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Klosterschwestern in BesetzerlauneAufständische Nonnen im Boxtraining

Drei Nonnen fliehen aus dem Pflegeheim, besetzen ihr Kloster und werden internationale Stars. Wie geht es ihnen jetzt, wo der Medienrummel vorbei ist?

Wollen nicht im Altenheim leben: Die Nonnen, Schwester Rita (82, l.-r.), Schwester Regina (86) und Schwester Bernadette (88) Foto: Noah Hatz/dpa
Patrick Guyton

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Patrick Guyton aus Schloss Goldenstein und Elsbethen

Schwester Rita hat pinkfarbene Boxhandschuhe angezogen. Mit der Rechten und dann mit der Linken schlägt sie auf die Faust des Trainingspartners. Wenn dieser über ihren Kopf zieht, duckt sie sich geschickt runter. Sie lacht.

Das Boxtraining ist auf dem Instagram-Account der drei österreichischen Nonnen zu sehen, die am 4. September, also vor sieben Wochen, aus dem Pflegeheim „ausgebrochen“ waren, wie manche es nannten. Die ihr altes Kloster im Schloss Goldenstein bei Salzburg besetzten und seitdem wieder darin leben. Gegen den Willen der Kirche und des für sie zuständigen Probstes Markus Grasl vom Stift Reichersberg.

Wie geht es ihnen jetzt, nachdem der Medienrummel merklich abgeebbt ist? „Ich bin so froh und dankbar, dass wir heim gekommen sind“, sagt Rita. „Die Hoffnung hab ich nie aufgegeben, besonders ich hatte ja immer so viel Heimweh.“ Die drei sind Regina (86 Jahre alt), Bernadette (88) sowie Rita, die gerade 82 geworden ist.

Sie sitzen im dritten Stock am Holztisch in einem Zimmer, das wie das ganze Haus recht voll ist mit Kruzifixen, Heiligengemälden, religiösen Gegenständen. Mehr als eineinhalb Jahre, seit Januar 2024, waren sie – gegen ihren Willen, wie sie sagen – im Pflegeheim „Seniorenresidenz Schloss Kahlsperg“ untergebracht. Regina sagt jetzt: „Wir bringen die Räume hier halbwegs in Ordnung.“ Bernadette kocht Kartoffeln oder auch Zwetschgenknödel. Und Rita freut sich auf den Frühling, auf Blumen, Gemüse und ihr Gewächshaus.

Gratis Treppenlift

Wenn man mit ihnen redet, wenn man sieht, wie sie herumwuseln, beten, miteinander sprechen, so ist der Eindruck sehr offensichtlich: Sie sind fit, kaum pflegebedürftig und sicherlich auch nicht dement. Der Klosterleiter Markus Grasl, kirchlich Ober genannt, sieht das aber anders. Die Schwestern seien pflegebedürftig, teilte er mit, sie könnten nicht mehr in Goldenstein leben.

Nach sieben Wochen zeigt sich aber für Christina Wirtenberger, eine Unterstützerin der Frauen: „Sie kommen gut zurecht.“ Und sie seien regelrecht aufgeblüht, im Heim seien sie unglücklich und in einem sehr schlechten körperlichen Zustand gewesen. Fürs Putzen und Wäschemachen ist nun gesorgt, das Rote Kreuz liefert das Essen.

Eher vorsorglich sind zwei Pflegerinnen eingestellt, die sich abwechseln und jeweils einen Monat lang rund um die Uhr da sind. Der Treppenlift war in ihrer Abwesenheit abmontiert und entsorgt worden. Eine Fachfirma aus Hessen baut gratis einen neuen ein, für die ersten beiden Stockwerke läuft er schon.

Die Geschichte der Nonnen ging um die halbe Welt. Die New York Times war da, der britische Guardian, Medien aus Italien. Und aus Österreich und Deutschland sowieso. Warum interessiert und berührt eine solche Geschichte praktisch jeden? Der Boxtrainer füttert fleißig den Instagram-Account, mittlerweile haben die Nonnen über 70.000 Follower.

