Klimawandel und Kapitalismus: Bundesbank in Zugzwang

Vor ein paar Jahren waren Klimaschutz und Finanzmärkte so gegensätzlich wie Greenpeace und Shell. Das ändert sich jetzt.

Ausgetrocknetes Flussbett

Klimawandel verändert nicht nur die Umwelt, sondern auch Finanzpolitik Foto: dpa

Prinzipiell gibt es zwei Wege, unseren Planeten zu retten. Der erste sieht vor, mittels einer Weltrevolution den Kapitalismus zu zerschlagen, um dann flugs ein neues, klimafreundliches Wirtschaftssystem aufzubauen. Der zweite Weg besteht im Umbau des Kapitalismus.

Dass Joachim Wuermeling der zweiten These zuneigt, erstaunt nicht, er gehört dem Vorstand der Bundesbank an und ist damit quasi Ingenieur auf dem Maschinendeck des Kapitalismus. „Viele Klimapolitiker haben wenig Vertrauen, dass der Markt einen positiven Effekt auslösen kann“, sagt er der taz. „Ich bin aber davon überzeugt, dass der Markt wichtige Lösungen im Kampf gegen den Klimawandel bieten kann.“ Die Bundesbank baue gerade Expertise in Sachen Klimawandel auf, bei der Bankenaufsicht, der Finanzstabilität und den Mitarbeitern im Portfoliomanagement. „Bisher sind andere die Vorreiter“, gibt Wuermeling zu. „Wir reagieren umsichtig und mit Sorgfalt auf die sich ändernden Rahmenbedingungen und Anforderungen von außen.“

Das klingt erst mal seltsam: Die Bundesbank ist zusammen mit den anderen Zentralbanken des Euroraums und der Europäischen Zentralbank vor allem dafür zuständig, die Inflation im Griff zu haben. Sie muss die Banken beaufsichtigen und so dafür sorgen, dass das Finanzsystem nicht alle naselang kollabiert. Was hat eine Zentralbank überhaupt mit Klimawandel zu tun?

Was Wuermeling als sich ändernde Rahmenbedingungen bezeichnet, ist eine geradezu lawinenartige Entwicklung, ausgelöst von den Leuten, die ernsthaft an Weltrettungsoption zwei arbeiten.

Geld als Druckmittel

2015 verabschiedeten die UN das Klimaschutzabkommen von Paris. Das ist der Grund, warum sich selbst Zentralbanken Gedanken um den Klimawandel machen. Das Abkommen sieht nämlich drei wesentliche Punkte vor: Die Erderwärmung auf „maximal 2 Grad“ über den Schnitt vor der industriellen Revolution zu begrenzen. Zweitens soll sich die Menschheit an den Klimawandel anpassen, Deiche, Kanalisationen und Bewässerungssysteme bauen. Der dritte Punkt: Die internationalen Finanzströme sollen bei laufendem Betrieb komplett umgelenkt werden – Welt retten statt Welt kaputtmachen.

Seit einer Woche debattiert die Staatengemeinschaft auf dem Weltklimagipfel in Bonn über die Umsetzung des Paris-Abkommens. Das wichtigste Vorhaben ist, einen Standard zu erarbeiten, wie überprüft und berechnet wird, ob die Staaten ihre allesamt freiwilligen Klimaschutzversprechen auch einhalten. Es wird keinerlei Sanktionen und Strafen geben, das steht von vornherein fest. Der Zwang muss aus einer anderen Quelle kommen: der Macht der Finanzströme. Wer nicht ökologisch wird, der verliert ökonomisch. Das ist die Idee.

Wer sorgt dann dafür, dass Chemie- und Autokonzerne vom Öl wegkommen?

Wie das gehen soll, dazu gibt es während des Klimagipfels viele Veranstaltungen, auf denen Banken, Versicherer und Investoren mit Billionenbudgets auftreten. Ganz allmählich tauchen so erste Wellenbrecher im reißenden Geldstrom auf, um das große Umleiten zu beginnen. Daher kommt der Druck, den jetzt auch die Bundesbank verspürt.

Einer dieser Wellenbrecher ist eine echte Erfolgsgeschichte der Zivilgesellschaft. Sie beginnt im Jahr 2011 in London, als zwei ehemalige Fondsmanager den Thinktank Carbon Tracker Ini­tiative gründen. Die beiden prägen die Begriff des „un­burn­able carbon“, das sind fossile Rohstoffe, die nicht mehr verbrannt werden dürfen. Sie sprechen von der „Kohlenstoffblase“, was ausdrücken soll, dass die Werte hinter diesen Rohstoffen blasenartig überbewertet sind, und von gestrandeten Geldanlagen“ in Öl, Gas oder Kohlefirmen, die wertlos werden müssen, weil sonst das Klima kippt. Die US-Bank Citigroup kalkulierte 2015, dass unglaubliche 100 Billionen Dollar Geldanlagen umgeschichtet werden müssen, wenn das Klima gerettet werden soll. Die klimaschädlichen Anlagen gelten bis dahin als absolut sicher, sie bilden neben Staatsanleihen das Fundament der globalen Wirtschaft. Das zu ändern ist eine Jahrhundertaufgabe.

Divestment wächst

Die Ersten, die daraus ein politisches Projekt machen, sind im Jahr 2011 Studenten in den USA. Sie verlangen von ihren Universitäten, ihre Gelder aus der Öl, Gas- und Kohleindus­trie abzuziehen. Die Idee, Divestment genannt, stammt aus dem Kampf gegen die Apartheid in Südafrika und dem Kampf gegen die Tabakindustrie in den USA.

