Kohlegegnerin in der Lausitz: Protest in Tracht

Für die Sorbin Edith Penk ist ihr traditionelles Outfit genauso wichtig wie ihre Weltoffenheit. Regional und global gehören zusammen.

Frau in sorbischer Tracht steht vor einem Mikrophon. Menschen hören ihr zu.

Mit Schirm, Charme und Haube: Edith Penk bei der taz-Veranstaltung in Schleife Foto: Alexander Victorin

Edith Penk steht da, wo sie ihren Gegnern am nächsten ist. Gefühlt zumindest. Ein Aussichtsturm, errichtet von Vattenfall. „Technikgeschichte zum Erfahren“. Ein paar Karten und Erklärtexte hängen an den Holzwänden – Aufklärung durch den Betreiber. Erfahren soll man hier vor allem, wie toll sich Vattenfall beim Braunkohleabbau um die Umwelt kümmert. Edith Penk, die vielleicht bekannteste Kohlegegnerin der Lausitz, kann da nur lachen.

Im Hintergrund rumpelt und donnert es. Durch ein Fenster blickt man auf eine riesige schneebedeckte Ebene mit dunklen Streifen. Am Horizont kann man die Umrisse eines Kraftwerks erahnen, alles andere verschwindet hinter Wolkenfetzen. Wie ein Riesenkrake gleitet ein schwarzer Kran über die Fläche und spuckt die abgetragene Erde an den Seiten aus. „Da ist ja schon wieder einiges weggekommen seit dem letzten Mal. Das war früher alles Wald“, sagt Edith Penk und markiert einen Teil der Fläche mit dem Finger.

Vor ihr liegt das zweitgrößte Braunkohleabbaugebiet Deutschlands, Nochten I. Betrachtet man die Oberlausitz aus der Luft, schaut man auf einen Flickenteppich aus grauen und braunen Flecken – Kohleabbaugebiete, Truppenübungsplätze, Kiesgruben. Während sie immer mehr Platz einnehmen, drohen die Dörfer drumherum auszusterben. Tausende Menschen mussten bereits umgesiedelt werden. Doch wenn es nach dem Betreiber geht, soll mit Nochten II schon bald das nächste Abbaugebiet kommen.

Geht es nach Edith Penk, sollte man möglichst schnell aus der Kohle aussteigen. Und ein weiteres Abbaugebiet – undenkbar. Denn dann würde auch ihr Heimatort Rohne von der Landkarte verschwinden. 1.700 Menschen müssten umgesiedelt werden. „Wenn ich das sehe, reicht es mir schon wieder“, sagt die 76-Jährige und stapft durch den Schnee zurück zum Auto. Nur das gelbe Kreuz auf ihrer Brust erinnert an die letzte Begegnung.

Eine Art Ikone

Das war Ende November, als taz.meinland zu Besuch in Schleife war. Auch damals ging es um die Braunkohle. Edith Penk stand in sorbischer Tracht und mit dem gelben Anti-Kohle-Anstecker am Mikrofon. „138 weggebaggerte sorbische Dörfer sind genug“, rief sie. „Warum wird nicht unter den Truppenübungsplätzen gegraben? Wir wollen doch eh alle Frieden!“

Eine Kampfansage. Bei den Gästen aus dem fernen Berlin hinterließ das Eindruck. Für die meisten im Ort war es nichts Neues. „Die ist hier eine Art Ikone“, sagte einer der Besucher.

Man täuscht sich leicht in Edith Penk. Eine konservative Sittenverteidigerin der sorbischen Minderheit könnte man hinter ihrer Tracht vermuten. Eine, der es um die Erhaltung ihrer eigenen Kultur geht und die gegen alles von außen ist. Heimatverbundenheit im engsten Sinne. Doch für Edith Penk ist die sorbische Tracht genauso wichtig wie ihre Weltoffenheit.

Von außen stört sie nur eine Sache: Vattenfall. Aber ihr Blick geht über den Tagebau hinaus. Schließlich gefährdet die Braunkohleabbau nicht nur ihre Heimat. „Meine Heimat ist mein Umfeld“, sagt sie. Heimat – für sie ein offener, ein wandelbarer Begriff. Ähnlich wie die Natur um sie herum.

Tee und Kekse für Demonstranten

Als es an Ostern letzten Jahres zu Protesten kam und Demons­tranten einen Bagger besetzten, war Edith Penk auch vor Ort. Sie versorgte die Demonstranten mit Tee und Gebäck. „Wäre ich jünger, würde ich solche Aktionen auch noch mitmachen“, sagt sie lächelnd. Man nimmt es ihr ab.

Ob sie das nicht merkwürdig findet, wenn junge Menschen aus Frankreich und Italien in der Lausitz gegen die Braunkohle protestieren? „Warum? Die sind ja auch alle vom Klimawandel betroffen. Wir stehen für die ganze Welt ein.“ Der Erhalt regionaler Identitäten und ein globales Bewusstsein – Edith Penk hat verstanden, dass beides irgendwie zusammengehört. Und sie weiß das für sich zu nutzen.

Woher ihre Offenheit kommt? „Ich wurde so erzogen“, sagt sie, „meine Eltern haben mit mir sorbisch gesprochen, aber wir waren immer offen.“ Vielleicht liegt es auch in der Natur der Sorben. Seit dem 9. Jahrhundert lebt das westslawische Volk in der Lausitz. Immer mussten sie sich anpassen, nie wehrten sie sich gegen die Herrschaft. Mehrsprachig, multikulturell, anpassungsfähig mit einer engen Verbundenheit an die eigene Kultur, Sprache und – die Natur.

