Klimakrise in der Literatur: Können Bücher uns retten?
Am Mittwoch beginnt die Frankfurter Buchmesse. Immer mehr Autor*innen schreiben über das Leben auf einem erhitzten Planeten.

„Aber je tiefer ich vordrang, desto mehr erkannte ich, wie der Umwelt-Kollaps alles durchdringt“, meint Daré. In ihrem Roman „And so I Roar“ (dt. Und so brülle ich) muss die 14-jährige Adunni aus der Stadt in ihr Dorf zurückkehren, um an einem Ritual teilzunehmen, das ihr Dorf von den Auswirkungen des Klimawandels schützen soll. Daré gewann damit in diesem Mai den ersten „Climate Fiction Prize“. Der Preis wurde ins Leben gerufen, um Literatur zur Klimakrise und damit auch die Krise selbst mehr in die den Fokus zu rücken.
Diese fiktive Klimaliteratur hat auch einen Namen: Climate Fiction oder kurz Cli-Fi. Die Bezeichnung ist eine Anlehnung an Science Fiction und die dazugehörige Kurzform Sci-Fi. Climate Fiction ist noch ein relativ junges Genre, 2008 wurde es von dem Reporter Dan Bloom geprägt.
Zuerst fielen darunter vor allem Geschichten, die – oft dystopische – Zukunftsbilder von einer Welt mit fortschreitendem Klimawandel zeichneten. Einige der Cli-Fi-Erzählungen sind auch genauso fantastisch wie Sci-Fi. Andere, wie „Das Flugverhalten der Schmetterlinge“ von Barbara Kingslover, das beschreibt, wie Klimaveränderungen Monarchfalter beeinflussen, sind sehr viel näher an der Realität.
Ein Platz für Klimagefühle wie Angst und Trauer
Julia Hoydis, Forscherin von Klimawandel-Narrativen
Der Autor Uwe Laub hat im vergangenen Jahr den Verein Climate Fiction Writers Europe gegründet. Er meint, Climate Fiction sei in der deutschsprachigen Literaturszene „völlig unterrepräsentiert“ und viele Verlage würden „grüne Themen“ meiden. Das will Laub ändern. Für die Frankfurter Buchmesse, die am Mittwoch beginnt, hat er deswegen eine Podiumsdiskussion organisiert.
Die Geschichten, die Laub selbst schreibt, finden oft im Setting der Klimakrise statt – beispielsweise der Bestseller-Thriller „Sturm“ von 2018, in dem es um Wettermanipulationen geht.
Für die Literaturwissenschaftlerin Julia Hoydis, die an der Universität Graz zu Klimawandel-Narrativen in kulturellen Darstellungen forscht, ist das Genre wichtig: „Kommunikation zum Klimawandel scheitert seit Jahren, Literatur kann Menschen anders und emotionaler erreichen“, meint sie. Climate Fiction könne auch ein Raum sein, in dem Klimagefühle wie Angst und Trauer einen Platz finden.
Das Genre boomt richtig, es gibt immer mehr literarische Veröffentlichungen, die die Klimakrise in den Mittelpunkt stellen. Aufmerksamkeit bekommen haben beispielsweise das 2023 erschienene „Umlaufbahnen“ von Samantha Harvey oder „Das Ministerium der Zeit“ von Kaliane Bradley, das im vergangenen Jahr erschien. Auffällig ist, dass CliFi mittlerweile oft zeitlich viel näher an der Gegenwart spielt als klassische SciFi-Geschichten.
Der Bestseller „Das Ministerium für die Zukunft“ von Kim Stanley Robinson wurde 2020 veröffentlicht und spielt im Jahr 2025. Es diskutiert die Frage, ob Klimaschutz den Einsatz von Gewalt rechtfertigt und fühlt sich an vielen Stellen fast hyperrealistisch an.
Realität überholt Fiktion
Weil die Klimakrise eine zunehmend größere Rolle in unserem Leben spiele, sei es logisch, dass sie auch in der Literatur wichtiger werde, meint Wissenschaftlerin Hoydis. „Klima ist nicht nur ein wissenschaftliches Thema, sondern auch ein kulturelles, das viel mit unserem Miteinander zu tun hat“, sagt sie.
Die mehr als 50 Autor*innen von Climate Fiction Writers Europe arbeiten deshalb daran, Geschichten zur Klimakrise bekannter zu machen. Neben dem Auftritt auf der Buchmesse bereitet der Münchner Verein einen Schreibwettbewerb vor. Uwe Laub ergänzt: „Die wenigsten Menschen kaufen hochkomplexe Sachbücher, aber wenn man die Klimakrise in eine spannende Geschichte packt, dann bleibt schon was hängen.“
Wie groß der Einfluss von Cli-Fi als Ergänzung zu klassischer Wissenschaftskommunikation tatsächlich ist, steht nicht fest: Eine Studie kam zu dem Ergebnis, dass die Lektüre von Cli-Fi kurzfristig sowohl die Überzeugung erhöht, dass der Klimawandel real und menschengemacht ist, als auch das Bewusstsein für die Risiken verstärkt, die damit einhergehen. Langfristig lasse dieser Effekt aber nach. Hinzu kommt: Häufig erreicht Cli-Fi laut Hoydis oft Menschen, die sich sowieso schon mit dem Thema beschäftigen.
Aktuell überholt die Realität an einigen Stellen schon die Fiktion – die Klimakrise liegt nicht mehr in ferner Zukunft, häufigerer Starkregen oder ungekannte Dürren und Hitzewellen sind längst da. Eine Hitzewelle in Indien, wie sie „Das Ministerium für die Zukunft“ beschriebt, hat im vergangenen Jahr tatsächlich mehr als 700 Menschen getötet.
Literaturwissenschaftlerin Hoydis fragt sich deshalb, wie lange man Cli-Fi als Genre überhaupt noch klar abgrenzen kann. Texte, die mit der Gegenwart oder der Zukunft zu tun haben, müssten schon jetzt fast unausweichlich die Klimakrise thematisieren. „Die warnende Funktion von Cli-Fi rückt deswegen in den Hintergrund“, meint sie.
Auch die Möglichkeit, die Klimakrise etwa noch mit technischen Lösungen aufzuhalten, werde seltener beschrieben. „Stattdessen beschreibt Literatur jetzt immer mehr eine Welt mit Adaptation, in der die Überlebenden klarkommen müssen“, sagt Hoydis. Was sie allerdings vermisst – und da kommen Fiktion und Realität wieder näher zusammen – sind hoffnungsvollere, utopische Erzählungen von einem positiveren Ausgang der Klimakrise.
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