Koalitionsstreit in Sachsen-Anhalt: Die 86-Cent-Bombe

In Sachsen-Anhalt rebelliert die CDU-Fraktion mit der AfD gegen die Erhöhung des Rundfunkbeitrags. Das belastet die Kenia-Koalition.

Ein Politiker am Rednerpult im Landtag von Sachsen-Anhalt

Hat er seine Fraktion noch im Griff? Ministerpräsident Reiner Haseloff im Landtag Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Am Mittwochabend vergangener Woche hat die CDU in Sachsen-Anhalt die Bombe scharf gestellt. „Wir werden die Erhöhung der Rundfunkgebühr ablehnen“, erklärte CDU-Frak­tions­chef Siegfried Borgwardt.

Das Thema ist nur scheinbar nebensächlich. Von dem Ja der Unionsfraktion in Magdeburg hängt einiges ab. ARD, ZDF und Deutschlandradio hoffen auf die Erhöhung der Rundfunkgebühr um 86 Cent pro Monat. Die Explosion der scharf gestellten CDU-Bombe könnte am 15. oder 16. Dezember im Magdeburger Landtag stattfinden. Wenn die CDU-Fraktion bei ihrem Nein zum Rundfunkstaatsvertrag bleibt, wird sie zusammen mit der AfD gegen ihre Regierungspartner SPD und Grüne stimmen.

Es wäre nicht das erste Mal, dass CDU und AfD in Magdeburg gemeinsame Sache machen. So fiel bei der Wahl zur Parlamentarischen Kontrollkommission eine Grüne durch, ein AfD-Abgeordneter wurde aber gewählt. CDU und AfD arbeiteten auch bei der Einsetzung einer Linksextremismus-Kommission zusammen. Und zwei junge CDU-Spitzenpolitiker warben 2019 offen für die Möglichkeit, mit der AfD zu regieren.

Vom Ende der Koalition wollen SPD und Grüne nicht reden – noch nicht. Im Juni 2021 wird in Sachsen-Anhalt gewählt und an einer kollabierenden Regierung haben weder Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) noch SPD und Grüne ein Interesse. Eigentlich.

Jetzt tickt aber die Uhr. Und SPD und Grüne suchen nach einem Weg, um die Bombe irgendwie zu entschärfen.

Koalitionsvertrag, Seite 136

Markus Kurze, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion und medienpolitischer Sprecher, versteht die Aufregung nicht. Die CDU halte sich bloß an den Koalitionsvertrag. Dort steht, im letzten Kapitel auf Seite 136: „Bei der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks halten wir am Ziel der Beitragsstabilität fest.“

Für Kurze bedeutet das: Keinen Cent mehr für ARD und ZDF. Die CDU in Sachsen-Anhalt sei im Übrigen lange vor der AfD der Auffassung gewesen, dass die Rundfunkanstalten nicht mehr Geld bekommen sollen. „Das hat nichts mit der AfD, aber viel mit unserer Glaubwürdigkeit gegenüber den Bürgern zu tun“, sagt Kurze. Wenn Grüne und SPD im Dezember für eine Erhöhung votieren, so Kurze, „halten sie sich nicht an den Koalitionsvertrag“. Die CDU in Sachsen-Anhalt war immer auf Distanz zu Gebührenerhöhungen. Als Haseloff den Staatsvertrag als letzter Ministerpräsident unterschrieb, gab es eine Protokollnotiz, dass es dafür im Landtag keine Mehrheit gibt.

Hat die CDU-Fraktion also inhaltlich recht – auch wenn es wenig weitsichtig ist, mit der AfD gemeinsame Sache zu machen und nebenbei womöglich die Regierung in die Luft zu jagen? Katja Pähle, SPD-Fraktionschefin in Magdeburg, nennt das Verhalten der CDU „verwunderlich“. Die 86 Cent Erhöhung hat eine unabhängige Kommission, die KEF, festgelegt. Damit ist die KEF, betont Pähle, „deutlich unter den Forderungen des öffentlich-rechtliche Rundfunks geblieben“. Will sagen: Eine so geringe Erhöhung falle eher unter Beitragsstabilität.

Und selbst wenn man das, wie die CDU, anders sehe, sagt Pähle, solle man zur Kenntnis nehmen, dass „ein Koali­tionsvertrag nur Ziele bestimmt“. Im Koalitionsvertrag stehe ja auch, dass „es 103 Prozent Unterrichtsversorgung geben soll. Doch davon ist der CDU-Bildungsminister weit entfernt.“

Eine Frage der politischen Haltung

Auch Cornelia Lüddemann, Frak­tionschefin der Grünen in Magdeburg, widerspricht der CDU-Deutung. Beitragsstabilität könne durchaus eine „moderate Anpassung“ an Tarifangleichungen und Inflation bedeuten. Das Argument hat etwas für sich. Die letzte Erhöhung des Rundfunkbeitrages liegt schon eine Weile zurück – elf Jahre.

