Klimawandel-Lebenslügen: Die Ausredengesellschaft

Warum sparen die Deutschen nicht schon längst mehr Energie ein? Acht Lebenslügen, die modernen Klimaschutz und eine Energiewende verhindern.sof

Geht nicht wegen ausgefallen? Gute Nacht! Bild: dpa

Die gesellschaftliche Beschäftigung mit dem Klimawandel existiert seit etwa fünfzehn Jahren, und sie wird seither dominiert von Nebensächlichem, Missverständnissen und Lebenslügen. Unsere These: Wir haben es neben den wirtschaftlichen und politischen Problemen auch mit einer massiven gesellschaftlichen Blockade zu tun.

Naturwissenschaften und Ökonomen haben das Klimawandel-Problem inzwischen ausgiebig untersucht. Die Sozialwissenschaft dagegen hat kaum erforscht, warum die Gesellschaft das Dreiliterauto jahrelang für die Ausgeburt von Konsumverzicht und Gutmenschentum hielt. Warum normale Produktinnovationen nur unter Kostengesichtspunkten gesehen werden. Warum sich Teile dieser Gesellschaft lieber im heiligen Verteidigungskrieg gegen Energiesparlampen wähnen, statt Klimaschutz, Klimakonsum und Energie-Innovation unaufgeregt in den persönlichen Alltag zu integrieren.

Ein Problem: Aufgrund der Erklärung des Klimaproblems zur zentralen Frage der Menschheit werden auch die einfachsten Dinge zur Frage der Weltrettung aufgeblasen. In Häusern wohnen, die fast keine fossile Energie brauchen. In Autos fahren, die nicht absurd viel Sprit brauchen. Die Überwindung von zentraler und wenig effizienter Energieversorgung mit Kohle- und Atomkraftwerken. Intelligente Innovation eben, die auch ohne Klimaproblem erstrebenswert wäre. Das Klimalabel hat diesen Innovationen bisher bizarrerweise mehr geschadet als genützt.

Ergebnis: Wir leben in einer Ausredengesellschaft, die ein paar grundsätzliche Lebenslügen aufgebaut hat und zugesehen, wie andere sie aufgebaut haben.

Ausrede 1: Wir können uns den Klimaschutz nicht leisten.

Wir sind eine reiche, produktorientierte Konsumgesellschaft, in der viele über finanzielle Spielräume verfügen. Selbstverständlich könnten sich viele von uns grünen Strom leisten, selbst wenn er - was gar nicht der Fall ist - teurer wäre als Kohlestrom. Oder wird in Deutschland nur schlechter Wein getrunken?

Es ist eine Frage der Produktkultur und Produktpriorität: Käufer von neuen Autos geben im Schnitt 25.000 Euro aus - und verbrauchen etwa acht Liter auf 100 Kilometer. Selbstverständlich können wir Autos für 15.000 Euro kaufen, die fünf Liter brauchen und mit den 10.000 Euro in einen Windpark einsteigen.

Ja, aber die arme Autoindustrie muss zumachen oder zumindest Arbeitsplätze abbauen, wenn statt Porsche und Mercedes künftig moderne Autos gekauft werden? Gegenfrage: Interessiert es den Käufer von Flachbildschirmen, wie es der Röhrenfernseher-Klitsche geht? Selbstverständlich können etwas wohlhabendere Bürger in wenigen Jahren ihren Energieverbrauch um 50 Prozent reduzieren, indem sie in innovative Produkte investieren.

Ausrede 2: Man will uns ein schlechtes Gewissen machen.

Jeder Mensch hat ein Grundrecht auf Gleichgültigkeit gegenüber dem Klima. Interessanterweise fühlen sich aber gerade die, die nicht umweltbewusst agieren, von den Umweltbewussten belästigt und in ihrer "Freiheit" eingeschränkt. Das "schlechte Gewissen" wird also durch die Existenz eines anderen Lebens- oder Konsummodells hervorgerufen.

Es geht aber überhaupt nicht um das Gewissen. Es geht nicht darum, dass verkniffene Ökospießer eine freudlose, also eine sozialistische Welt wollen.

Wir sind eine Konsumgesellschaft und wir bleiben eine. Es geht um guten Geschmack, Modernität und Markenbewusstsein. Es geht um die Freude an der Gegenwart, der Zukunft und am Konsum. Ich will keinen Steinzeitstrom. Ich will kein Steinzeit-Auto, dessen Motor an der Ampel nicht ausgeht. Leute, wir haben bald 2008! Ich hab doch auch keinen Schwarzweißfernseher mehr.

Ausrede 3: Technologisch sind wir noch nicht so weit.

Wir warten auf das Wasserstoffauto, wir warten auf saubere Kohlekraftwerke, wir warten auf die Kernfusion, letztlich warten wir aufs Christkind. Dabei sind die Technologien für hundert Prozent erneuerbare Energie und Effizienzsteigerung längst da. Das Haus, das keine Heizung mehr braucht, das Biogaskraftwerk, das Solardach, die Windturbine, das Mikrokraftwerk im Keller. Alles existiert. Und die Geothermie und neue Speichermöglichkeiten werden schnell so weit sein.

Heute sind die technologischen Optimisten Ökos, und die klassischen Technikgläubigen - etwa, wenn es um die Zukunft der Atomkraft geht - sind plötzlich die Skeptiker. Es gibt ein massives Technologie-Wahrnehmungsproblem. Das Ignorieren von unspektakulären Lösungen, entwickelt von innovativen, kleinen Unternehmen, hat Methode. Ein Beispiel ist das Passivhaus, die spektakulärste Erfindung seit der Mondlandung. Es ist Wirklichkeit, interessiert aber die meisten Politiker weniger als das halbseidene Versprechen, eines Tages CO2-freie Kohlekraftwerke bauen zu können.

