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Koalition streitet über WehrdienstNochmal zurück auf Los

Erst verkündet die Koalition einen Kompromiss beim Wehrdienst, dann nimmt sie die Einigung wieder zurück. Wie geht es nun weiter?

Hier kann Schwarz-Rot noch was lernen: Beim neuen Wehrdienst heißt es für die Bundesregierung Chaos statt Strammstehen

Berlin taz | Es sind eigenartige Szenen im Bundestag, die am frühen Dienstagabend für ungläubiges Kopfschütteln der wartenden Jour­na­lis­t:in­nen sorgen: Die von der Koalition aus Union und SPD am Dienstagmittag noch ankündigte Einigung über den neuen Wehrdienst ist am Abend wieder hinfällig. Die dazu am Mittag einberufene Pressekonferenz vor der versammelten Hauptstadtpresse wird deshalb kurzfristig wieder abgesagt. Damit schlittert die Regierung in eine veritable Koalitionskrise, in der zunächst nicht abzusehen ist, wie alle Beteiligten eine gesichtswahrende Lösung finden.

Bei der Auseinandersetzung geht es im Kern um eine gesellschaftlich zentrale Frage: Unter welchen Bedingungen sollen und können junge Menschen für einen Dienst bei der Bundeswehr verpflichtet werden? Über diesen Punkt hatten sich Un­ter­händ­le­r*i­nen aus Union und SPD in der vergangenen Woche den Kopf zerbrochen, um am Ende eine Lösung zu präsentieren, die ein Losverfahren vorsah.

Die Pläne, über die zahlreiche Medien berichteten, blieben jedoch bis zum Ende unkonkret. Mal war dabei die Rede davon, dass eine bestimmte Zahl an jungen Männern per Losverfahren zu einer Musterung eingeladen werden sollte. Mal hieß es, dass aus dem Kreis dann einige erneut per Los auch für einen Dienst bei der Bundeswehr verpflichtet werden könnten, wenn sich über das geplante freiwillige Modell nicht genügend Sol­da­t*in­nen fänden.

Nun sind diese Überlegungen erst einmal hinfällig, bevor sie in der dazu angekündigten Pressekonferenz konkretisiert werden konnten. Dabei scheint es, dass es der sozialdemokratische Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius war, der letztlich eine Einigung der Regierungskoalition durchkreuzte.

In dem Gesetzentwurf von Boris Pistorius (SPD), über den sich die Bundesregierung noch im August verständigt hatte, ist nämlich die Rede davon, dass ab Juli 2027 alle 18-jährigen Männer eines Jahrgangs zur Musterung geladen werden sollen. Sein Ziel lautet dabei: Möglichst viele junge Menschen erst mal bei der Bundeswehr zu erfassen, unabhängig davon, ob sie einen Dienst an der Waffe leisten möchten oder nicht. Denn damit würden zunächst einmal die – nicht wenigen – Untauglichen aussortiert. Außerdem gilt, was häufig unerwähnt bleibt: Eine Wehrdienstverweigerung kann nur einreichen, wer bereits gemustert wurde.

Unklar, ob es zur ersten Lesung im Bundestag kommt

Das Gesetzgebungsverfahren zum neuen Wehrdienst wirft handwerkliche Fragen auf, die kein gutes Licht auf die Arbeitsweise in der Regierungskoalition werfen. Nicht nur waren es mit Bundeskanzler Friedrich Merz und Außenminister Johann Wadephul zwei hochrangige CDU-Politiker, die den eigenen Gesetzentwurf im Nachgang öffentlich kritisierten.

Zudem forderten Unionspolitiker noch nach dem Kabinettsbeschluss eine Nachschärfung der Pflichtelemente in dem Gesetz – noch bevor es im Bundestag offiziell zur Beratung eingebracht wurde. So entspann sich eine Grundsatzdebatte über die Wehrpflicht, die sowohl auf Seiten der Union als auch bei der SPD nicht mehr einzuholen war.

Dabei haben sich alle Beteiligten gegenseitig düpiert: Der Verteidigungsminister, weil sein Gesetzentwurf von den eigenen Kabinettskollegen zum Abschuss freigegeben wurde. Und Union und SPD, weil sie tagelang um eine Einigung rangen, die sie dann erst ankündigten und dann wieder zurücknehmen mussten.

Unklar war am Dienstagabend, wie es nun weitergeht. Am Donnerstag sollte der Bundestag eigentlich in erster Lesung über den Gesetzentwurf beraten. Doch ob es dazu kommt, gilt derzeit noch als völlig offen.

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