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Für Grüne und SPD ist der Rundfunkbeitrag zudem nicht das Hauptspielfeld. „Es geht hier um die Frage der politischen Haltung gegenüber Rechten und Nazis“, sagt Lüddemann. Und: „Es wäre ein absolutes No-go, wenn die CDU bei ihrer Haltung bleibt und Demokraten mit Faschisten abstimmen.“

Die SPD ist in der Wortwahl etwas zurückhaltender, in der Sache argumentieren die Sozialdemokraten genau so wie die Grünen. Katja Pähle sieht die CDU-Fraktion auf einem gefährlichen Weg. „Dass die CDU ausgerechnet beim öffentlichen Rundfunk mit der AfD stimmt, ist schwer nachvollziehbar. Damit unterstützt die CDU, selbst wenn sie andere Argumente hat, die AfD, die die Öffentlichen-Rechtlichen auflösen will, weil die ja angeblich Fake News verbreiten.“

Eva von Angern, Vizechefin der oppositionellen Linksfraktion, hält Haseloff für den Einzigen, der das Desaster noch stoppen kann. Doch der habe bislang nur „sehr laut geschwiegen“. Er werde „zum Steigbügelhalter der AfD“, wenn er nicht endlich aktiv werde. Von Angern fordert, dass der Ministerpräsident die Vertrauensfrage stellen müsse. Ob er in seiner Fraktion noch eine Mehrheit hat, sei fraglich: „Er hat seinen Laden nicht im Griff.“

Was nun? Die SPD hat Reiner Haseloff am 1. Dezember in ihre Fraktion eingeladen und will ihm klarmachen, wie gefährlich die Lage ist. Denn, auch da sind sich SPD, Grüne und Linksfraktion einig: Dass es überhaupt so weit kommen konnte, geht auf das Konto des Ministerpräsidenten. „Haseloff hat das Thema nicht ernst genug genommen“, kritisiert SPD-Frau Pähle.

Vorbild Sachsen

In Dresden sei die Sache anders gelaufen. Auch dort polemisiert eine starke AfD gegen Systemmedien und Zwangsgebühren, auch dort regiert eine wacklige Kenia-Koalition. Doch, so das Lob der SPD, der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer habe sich klar für den Rundfunkstaatsvertrag ausgesprochen und das Feuer ausgetreten. Haseloff nicht.

Am 2. Dezember trifft sich der Medienausschuss des Landtags zu einer Sondersitzung. Dort kann eine Vorentscheidung fallen. Neue Argumente sind allerdings nicht zu erwarten. SPD und Grüne versuchen schon seit Monaten die CDU-Fraktion vergeblich von ihrem Nein abzubringen.

So gibt es im Landtag Mitte Dezember mehrere Möglichkeiten. Eigentlich müssten sich, wenn es keine Einigung gibt, die drei Regierungsfraktionen enthalten. Das bedeutet: Der Landtag lehnt den Staatsvertrag mit den AfD-Stimmen ab. „Dass die AfD über die Existenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks entscheidet, ist für mich undenkbar“, sagt Pähle. Deshalb scheidet das wohl aus.

Möglichkeit zwei: Es gibt einen Kompromiss. Die SPD versucht bereits, schwankenden CDUlern Brücken zu bauen. Man könne für ein Ja einen Entschließungsantrag mit kritischen Tönen zum öffentlich-rechtliche Rundfunk aufsetzen. Das Ziel: SPD, Grüne, Linkspartei und mindestens 12 Abgeordnete der 31-köpfigen CDU-Fraktion stimmen für den Staatsvertrag. Damit wäre das Schlimmste verhindert. Für die CDU wäre das, sechs Monate vor der Wahl, aber ungünstig. Sie hätte sich von der AfD spalten lassen.

Die dritte Möglichkeit: Haseloff, ein erklärter Gegner der AfD, bringt seine Fraktion noch auf Linie. Das wird nicht leicht. SPD-Fraktionschefin Pähle fürchtet: „Der Ministerpräsident dringt in seiner Fraktion nicht durch.“ Denn eine ganze Reihe von CDU-Abgeordneten haben keine Chance, wiedergewählt zu werden, sie sind deshalb in ihrem Abstimmungsverhalten wenig berechenbar.

Die vierte Möglichkeit: Die Bombe explodiert. Die CDU-Fraktion stimmt mit der AfD gegen den Staatsvertrag. ARD, ZDF und Deutschlandradio müssten vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Ihre Klage dort hätte zwar gute Erfolgsaussichten – denn ob das Ja der Landesparlamente nötig ist, damit der Staatsvertrag in Kraft treten kann, ist strittig. Allerdings würde das Urteil eine Weile dauern.

Für die Kenia-Koalition in Magdeburg wäre ein Nein zum Staatsvertrag wohl das Ende und, so die Linke Eva von Angern, „ein Triumph für die AfD“. Dass SPD und Grüne mit einer CDU-Fraktion weiterregieren, die mit der AfD gegen den eigenen Ministerpräsidenten stimmt, ist schwer vorstellbar. Und die Union hätte, zum zweiten Mal nach dem Kemmerich-Debakel in Thüringen, gezeigt, dass auf sie kein Verlass in Sachen Abgrenzung zur AfD ist. Das wäre – mit Blick auf die Bundestagswahl 2021 – ein Totalschaden.

In Berlin ist noch nicht recht angekommen, was sich da zusammenbraut. SPD-Politiker wie Carsten Schneider und Lars Klingbeil schlagen zwar Alarm: Die Bundes-CDU müsse sich schleunigst um die Fraktion dort kümmern. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer dürfte das aber als Déjà-vu empfinden. Als sie im Februar versuchte, CDUler in Thüringen davon abzuhalten, mit der AfD zu stimmen, scheiterte sie auf ganzer Linie. Und kündigte ihren Rücktritt als CDU-Chefin an. „Es ist alles im Fluss“, sagt SPD-Frak­tionschefin Pähle in Magdeburg. Ihre Prognose: „Die Entscheidung fällt am Tag der Abstimmung im Parlament.“

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