Das verschlechterte wiederum den Zugang zu Gesundheitsdiensten. „Wenn wir krank werden, liegt das Problem vor allem in der Geldbörse. Wir müssen bis nach Puerto Nariño, Caballococha oder bis zur Isla del Tigre fahren“, sagt Candamil. Der niedrige Wasserstand erschwere die Fahrt nun oft.

Aufgrund des eingeschränkten Zugangs zu Trinkwasser sind die Tikuna zudem immer wieder gezwungen, Wasser aus dem Amazonas zu trinken. Das erhöht das Risiko für Magen-Darm- und Hautkrankheiten. Und in Zeiten von Überschwemmungen steigt wiederum das Risiko für tropische Krankheiten wie Dengue-Fieber, Chikungunya, Malaria und Leishmaniose.

Trotz dieser schwierigen Lage bemühen sich die Tikuna-Gemeinden weiterhin, den Wald und seine Flüsse zu schützen, soweit ihnen das möglich ist. „Der Amazonasregenwald würde nicht mehr existieren, wenn es uns, die indigenen Gemeinschaften, nicht gäbe“, ist sich Ahué sicher. Obwohl die Tikuna wissen, dass sie nicht die Verursacher der zunehmenden Probleme sind, wollen sie zu deren Lösung beitragen.

Dazu müsste allerdings auch der kolumbianische Staat ihre Grundrechte garantieren und ihnen mit Geld und Ressourcen zur Seite stehen.

Esteban Tavera ist ein Journalist aus Kolumbien. Er arbeitet für das Netzwerk Climate Tracker América Latina.

Übersetzt aus dem Spanischen von Ole Schulz

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