Heimat – für Edith Penk ein wandelbarer Begriff. So wie die Natur um sie herum

Aber nicht alle in der Region teilen diese Einstellung. Man will die Probleme selbst lösen. Ohne die Eindringlinge von außen. „Das ist oft so in Bauerndörfern wie hier, dass die Menschen eher verschlossen sind“, sagt Edith Penk. Mehrmals wurde sie schon beschimpft für ihr Engagement.

Unterwegs im Umsiedlergebiet

Im Januar sitzt sie auf dem Rücksitz eines Toyota. Am Steuer ihr Sohn Christian Penk, sie dirigiert: „Fahr doch mal ins Umsiedlergebiet, Christian.“ Der Aussichtsturm verschwindet im Rückspiegel. Am Rand des Abbaugebiets spaziert ein älteres Ehepaar vorbei. Edith Penk nickt ihnen kurz hinüber. „Das sind zwei Vattenfall-Rentner“, fügt sie trocken hinzu. Mehr muss sie nicht sagen. Damit ist klar: Die stehen auf der anderen Seite.

Trebendorf. „Hier bin ich aufgewachsen“, sagt Edith Penk, während das Auto in das „Baugebiet Kranichweg“ einbiegt. Heute sieht man hier kaum noch alte Häuser. Stattdessen große, schicke Anwesen in experimentellen Farben, eine italienische Villa und das moderne Sportzentrum, mitfinanziert von Vattenfall.

Was ist taz.meinland? Bis zur Bundestagswahl im September reist die taz durch meinland, deinland, unserland. An gut 50 Stationen machen wir Halt, um ins Gespräch zu kommen und für die offene Gesellschaft zu streiten.

„So schöne Häuser, da muss man ja für die Umsiedlung sein.“ Edith Penk lächelt. Sie weiß, dass sie eigentlich gar keine Chance gegen die finanziellen Argumente von Vattenfall hat. Jahrelang sponserte der schwedische Energieriese die Infrastruktur ganzer Dörfer.

Seit Ende des 19. Jahrhunderts wird hier Braunkohle abgebaut. In den sechziger Jahren begann man mit den Vorbereitungen für Nochten I. Widerstand gab es kaum. Edith Penk ist damals Mutter von vier ­Kindern und arbeitet im Hort, später in der Schneiderstube. Der Tagebau scheint da noch fern.

„Haltet zu eurem Wort“

Der Wagen verlässt Trebendorf. Links von der Straße erstreckt sich das erweiterte ­Gebiet von Nochten I. Bald wird auch hier die Oberfläche abgetragen. Ein grüner Bagger steht vor zwei Erdlöchern, daneben ein sauber aufgestapelter Haufen Betonklötze. Dass hier einmal mehr als ein Lego­häuschen stand, kann man sich kaum ­vorstellen. Ein Stück ­weiter zeigt Edith Penk auf eine Holzscheune. „Die haben wir mit acht Leuten verteidigt, sonst wäre die jetzt auch weg“, sagt sie.

2003 sei sie aktiv geworden, erzählt Edith Penk. Die DDR war da bereits Geschichte, bis auf Christian Penk hatten alle Kinder die Heimat verlassen. Und der Tagebau – kam immer näher. „Als sie angefangen haben, den Urwald wegzubaggern, war Schluss“, sagt Edith Penk. Der Urwald Weißwasser, das war ein Treffpunkt für Generationen. Hier ging schon Graf Pückler auf die Jagd.

Bis 2008 war der Park Naturschutzgebiet. Dann kamen die ersten Bagger. Pücklers Jagdschloss wurde gesprengt, auch der von ihm angelegte Märchensee wurde vom Erdboden verschluckt. Und mit ihm Hunderte geschützte Pflanzen. Vor dem Ortseingang von Mühlrose liegen einige Überreste aus dem Urwald. Ein Kreuz, der Jagdschlossstein und ein riesiger Baumstamm.

„Bei dem Baum wolltest du auf den Waldarbeiter losgehen“, sagt Christian Penk und schielt lachend in den Rückspiegel zu seiner Mutter. Edith Penk nickt zufrieden. Teile des Dorfs wurden schon umgesiedelt. Inzwischen gleicht Mühlrose einer Halbinsel im Abbaugebiet. Gleich hinter dem Ortsschild hängt ein großes Banner an einem der Häuser: „50 Jahre war die Kohle unser Leben. Haltet endlich zu eurem Wort. Lasst uns zu unserem neuen Heimatort“.

„Sie müssen mich schon wegtragen“

In Rohne, Edith Penks Wohnort, das Gegenstück. Ein weißes Banner, zerschnitten, der Aufdruck ist nicht mehr lesbar. Ein gelbes Anti-Kohle-Kreuz ragt aus dem Loch. „Das wurde uns schon mehrmals kaputtgemacht“, sagt Edith Penk. Mühlrose und Rohne – zwei Orte, zwei Meinungen.

„Die Kohle hat hier alles zerstört: die Natur, die Kultur und andere Industrien“, sagt sie, zurück in ihrem Haus. In einem Glasschrank stehen Puppen in sorbischen Trachten. An der Wand hängen sorbische Landschaftsbilder. Vor Edith Penk liegt eine englische Klimawandel-Broschüre.

An Ostern sind wieder Proteste geplant. Edith Penk hofft auf möglichst viele internationale Unterstützer. „Ich gehe hier nicht weg. Da müssen sie mich schon wegtragen“, sagt sie , kurz innehaltend.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.