Kochen mit Flüchtlingen: Grüne Bohnen aus Damaskus

In Syrien gibt es kaum Veganer. Weil seine WG in Deutschland aber kein Fleisch isst, startete Bilal eine kulinarische Revolution.

Das Essen ist fertig und steht auf dem Tisch, an dem Bilal und drei Freunde von ihm sitzen. Der Tisch, ein Holztisch, ist komplett voll. Darauf steht ein Topf mit Aldi b'set, den grünen Bohnen, ein Topf mit Reis, ein Salat und Hummus-Creme.

Hummus, Reis und Aldi b’set stehen auf dem Tisch. „Bilal kocht meistens zuviel von allem“, sagen seine Freunde Foto: Andreas Neukam

MARBRUG taz | Bilal lässt alles stehen und liegen. Immer wieder. Wenn er eine Frage beantwortet, nimmt er sich Zeit. Einmal dreht er sich zurück zum Herd und fragt: „Was wollte ich eigentlich machen?“

Es gibt grüne Bohnen mit Reis – „Aldi b’set“ – aber das ist eigentlich falsch. Das liegt an Bilals Mitbewohner Moritz. Er hat ihn öfter zu Aldi geschickt, um Bohnen für „Fasolia b’set“ zu kaufen. Irgendwann fragte Moritz: „Wann machen wir mal wieder Aldi b’set?“ Seitdem heißt das Gericht eben Aldi b’set in ihrer Marburger WG – und auch in Bilals Kochbuch.

Bilal ist im September 2015 eingezogen. Sein Freund Luca nennt sie eine alternativ linkspolitische Hippie-WG, in die ein Banker wie Bilal eigentlich gar nicht hineinpasse.

Es passt aber. In Syrien hat der 33-Jährige in der Kreditabteilung einer Bank gearbeitet, heute lernt er Deutsch, um noch einen Masterabschluss an einer Uni machen zu können. Und seit er in Deutschland ist, kocht er oft. „In Syrien habe ich viel gearbeitet und hatte keine Zeit dafür.“

„Mit Feuer wird das Essen besser“

Er hat sich alles selbst beigebracht, macht mindestens einmal in der Woche Essen – in seiner typischen WG-Küche. Die Schränke sind abgenutzt, die Möbel zusammengewürfelt, alles ist genau so unordentlich, dass man sich wohlfühlt. „Die Küche ist super, vor allem der Gasherd“, sagt Bilal. „Ich glaube, mit Feuer wird das Essen besser.“

Als das Öl heiß ist, wirft Bilal die gewaschenen Bohnen in den Topf. Etwa drei Zentimeter kleine Stücke, die Enden abgeschnitten. Er holt noch einmal eine Bohne heraus, hält sie zwischen zwei Fingern in die Luft und meint: „Die müssen jetzt so lange drin bleiben, bis sie gelb sind – oder immer noch grün. Kannst du dann selbst entscheiden, welche Farbe das ist.“

Im Kochbuch heißt es „gelbgrün“. Es ist Bilals Kochbuch, es sind seine Rezepte. Moritz hat sie vertextet. Bilal verpackt und verschickt es direkt aus der WG. „Bilals Hummus Evolution“ soll das erste syrisch-vegane Kochbuch Deutschlands sein. Die Idee dazu ist mit den Freunden am Küchentisch entstanden. Obwohl Bilal sagt: „Ich kann gar nicht mit Rezept kochen.“ Daher habe er ziemlich lange gebraucht, Zutaten und passende Mengen aufzuschreiben.

Auch jetzt kocht er frei Schnauze. Bis die Bohnen weich sind, schneidet Bilal den Knoblauch klein und stampft ihn mit einem alten Gewürzglas zu Brei. „So schmeckt er intensiver“, sagt er. Ab damit in die heiße Pfanne. Sobald er goldbraun ist, kommt er in den Topf mit den mittlerweile tatsächlich gelblich-grünen Bohnen.

