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Kneipenlärm und OhropaxNachtunruhe aushalten – das ist ein Großstadt-Skill

Ob Windrad oder Eckkneipe: Für die Nimbys (Not in my Backyard) hört die Toleranz dort auf, wo sie selbst statt andere betroffen sind.

Letzte Bastion der Sorglosigkeit: ein Café in Berlin Foto: Caro / Muhs/picture alliance

W as haben ein Windrad und eine Eckkneipe gemeinsam? Viele schätzen ihre Existenz, werden aber höchst ungemütlich, wenn ebendiese in der unmittelbaren Nachbarschaft zu finden sind. Skandal! Nicht mit mir! Diese stets empörungsbereiten Mitmenschen haben einen eigenen Namen: Nimbys – die Abkürzung für „Not in my backyard“. Was für ein knuffiger Name für eine Gruppe, die selbstgerecht bestimmen will, was in ihrer Nähe existieren darf.

Im Kampf um die Deutungshoheit des Kiezes hat eine Berliner Kneipe, das Schwarzsauer, einen Coup gegen die Nimbys gelandet. Sie darf ihren Außenbereich auch nach 22 Uhr geöffnet lassen – so entschied es das Berliner Verwaltungsgericht per Eilbeschluss. In dem wird der Standort als Ausgehviertel beschrieben, wo ohnehin viel Lärm herrsche. In vielen anderen Städten verlieren Bars solche Klagen. Das Urteil könnte anderen Gastronomiebetrieben den Streit gegen die Nimbys erleichtern.

Man kann sich jetzt für diese Berliner Bar und ihre Gäste freuen. Aber warum so selbstlos sein? Der Nimby in dir fragt sich vielleicht: Was juckt mich das Biertrinken der anderen, wenn ich nur den Radau abbekomme und frühmorgens arbeiten muss? Als Person, die auf der Reeperbahn gewohnt hat, weiß ich, wovon ich rede. Der Dudelsackdienstag des irischen Pubs unter mir und die Besoffenen vor dem Laden verfolgten mich bis in meine Träume. Aber wir müssen da eben durch – so wie bei einem schreienden Baby im Flugzeug. Rauswerfen geht halt nicht.

In Zeiten von aalglatten Innenstädten, gentrifizierten Bars und fehlenden öffentlichen Begegnungsorten ist das Lokal auf der Ecke die letzte Bastion der Sorglosigkeit. Und in den gefühlt zwei Monaten, wo man in Deutschland lauschig draußen sitzen kann, sollte es nicht daran scheitern, dass jemand über der Kneipe kein Ohropax benutzen will.

So wie die Windräder, die ­unsere Energiewende vorantreiben, sind die Bars der so­zia­le Kleber einer Nachbarschaft. Und der Lärm ist doch eh da – ob vor dem Späti, auf der Bordsteinkante oder der Bierbank.

Trotz allem bin ich von der Reeperbahn weggezogen (zu laut, zu viel Kotze). Jetzt habe ich ein spanisches Restaurant in meinem Hinterhof – das ist der ewige Kreislauf der Nacht­unruhe.

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Stella Lueneberg
Freie Mitarbeiterin für das Meinungsressort. Studierte im Master "Politics, Economics and Philosophy" in Hamburg und in London. Schreibt für die taz besonders gerne über Innenpolitik und den Westbalkan.
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6 Kommentare

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  • Gibt ja jede Mende verschnarchter Käffer und seelenlose Trabantenstädte, wo selbst am lauschigen Sommerabend nicht das Geringste los ist. Wem die Stille der Nacht heilig ist, ist da bestens aufgehoben.



    Die Nimbys schätzen aber Kneipen, Kultur und Einkaufsmöglichkeiten, gleichzeitig verlangen sie aber die Nachtruhe eines 1000-Einwohner-Dorfes. Hat sicher auch was mit übersteigertem Anspruchsdenken und starkem Egozentrismus zu tun.

  • Lesetipp an Stella Lueneberg, Quelle aus dem selben Verlagshaus:



    taz.de/Sterbenskra...adtlaerm/!5201015/

    Und ich finde es befremdlich, wenn die Autorin schreibt, dass sie selber schon vom Lärm der Reeperbahn genervt war, diesen man aber aushalten muss(!). In einem Restaurant oder Biergarten nachts draußen zu sitzen ist etwas schönes, aber leider werden manche Mitmenschen lauter je mehr Alkohol sie intus haben. Und da sind wir wieder beim oben verlinkten Artikel.

  • Ja und nein. Es ist auch nicht nur die Nacht. Jede/r hat doch in der Stadt irgendwas in der Nähe, was Lärm macht oder sonst wie stört und Toleranz und eine gewisse Widerstandskraft / Ignoranz erfordert. Das Fußballstadion, der Tennisplatz, die 2x jährliche Kirmes, die Nachbarskinder, die Schulkinder in der Pause, die Belieferung des Supermarkts, die Tanz-/Kampfschule, Krähen / Tauben, die Leerung der Glascontainer, laufende Autos/Motorräder, lautes Telefonieren auf Balkon, vor der Haustür, aus dem Fenster heraus, rauchende, grillende Nachbarn, streitende Nachbarn, laute Musik (nicht nach meinem Geschmack), der Verkehr .. manches schafft man, anderes nicht, dann muss man woanders hinziehen.

  • Es ist allerdings unbestritten, dass Lärm insbesondere nachts der Gesundheit schadet. Es ist zudem schon lange nicht mehr so, dass man sich in Großstädten den Wohnort aussuchen könnte. Außerdem habe ich das Gefühl, dass der Lärm in den letzten 10 Jahren massiv zugenommen hat. Dir Aussengastronomie ist auch gar nicht mal so laut. Das Problem sind die ganzen Besoffenen und Zugedröhnten, die immer hemmungsloser und immer zahlreicher durch die angrenzenden Wohngebiete marodieren und keinerlei Rücksicht mehr auf irgendwas nehmen. Die eigene Ekstase ist wichtiger als die Gesundheit der anderen. Das Leben ist ein Geben und Nehmen. Wenn die Feierwütigen sich ein wenig zusammenreißen würden, dann wären die Anwohner auch eher bereit mal über die ein oder andere Lärmbelästigung hinwegsehen.

  • Die meisten Menschen brauchen Lärm, um überhaupt zu merken, dass sie existieren.



    Allerdings merken sie es noch nicht mal bewusst, denn sonst würden sie auch merken, was der Lärm anrichtet.



    Die wenigen, die noch etwas merken, sind die ärmsten Schweine in der Masse derer, deren Sinne total verhornt sind - anscheinend eine Sache der Evolution, die Empfindsamen werden "ausgestorben", überwiegend bewusst und mit voller Absicht.

  • Man könnte meinen es handle sich um einen fliegenden Besen aus einem Zauberer-Film, aber das Phänomen der NIMBYs ist in der Stadtsoziologie altbekannt. Wutbürgertum getarnt als Sorge um die Kinder, so oder so ähnlich kennt man die Argumente auch an anderer Stelle. Das Urteil ist ein Sieg gegen Gentrifizierung und ein kleiner Lichtblick in Zeiten, in denen die Seele Berlins verloren zu gehen droht.