Klimaneutraler Umbau: Der Weg zum grünen Stahl ist steinig
Die klimafreundliche Produktion von Stahl ist komplex und teuer. Mit Hilfe aus Australien könnten jedoch die meisten hiesigen Jobs erhalten bleiben.
Was wird aus den 80.000 Stahlkochern in Deutschland – angesichts globaler Überkapazitäten von über 600 Millionen Tonnen, subventionierter Billigexporte aus China, massiver US-Stahlzölle, einer historisch niedrigen Nachfrage in Europa – und der gigantischen Mengen CO₂, die die Branche emittiert? Darüber diskutiert am Donnerstag der „Stahlgipfel“ in Berlin.
Dabei geht es neben den Jobs um Geo- und Umweltpolitik: Denn die Erzeugung von Roheisen und Stahl vor Ort ist wichtig, wenn die deutsche Industrie weitgehend unabhängig von Importen bleiben will. Und nicht zuletzt verursacht die Branche knapp 7 Prozent der deutschen CO₂-Emissionen – oder 55 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr.
Um die Klimaziele einzuhalten, muss also „grüner“, mit ökostrombasiertem Wasserstoff statt mit Kohlekoks erzeugter Stahl her. Das ist nicht leicht, denn die Technik dazu ist noch nicht massentauglich. Und teuer. Erst im Juni hatte der Stahlriese ArcelorMittal seine milliardenschweren Grünstahl-Pläne in den Werken Bremen und Eisenhüttenstadt storniert.
Im September kündigte der Stahlkonzern Salzgitter an, die zweite und dritte Ausbaustufe seines Ökostahlprojektes zu verschieben. Allerdings werden weiter 2,3 Milliarden Euro für den Bau sogenannter Direktreduktionsanlagen (DRI) investiert, um ab 2027 etwa 2 Millionen Tonnen grünen Stahl pro Jahr zu produzieren. Dabei sollen rund 30 Prozent CO2 weniger emittiert werden, und zwar durch den Einsatz von Wasserstoff. Zunächst wird aber auch noch fossiles Erdgas benötigt. Zwei weitere große deutsche Produzenten, Saarstahl und Thyssenkrupp, basteln weiter an ihren Grünstahlprojekten. Ein weiterer grüner Hoffnungsträger aus Schweden, Stegra, strauchelt gerade wegen Geldmangel.
Der Weg zu grünem Stahl ist also steinig. Problem: die Produktion von klimaneutralem Wasserstoff. Der ist derzeit weder in ausreichenden Mengen verfügbar – noch bezahlbar. Deshalb denken Stahlindustrie und Politik darüber nach, nicht mehr die gesamte Produktion in Deutschland stattfinden zu lassen. Dann würde die hiesige Industrie statt wie heute Eisenerz klimaneutrales Roheisen in Form von Pellets importieren und in Deutschland zu Stahl weiterverarbeiten und veredeln. Schon heute sind laut Branchenangaben 95 Prozent der Belegschaft nicht mehr am Hochofen beschäftigt, dafür beim Stahlkochen, beim Walzen oder bei der Oberflächenbehandlung. Die meisten der hiesigen Jobs könnten also erhalten bleiben.
Im September besuchte eine Delegation des Bundeswirtschaftsministeriums das westaustralische Whyalla: In der sonnenreichen Wüste der Region wird grüner Strom nicht nur kostengünstiger als in Deutschland erzeugt, in der Nähe werden auch Eisenerze mit einem hohen Anteil an Eisenoxid gefördert, die für die Direktreduktion benötigt werden. Dieselben Schiffe, die heute die Erze Richtung Europa schippern, könnten künftig die Stahlvorprodukte transportieren.
Import von klimaneutral produziertem Roheisen
Das Unternehmen Progressive Green Solutions will ab 2029 grünen Stahl und dessen Vorformen für den Export nach Japan, Korea und Europa herstellen. Der deutsche Hersteller Thyssen Krupp Nucera soll das Kernstück für die Wasserstoffproduktion liefern, die sogenannten Elektrolyseure. Produzieren soll das „Mid-West Green Iron Project“ zunächst 7 Millionen Tonnen grünes Roheisen pro Jahr. Ab 2032 sind 30 Millionen Tonnen geplant – fast so viel, wie die gesamte deutsche Stahlindustrie aktuell produziert.
„Grundsätzlich ergeben Projekte dieser Art viel Sinn, denn die Standortvorteile in Australien sind groß“, sagt Phillipp Verpoort, Transformationsforscher am Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung. Allerdings fehle immer noch die finale Investitionsentscheidung, warnt Verpoort – und verweist auf ähnliche Projekte, die dann doch nicht realisiert wurden. Der Transformationsdruck für die Branche sei zwar hoch und die Kostenvorteile in Australien groß, „allerdings sind viele Abnahmeregionen wie Deutschland, Japan, Südkorea oder China noch zögerlich“, betont Verpoort. Immerhin habe „Australien als Handelspartner geopolitische Vorteile gegenüber anderen potenziellen Exporteuren von grünem Roheisen, die teilweise instabil oder autokratisch regiert sind.“
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