Er ist links, deutsch, ein Antifa – und zieht in den Krieg nach Syrien. Er hört die Raketen, schießt, will nicht nach Hause. Das Protokoll eines Kämpfers lesen Sie in der taz.am wochenende vom 1./2. April. Außerdem: Vor der Wahl in Frankreich wirkt Emmanuel Macron wie die letzte Hoffnung Europas. Wie links ist er? Und: Mathilde Franziska Anneke und Karl Marx kannten sich. Sie hat so radikal gedacht, geschrieben und gehandelt wie er. Warum erinnert sich niemand an sie? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Obwohl Bilal auch kleingeschnittene Tomaten in den Topf gibt, kommt noch etwas Tomatenmark aus der Tube hinzu. „Für das Aroma“, sagt er, „denn Tomaten schmecken in Deutschland nach fast nichts. Wenn du in Syrien Tomaten in der Küche liegen hast, kannst du sie im Wohnzimmer riechen.“

Vielleicht das letzte Treffen mit den Eltern

Ende 2014 ist Bilal aus Syrien geflohen. Wegen des Bürgerkriegs konnte er seine Familie nicht mehr besuchen: seine Eltern, zwei Schwestern und drei Brüder. „Ohne Familie war Syrien nicht mehr meine Heimat.“ Die Eltern leben immer noch in Damaskus. Ab und zu kann er kurz mit ihnen telefonieren, aber „sie kennen sich nicht so gut mit der Technologie aus“.

Vor drei Wochen hat er seine Eltern und eine Schwester noch einmal im Sudan getroffen. Die drei sind danach wieder nach Syrien zurückgekehrt, in Damaskus ist es gerade relativ ruhig und seine Eltern sind schon sehr alt, sagt Bilal. „Vielleicht war es die letzte Möglichkeit, meine Eltern zu treffen.“ Er kehrte allein wieder nach Marburg zurück. Die Stadt, die er sich in Deutschland ausgesucht hat. Er will nicht in einer Großstadt leben. „Ich denke, dass ich hier besser Leute kennenlerne, die Sprache und das Land.“

Rezept für vier Personen

Zutaten

1 kg grüne Bohnen3 reife Tomaten100 ml Olivenöl3 Knoblauchzehen1 TL Tomatenmark2 TL Salz1 TL Pfeffer

Zubereitung wie im Artikel beschrieben. Mit Reis und Brot servieren

Geholfen haben ihm auch seine Mitbewohner. Sieben sind es insgesamt. Viele von ihnen essen kein Fleisch. Deswegen isst auch Bilal keins mehr und kocht nur noch vegetarisch oder vegan. „Kochen ist gut, um neue Leute kennenzulernen“, sagt Bilal, „und ich kann meine Kultur zeigen.“ Dann setzt er kurz ab: „Und es ist Verbindung mit meiner Mama.“

Er erinnert sich oft daran, wie seine Mutter Zucchini mit Reis kochte. Mit Reis kennt sich Bilal aus. Er mahnt, ihn vor dem Kochen unbedingt zu waschen, mehrmals. Reis braucht Geduld. Er kocht von selbst. Viele rühren ihn immer wieder um oder heben den Deckel ab. Das ist unnötig. Reis ist sehr friedlich und möchte entspannen.“ Sobald sich die Reiskörner auf der Oberfläche beugten, seien sie fertig.

Bilal hat viel Geduld. Er gibt etwas Salz und Pfeffer zu den Bohnen und lässt sie köcheln, bis die Tomaten zerfallen. Währenddessen rührt er höchstens zweimal um. „Dieses Gericht beruhigt mich, wenn ich Stress habe“, sagt er. „Aber grüne Bohnen machen nicht faul, man kann nach dem Essen einfach weiterarbeiten.“

Von Bilals Mitbewohnern ist heute nur Sophie da. Dafür sind seine Freunde Luca und Belal gekommen. Mittlerweile helfen alle zusammen. Teller und Essen stehen auf dem Tisch. Bilal reißt ein Stück Fladenbrot ab und greift damit nach den Bohnen und dem Reis in seinem Teller. „Dayman Inshallah“, sagt er. Das bedeute: „Ich wünsche, so Gott will, dass wir immer zusammen essen.“

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