Klimaschutz und die soziale Frage: Der liberale Robin Hood

Fleisch teurer machen? Geht gar nicht. Interessant, dass Liberale und Konservative beim Klimaschutz plötzlich ihr soziales Gewissen entdecken.

Christian Lindner macht ein Selfie

Hat arme Menschen stets im Blick: FDP-Chef Christian Lindner Foto: dpa

Hocherfreut nehmen wir zur Kenntnis, dass im liberalkonservativen Lager offenbar ein radikales Umdenken stattfindet. Plötzlich sorgen sich Politiker und Journalisten, die bisher stets Privilegien der Gutverdiener verteidigten, um das Wohl armer Menschen. Eine ganze Armada selbst ernannter Robin Hoods ist gerade unterwegs, wenn es darum geht, engagierte Klimaschutzpolitik abzuwehren.

Fleisch etwas teurer zu machen, um gequälten Tieren zu helfen, geht zum Beispiel gar nicht. Der CDUler Eckhardt Rehberg geißelt eine Mehrwertsteuererhöhung als „in höchstem Maße unsozial“. Die Bild-Zeitung fragt ängstlich: „Tierwohl und Klimaschutz auf dem Rücken der sozial Schwachen im Land?“ Und ein Kommentator der konservativen Welt stellt empört fest, dass es „Menschen, die ihre Abgeordnetendiäten in Bioläden tragen“ egal sei, dass Geringverdiener überproportional getroffen würden.

Auch das Recht auf billiges Fliegen wird gerne mit dem Verweis auf die soziale Frage verteidigt, zum Beispiel von dem bekannten Sozialpolitiker Christian Lindner. Seine Sorge sei, dass „die Gutbetuchten, die sich grüne CO2-Preise leisten können, so weitermachen wie bisher“, sagte er vor einiger Zeit in einem Interview – und in den Backpacker-Urlaub nach Asien fliegen. Leute ohne hohes Einkommen seien dann „diejenigen, die auf Auto, auf Urlaub, auf Ernährungsgewohnheiten verzichten müssen“.

Diese soziale Spaltung gilt es laut Lindner zu verhindern. Ach? Wie schön, dass die FDP endlich entschlossen gegen die soziale Spaltung vorgeht. Lindners Truppe galt ja bisher eher als verlässliche Kämpferin für das Recht, ungestört vom lästigen Staat sehr viel Geld anzuhäufen – siehe Steuersenkungen für Spitzenverdiener, Soli-Abschaffung und so weiter. Durch Versuche, den Niedriglohnsektor einzudämmen, ist sie bisher nicht aufgefallen. Vielleicht haben wir da aber auch etwas übersehen.

Wir freuen uns, wirklich

Auch die Union hat es in den 14 Jahren, die sie die Regierung anführt, herzlich wenig geschert, dass die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer wurde. Faire Erbschaftsteuer? Nö, lieber nicht. Und war es nicht die Bild-Zeitung, die gerne gegen angeblich faule Hartz IV-BezieherInnen hetzt? Aber nun, da es um's Klima geht, sind die Abgehängten plötzlich total wichtig!

Man könnte sich nun über die peinliche Instrumentalisierung aufregen. Aber Nörgelei ist der taz bekanntlich fremd. Nein, wir freuen uns. Wirklich. Und begrüßen es, dass endlich auch wichtige Player ihr soziales Gewissen entdecken, die es lange Jahre erfolgreich versteckten. Debatten, die voran gebracht werden müssten, gibt es ja genug.

Union und FDP werden zum Beispiel schon bald erstaunt entdecken, dass der Diskurs, wie Klimaschutz und Umverteilung von oben nach unten kombiniert werden können, längst im Gange ist. Die Grünen fordern ja eine CO2-Steuer, die klimaschädlichen Konsum teurer machen würde. Aber sie wollen die Einnahmen über ein Energiegeld wieder an die BürgerInnen ausschütten. Arme Leute, die wenig konsumieren, würden profitieren.

An dem Konzept kann man viel kritisieren, die Verteilungswirkung ist keineswegs so gerecht, wie die Grünen sagen. Aber radikalere Vorschläge hat man bisher von Union und FDP nicht gehört. Das kann aber nur noch eine Frage der Zeit sein. Oder, liebe CDU?

Ebenso fiebern wir begeistert den nächsten Sozialstaatsdebatten entgegen, die sicher mit völlig neuem Esprit geführt werden. Endlich ist Schluss mit der ewigen „Leistung muss sich lohnen“-Litanei, die FDP wird Seit an Seit mit Linken für gerechtere Verhältnisse kämpfen. Den Furor, mit dem liberalkonservative Vordenker in der Klimapolitik für arme Menschen kämpfen, wünschen wir uns auch bei Diskussionen über Hartz IV, Grundrente oder Mindestlöhne.

Denn, oh Wunder, engagierter Klimaschutz lässt sich mit sozialem Ausgleich flankieren: Ein Niedrigverdiener, der einen Mindestlohn von 12 Euro die Stunde bekommt, kann sich auch ein etwas teureres Schnitzel leisten. Der Kampf geht weiter, Herr Lindner!

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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