Versicherer, Fonds, Kirchen, Moscheen, Universitäten, Städte, ganze Staaten haben sich inzwischen verpflichtet, ihr Geld aus der fossilen Industrie abzuziehen, darunter Göttingen, Bremen, Berlin und, zumindest teilweise, der Versicherer Allianz. Mittlerweile summiert sich das Kapital auf 5,5 Billionen Dollar.

Die Kunde erreicht nun auch das Herz der Finanzwirtschaft. Carbon Tracker-Gründer Mark Campanele sprach im Jahr 2015 vor dem Financial Stability Board der G20-Staaten, in dem die Regeln für das weltweite Finanzkasino koordiniert werden. Dessen Vorsitzender Mark Carney, zugleich Chef der britischen Zentralbank, prägte in einer wegweisenden Rede im September 2015 in London die drei Grundthesen, warum der Klimawandel die Weltfinanzordnung gefährdet.

Preisschwankungen als Risiko

Erstens wegen der unkalkulierbaren materiellen Schäden durch Fluten und Stürme, die auch den Welthandel beeinträchtigen. Das zweite sind Haftungsrisiken durch diese Schäden. Sie könnten Schadenersatzforderungen an die großen CO2-Emitenten von heute nach sich ziehen, die Versicherer, Banken und Großkonzerne in die Knie zwingen. Drittens die transistorisieren Risiken: Wenn Billionenwerte aus der fossilen Industrie abgezogen werden, könnte auch das Schockwellen auslösen, die das globale Finanzsystem gefährden.

Es sind diese drei Grundthesen, die heute auch der Bundesbanker Wuermeling aufzählt, auch wenn man in Frankfurt lange nicht so weit ist wie in London. Dort geht die Zentralbank davon aus, dass auch ihr Kerngeschäft beeinflusst sein könnte, die Geldpolitik, weil Nahrungs- und Energiepreise künftig stärker schwanken und damit die Inflationsrate beeinflussen dürften. „Bei der Geldpolitik beziehen wir Klimarisiken nicht mit ein“, sagt dagegen Wuer­meling. Das Mandat der Zentralbanken sei Preisstabilität und solle nicht überfrachtet werden.

In Deutschland sind es Baden-Württemberg, Hessen, Nord­rhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Berlin, die jetzt auf den Divestment-Zug aufspringen und Druck auf die Bundesbank ausüben. Sie entwickeln Standards, wie ihre Mil­liar­denrücklagen für die Pen­sio­nen ihrer Beamten nachhaltig angelegt werden können. Diese Gelder werden von der Bundesbank verwaltet.

„Noch vor einem Jahr war es für uns kaum ein Thema, dass Gelder nachhaltig und klimafreundlich anzulegen sind“, sagt Wuermeling. Jetzt arbeitet die Bundesbank an einem Nachhaltigkeitsstandard für öffentliche Geldanlagen.

Wildwuchs an Standards

Wenn das so weitergeht, dann sind also all die bösen Ölkonzerne und Dieselautobauer pleite, weil keiner mehr investiert? So einfach ist die Sache nicht. Das erste Problem von Divestment ist, dass Hessen oder die Harvard University ihre Anlagen ja nur umschichten. Sie verkaufen ihre Anteile an Ölfirmen an jemand anderen, der noch an deren Wert glaubt.

Zweitens gibt es schlicht nicht genug superökologische Geldanlagen, in die man all die Billionen stecken könnte. „Je weniger Geld, desto grüner kann die Anlage sein. Je mehr Geld, desto mehr Kompromisse müssen Sie eingehen“, sagt Wuermeling dazu. Drittens gibt es noch einen Wildwuchs an Standards, was das sein soll, eine nachhaltige, klimafreundliche Geldanlage.

Wohl gemerkt, das gilt nur für den Mainstream der Geldanlagen. Seit Jahrzehnten gibt es eine Szene aus ethischen Banken, Ökofonds und Ökoratingagenturen, die Unternehmen nach Sozial- und Umweltkriterien bewerten. Die Frage ist, wie sich dieses Nebenflüsschen des großen Finanzstroms verbreitern lässt.

Veränderung von innen

Die Ansätze sind da: Unternehmen müssen mittlerweile Nachhaltigkeitsberichte mit echten Ökokennziffern vorlegen, Experten arbeiten an EU-weiten Standards für grüne Geldanlagen, einige langfristig orientierte Versicherer nutzen ihr Mitspracherecht als Anteilseigner an Unternehmen, um diese von innen zu mehr Klimaschutz zu drängen. Es bringt ja nichts, wenn umweltorientierte Anleger nur in Solarparks investieren. Denn wer sorgt dann dafür, dass Chemie- und Autokonzerne vom Öl wegkommen? Wer nur demonstriert, steht vor dem Werktor, die Investoren sitzen drin und sprechen mit.

Und dann gibt es noch die Regulierer und Aufseher der Finanzmärkte, zu denen auch die Bundesbank zählt. Sie müssen Sorge dafür tragen, dass Banken, Fonds und Versicherer nicht so große Risiken auftürmen, dass das internationale Wirtschaftssystem zusammenbricht. Sie haben damit die Macht, die großen Pfeiler einzurammen, mit denen der Geldstrom umgelenkt wird.

Der mächtigste Zentralbanker Europas, EZB-Chef Mario Draghi, schrieb im Oktober in einem Brief an das EU-Parlament: Die Umwelt und das Klima zu beachten, das sei zentral für ein funktionierendes Finanzsystem. Der grüne EU-Abgeordnete Sven Giegold sieht darin mehr als ein Lippenbekenntnis. Dass es in Europa beim Thema grüne Finanzmärkte vorangehe, das liege auch am Chef der EZB. Die veröffentlicht übrigens auch ihre eigene Klimabilanz: Zwischen 2014 und 2016 sank der CO2-Ausstoß der EZB um 8,9 Prozent.

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