Kolume Die eine Frage: Der Franz ist Geschichte

25 Jahre nach dem WM-Titel von Rom: Was bleibt von Franz Beckenbauer außer einem gütigen Opa im Fernsehen?

Franz Beckenbauer mit der deuschen Nationalmannschaft im Olympiastadion von Rom.

Hier noch in Gesellschaft: Franz Beckenbauer und die deutsche Nationalmannschaft holen 1990 den WM-Titel in Rom. Foto: dpa

Und mutterseelenallein, meine Damen und Herren, steht auf dem Rasen des Olympiastadions: Franz Beckenbauer. Vor 25 Jahren war das, nach dem Gewinn des WM-Titels in Rom. Der jenseits des Trubels allein über den Platz schlendernde Beckenbauer, Hände in den Hosentaschen, Blick in die Ferne, ist in die deutsche Medienmythologie eingegangen.

Was für ein Schmarren. Der geht über den Rasen. Nicht übers Wasser.

Dennoch wird weit über die Fußballreligion hinaus mit diesem ikonischen Bild die Göttergestalt Beckenbauer beschworen, angebetet und verewigt.

Beckenbauer, geboren 1945 (im September!), ist das unbefleckte Nachkriegsdeutschland, aus den Ruinen des Arbeiterviertels München-Giesing emporgestiegen on top of the world.

Kinder klettern nicht mehr auf Bäume, ihnen mangelt es an Naturerlebnissen, heißt es. Weil sie Angst haben – oder die Eltern Angst verbreiten. Was ist los da draußen? Unser Autor ist dem nachgegangen. Auf Bäumen, bei Baumhausbauern und im Reihenhausgarten. Was er dort erlebt hat, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 11./12. Juli 2015. Außerdem: Wer sind die Lucke-Füller? Frauke Petry ist jetzt Vorsitzende der AfD, rechts neben ihr wird es künftig kaum jemanden geben – nur so manchen Mitvorstand. Wer macht da jetzt Politik? Und: In Bad Aibling stehen riesige weiße Bälle. Es sind Spionageanlagen des BND. Daten, die dort gesammelt werden, erhält auch der US-Geheimdienst NSA. Wir haben die Menschen hinter den Bällen besucht. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Je wichtiger in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts der Fußball wurde, desto wichtiger wurde Beckenbauer. Und andersherum. Beckenbauer, Sportverbände, Medienunternehmen, Sportartikelfirmen: Es war eine Tetralogie zum Wohle aller Beteiligten und aller Angeschlossenen von DFB und Fifa über Bild und Fernsehsender, Adidas oder Gazprom, Niersbach oder Jauch.

Beckenbauer selbst musste gar nichts tun, nicht intrigieren, nicht antichambrieren: Ihm flog alles zu. Verträge, Posten, Huldigungen, Ehen. Wer neben ihm stand, bekam auch was ab. Vom Beifall. Vom Geschäft. Weshalb es auch in all den Jahren praktisch kein Politiker mit Ausnahme Daniel Cohn-Bendits (“Allianz gegen Franz“) wagte, ein Widerwort zu sprechen, wenn es angebracht gewesen wäre.

Als Fußballer agierte Beckenbauer ein knappes Jahrzehnt in einer eigenen Liga: Keiner sonst hatte diese Mischung aus Klasse, Modernität, Pragmatismus und Glück. Der entscheidende Modernitätsfaktor aber war sein Manager Robert Schwan, der ihn so positionierte, dass er das kurze Profi-Leben überdauern konnte. Auch, weil er sich früh an Bild gekettet hatte, Deutschlands tägliche Fußballzeitung, die ihn in der frühen Post-Profi-Zeit am medialen Leben erhielt und 1984 als Bundestrainer installierte.

Völlig ironiefrei: der „Kaiser“

Trotz der Desillusion zweier (verlorener) Weltkriege entstand die Figur Beckenbauer noch im heroischen Zeitalter, in dem es den Bedarf gab, herausragende Menschen auf einen Thron zu setzen und ihnen von unten zuzujubeln. Daher auch die ironiefreie Titulierung „Kaiser“. Das Bedürfnis der heutigen Zeit ist nicht das Emporheben von Helden, sondern das Verlachen der Erfolgreichen, um sich selbst dadurch besser zu fühlen. Insofern hat Lothar Matthäus Pech gehabt, dass er zu spät geboren wurde.

Warum das Gift des Neids Franz Beckenbauer verschont hat, er seine Steuern entweder nicht (70er Jahre) oder in Österreich zahlen kann und es kein Schwein kratzt? Warum die Deutschen denken, er könne fliegen, wenn er schlicht im Hubschrauber sitzt? Warum sie ihm Jahrzehnte gebannt zugehört haben, obwohl er nie etwas Substanzielleres gesagt hat als „Jo, ist denn heut scho’ Weihnachten?“

Weil sie offenbar das Gefühl haben, auch etwas durch ihn abbekommen zu haben.

Beckenbauer war der erste Paradigmenwechsel des deutschen Fußballs. Er trat hervor, als der 54er-Weltmeister Sepp Herberger ging (1964). Mittlerweile hat sich der zweite große Paradigmenwechsel vollzogen. Jürgen Klinsmann macht ihn 2004 sichtbar, Joachim Löw personifiziert ihn. Beckenbauer ist heute ein gütiger Opa, den die jungen Moderatorinnen vom Bezahlfernsehen anschauen, als erzähle er vom Krieg. (Was er ja eben nie tat.)

Mit dem WM-Titel 2014 wurde die Beckenbauer-Ära in Deutschland offiziell abgeschlossen.

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Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried

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