„Die Nonnen sind als Hauptdarstellerinnen interessant“, sagt Kathrin Stainer-Hämmerle, Politikprofessorin an der FH Kärnten in Villach, der taz. „Drei sympathische Frauen, denen Unrecht getan wurde, und die sich dagegen zur Wehr setzen trotz hohem Machtgefälle.“ Sie fänden Sympathie und Unterstützung gegen das System der Amtskirche. Das „Setting eines Klosters“ sei ungewöhnlich. Die „Dynamik“ hält Stainer-Hämmerle für bemerkenswert: „Durch ihre unbeirrbare Art gewinnen die Nonnen immer mehr an Sympathie.“ Die Leiter des kirchlichen Stifts hingegen verdienten durch ihre autoritäre Kommunikation jeden Tag mehr die Zuschreibung als „die Bösen“.

Am meisten ärgert es die Schwestern, dass sie als dement hingestellt wurden. Rita erreichte ein Schreiben vom Bezirksgericht Hallein. Darin ist zu lesen, dass die Geschäftsführerin der „Seniorenresidenz“, aus der die Nonnen ausgezogen waren, einen „gerichtlichen Erwachsenenvertreter“ für Rita möchte. Das heißt: Man wollte sie entmündigen.

Das Schriftstück liegt der Redaktion vor. Als Grund nennt die Heimleiterin: „hat eine Demenz“. Sehr schnell hat das Gericht nach einer Prüfung aber entschieden: Schwester Rita ist nicht dement. Sie benötigt deshalb auch keinen „gerichtlichen Erwachsenenvertreter“. Sie sagt: „Ich bin zwar vergesslich. Aber dass ich dement wäre, das ist jetzt hinfällig.“ Bernadette erzählt, dass mehrere Ärzte alle drei über fünf Stunden hinweg befragt und untersucht hatten. „Die Ärzte sagten: Sie sind nicht dement.“

Ihr Ober Grasl, so erzählen sie, habe schon lang nicht mehr mit ihnen gesprochen und äußert sich auch nicht mehr öffentlich. Jenen heute 44-Jährigen kannten sie schon, als er als 16-jähriger Ministrant eine Freizeit in ihrem Kloster abgehalten hatte. Später hatte er sich mit den Nonnen beraten, ob er Mönch werden sollte.

Jetzt aber lässt Grasl sprechen – durch den externen Berater für „Krisenkommunikation“. Andreas Schwarz, Kommunikationsforscher an der TU Ilmenau, sagt aber im Gespräch mit der taz: „Das Verhalten und die Krisenkommunikation der Kirche erscheinen sehr unglücklich.“ Es werde „zu wenig Empathie, zu wenig Verständnis für die Nonnen gezeigt“. In der Öffentlichkeit komme es „sehr schlecht an“, wenn stattdessen vor allem Vorwürfe gegen die Frauen erhoben werden – „dass sie Regeln gebrochen hätten, dass Konsequenzen folgen würden“.

Konto gesperrt

Und: „Die Kirche stellt die Vorbedingung, dass sie kein Gespräch mit den Nonnen sucht, solange in den Medien über den Fall berichtet wird.“ Das erwecke den Eindruck, „dass man das hinter verschlossenen Türen halten will“.

Die drei Nonnen klagen nun per Anwalt gegen ihren Ober. Es geht auch ums Geld: Das Konto mit ihren Renteneinkünften als pensionierte Lehrerinnen wurde gesperrt, 400.000 Euro waren darauf. Zudem fehlen weitere 145.000 Euro. Das Geld steht ihnen ihrer Ansicht nach zu.

Wie kommt man aus der verfahrenen Situation heraus? Die Professorin Stainer-Hämmerle sagt über die Kirche:„Es braucht mehr Transparenz, Mitgefühl und das Bemühen um eine einvernehmliche Lösung.“ Ähnlich sieht es der Kommunikationsforscher Schwarz: „Die Kirche müsste auf die Nonnen zugehen, umarmen und Kompromisse suchen.“

Schwester Bernadette sitzt häufig an ihrem Laptop und beantwortet E-Mails, die sie von Unterstützern aus aller Welt erhält. Jetzt erinnert sie sich an die vielen Schwestern, die schon in Goldenstein gestorben sind, die sie und die anderen „bis in den Tod gepflegt haben“. Sie sagt: „Und so wollen wir auch hier sterben.“

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