Ausrede 4: Die Politik muss erst mal

Ja, es handelt sich auch um Staatsversagen. Die Entwicklung der Kraft-Wärme-Kopplung war bisher ein Desaster, die Verbesserung der Gebäudeeffizienz wird kaum verfolgt. Die derzeitige Kanzlerin meinte noch in den 90ern, die Erneuerbaren könnten nur wenige Prozent des deutschen Energiemixes ausmachen. Das hatte ihr die Energiewirtschaft eingeredet. Die hat immer noch viele Politiker unter Vertrag. Heute sagen selbst CDU und SPD, dass ein großer Anteil erneuerbar sein kann. Aber dass der Umstieg viel schneller gehen kann, ist im Mainstream noch nicht angekommen. Hessens Schatten-Wirtschafts- und Umweltminister Hermann Scheer (SPD) hat ein Energieprogramm errechnet, das die beiden Atomkraftwerke Biblis I und II binnen kürzester Zeit durch einen dezentralen Mix an Erneuerbaren ersetzen kann.

Unrealistisch, heißt es bei der Koch-CDU und teilweise sogar bei den Grünen. Scheer, sagt Koch, "sei nicht von dieser Welt". In der Tat sei er nicht von der Welt, in der Roland Koch lebe, antwortete Scheer. Wer länger mit Scheer redet, versteht, was er sagen will: Es geht in dieser Welt nicht, weil es Kochs Welt ist, und Koch sagt, dass es nicht geht. Ja, geht es denn doch? "Klar geht es", sagt Scheer.

Ob er hinkriegt, was er verspricht? Tja. Die Frage stellt sich in jedem Wahlkampf. Aber zum ersten Mal in der Geschichte Deutschlands hat der Bürger in Hessen ein Angebot für eine radikale Energiewende bekommen: Ein Politiker sagt konkret, wie viele Biogasanlagen, Windräder und Solaranlagen pro Landkreis gebaut werden müssen. Das ist das Gegenteil einer Konferenz wie der von Bali. Wenn der hessische Bürger will, dass die Politik macht, dann kann er das Angebot ausprobieren.

Das ist doch mal was.

Ausrede 5: Die Bundesregierung kann nur in internationaler Zusammenarbeit

Wesentliche Entscheidungen fallen in den Landkreisen und Städten: Dort, wo entweder Kohlekraftwerke oder Windräder genehmigt werden. Hier geht es auch um die Chancen regionaler Wertschöpfung. Pro Einwohner fließen pro Jahr 1.000 Euro in fossil-atomare Energien. Das macht in einem Landkreis schon mal 300 Millionen Euro aus, die für den regionalen Wirtschaftskreislauf verloren sind.

Es gibt längst nicht nur Städte, die auf Ökostrom umsteigen, sondern auch Landkreise und Bürgerinitiativen, die eine umfassende Energiewende vollziehen. Zum Beispiel in Bayern die Landkreise Miesbach und Bad Tölz-Wolfratshausen. Ergebnis: Bis 2035 wird man mit hundert Prozent erneuerbarer Energie leben. Deshalb sind die Landratsämter und Kreistage in einer Schlüsselposition.

Ausrede 6: Die Chinesen und die Inder

Seit wann orientieren wir uns an den Chinesen? Noch orientieren sich die Mittelschichten der aufstrebenden Länder an uns. Und das soll auch so bleiben. Wenn wir heute emissionsfrei mit dem Elektroauto fahren, fahren die morgen auch Elektroauto.

Ausrede 7: Wir steuern in eine furchtbare Ökodiktatur.

Aber sonst haben wir keine Sorgen?

Ausrede 8: Ökos sind doof

Vorsicht. Es bildet sich gerade eine neue Avantgarde, die stilbildend wirken und ihre Mittelschichten-Peer-Group mitnehmen kann. Auch gibt es vereinzelt erste Prominente, die Klimakonsum als Bestandteil eines erstrebenswerten Lebens über Massenmedien in andere Schichten hineintransportieren können.

Es gibt aber keine intellektuelle, wirtschaftliche, politische oder mediale Elite, die das Thema in das eigene Leben integriert hat und authentisch, glaubwürdig, mit Kompetenz und Begeisterung gesellschaftlich diskutiert und voranbringt. Das gilt zum Beispiel für Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD), der es bis vor kurzem noch vehement abgelehnt hat, sich zu einem ökologischen Lebensstil zu bekennen. Das gilt weniger für Bild (denn was sollte man von Bild erwarten dürfen?) als vielmehr für Meinungsführer wie die Zeit. Die beschwört in ihren Leitartikeln (also der Theorie, wie die Welt sein müsste) selbstverständlich das Gute - und geilt sich in ihrer Autokritik (der echten Welt der Redakteure) regelmäßig an anachronistischen Statussymbolen auf und reißt infantile Witzchen über deren "politisch unkorrekten" Verbrauch.

Warum weisen gerade die deutschen Eliten jede persönliche Lebensstilverantwortung zurück? Diese Eliten argumentieren jederzeit ethisch-moralisch: wenn es beispielsweise darum geht, Hartz IV zu begründen und anderen zu erklären, warum sie den Arsch hochkriegen müssten in einer globalisierten Welt. Geht es aber um ihren eigenen Arsch, also Wagen oder Dienstwagen oder Lebensstil, ist plötzlich die persönliche Freiheit eingeschränkt.

Selbst wenn das ungerecht sein sollte - im Ergebnis steht: Die bürgerlichen Eliten haben Klimaschutz und Energiewende bisher nicht in ihren Kanon der bürgerlichen Pflichten integriert.

Daher braucht es eine neue Elite in Deutschland.

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