Klimawandel bedroht Boliviens Indigene: Nach dem Wasser bleibt das Salz
Im Hochland von Bolivien trocknet der Klimawandel die Welt der Uru Chipaya aus. Bauern kämpfen um ihre Ernte und das jahrtausendealte Volk ums Überleben.

Auf den sandigen Straßen und in den Häusern der Gemeinde Chipaya sind nur wenige Menschen zu sehen. Die meisten Häuser wirken verlassen, manche sind mit einem Vorhängeschloss verriegelt. Der Wind ist so stark, dass man unwillkürlich die Augen schließen muss.
Chipaya liegt im bolivianischen Altiplano, nur etwa 50 Kilometer von der Grenze zu Chile entfernt. Das Hochplateau vermittelt eine Atmosphäre der Einsamkeit, fast gänzlich ohne Menschen und Tiere, am Horizont zeichnen sich die Umrisse der nahe gelegenen schneebedeckten Vulkane ab. Das Gebiet liegt auf einer Höhe von mehr als 3.500 Metern. Eine lebensfeindliche Region, könnte man meinen. Und doch ist da diese Gemeinde: Chipaya.
Ihre Bürgermeisterin Flora Mamani ist besorgt: „Wir sind die ersten Bewohner Südamerikas. Wir sind eine millionenschwere Kultur. Und jetzt sind wir vom Aussterben bedroht. Es gibt keine Arbeitsplätze, die Menschen wandern nach Chile aus, unsere Kinder wandern aus.“ Sie sitzt in ihrem Büro direkt neben dem zentralen Platz des Ortes, die meisten anderen Räume in ihrem Verwaltungsgebäude stehen leer.
2026 könnten die Uru Chipaya zur ältesten lebenden Kultur der Welt erklärt werden, ein Antrag für die Unesco wird gerade vorbereitet. „Die Uru Chipaya sind Teil des kulturellen Erbes Boliviens“, erklärt der Anthropologe Gabriel Moreno von der Technischen Universität Oruro, „ihre Geschichte reicht 3.000 bis 4.000 Jahre zurück.“ Moreno arbeitet im Gebiet der Uru Chipaya. Die Wissenschaftler erforschen Wege, die lokale Totora-Pflanze als Tierfutter zu nutzen, um in Zeiten der Dürre die Ernährung der Menschen und Tiere zu sichern.
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Versalzung in Chipaya
Die womöglich älteste lebende Kultur der Welt ist aber gleichzeitig eine der ersten indigenen Kulturen, die durch den Klimawandel vom Aussterben bedroht sind. Severo Paredes Condori, 63 Jahre alt, ist Uru Chipaya, wie schon seine Vorfahren. Die Zukunft seines Dorfes sieht er bedroht: „Hier gibt es keine Arbeit mehr. Man kann kaum überleben.“
Die Einheimischen müssen jedes Jahr den Boden waschen, um den größten Teil des Salzgehalts zu entfernen und ihn für den Anbau geeignet zu machen, erklärt Paredes Condori: „Wir können Quinoa anbauen, aber nach einem Jahr kommt das Salz, der Boden wird ganz weiß und dann ist er wieder nicht mehr geeignet. Und das Salz zerstört auch noch das Gras für die Tiere.“
Wenn Regionen austrocknen und Wasser verdunstet, bleibt das darin gespeicherte Salz im Boden zurück. Von Dürre betroffene Regionen haben daher häufig mit Versalzung zu kämpfen.
Normalerweise würden die Menschen in Chipaya Quinoa und Gras als Viehfutter anbauen. Aber der Klimawandel und damit Dürren, Überschwemmungen, Frost und das Salz haben dazu geführt, dass viele Tiere – vor allem Lamas und Schafe – gestorben sind. Und er hat den Großteil der Quinoa-Ernte zerstört.
Den Menschen des Wassers geht das Wasser aus
Nach der Überlieferung der Chipaya lebten sie seit jeher in der Nähe von Wasser. „Die Uru Chipaya sind klimaresistent. Sie wissen, wie man Wasser aus dem Lauca-Fluss umleitet, sie verfügen über beeindruckende Kenntnisse im Wassermanagement. Nicht umsonst wurden sie die Männer des Wassers genannt“, sagt Anthropologe Moreno.
Doch nun versiegt das Wasser. Der Poopó-See, einst lebensspendend, ist ausgetrocknet. Der Boden rund um Chipaya schimmert weiß. Die Versalzung ist so stark, dass selbst das Trinkwasser bedroht ist. Rund 2.000 Uru Chipaya gibt es noch. Doch etwa 60 Prozent besitzen bereits die chilenische Staatsbürgerschaft. Sie haben ihr Land verlassen, auf der Suche nach Arbeit, nach Zukunft.
Flora Mamani, Bürgermeisterin von Chipaya
„Die Situation ist wirklich schmerzhaft“, sagt Bürgermeisterin Mamani. „Die Kinder, die in Chile zur Schule gehen, sprechen unsere Sprache nicht mehr, sondern nur noch Spanisch. Selbst meine Tochter spricht jetzt nur noch sehr wenig Uru Chipaya.“
Viele Familien haben Angehörige in Chile. Manche schicken Geld, andere kommen nie zurück. Mit der Migration verschwindet die Bevölkerung nicht nur, sie hört auch auf, ihre Kultur zu praktizieren, ihre Sprache zu sprechen und ihre traditionelle Kleidung zu tragen.
„Eigentlich ist es ein kleines Wunder, dass Chipaya noch existiert“, sagt Gabriel Moreno. Die Bevölkerung von Uru Chipaya leidet unter sehr harten Lebensbedingungen. Laut einer Volkszählung von 2024 gelten 67 Prozent der Bevölkerung als arm. „Ohne die Schule und die Hochschule in Chipaya würden das Volk und die Kultur verschwinden. Sie sind es, die die Bevölkerung aufrechterhalten“, so der Anthropologe.
Das Salz dringt in das Grundwasser und die Ernte ein. Mensch und Tier bekommen Durchfall davon. Juan Condori meint, das könnte nur die Spitze des Eisberges sein. Der Gesundheitshelfer in der örtlichen Gesundheitsstation erklärt: „Befunde aus anderen Teilen der Welt bringen einen hohen Salzgehalt mit Eklampsie und Bluthochdruck in Verbindung, was das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht.“
Die Versalzung ändert auch das Ernährungsverhalten: „Früher haben die Menschen viel Quinoa geerntet und gegessen. Aber jetzt fahren sie in die Stadt und essen Hähnchen, Pommes und solche Sachen“, berichtet Condori.
Die Vertriebenen der Vertriebenen
„Das Volk der Uru Chipaya wurde vom Staat im Stich gelassen“, sagt Moreno. „Durch die erzwungene Migration haben sie ihre mündlichen Überlieferungen, ihr Land und ihre heiligen Orte verloren. Sie sind die Vertriebenen der Vertriebenen. Wir müssen die Verbindung zwischen Ältesten und Jugendlichen stärken. Wir müssen ihr Wissen bewahren, bevor es zu spät ist.“
Viele Menschen aus Chipaya haben bereits ihre Tiere getötet, um nach Chile auszuwandern. Paredes Condori wollte diese Entscheidung nicht treffen: „Wir wollten unser Vieh nicht schlachten, deshalb sind wir geblieben. Wenn ich sterbe, wird meine Familie mir aus Chile per Whatsapp zusehen – und andere werden mich mit einer Schubkarre zum Friedhof bringen.“
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