Kolumne Anderes Temperament: Hier zündet nichts mehr

Wie lebt es sich in der raucherfreundlichsten Stadt der Republik? Für die Freunde des Nikotins wird es härter.

Noch schnell einen Zug nehmen, die Wedler kommen schon! Bild: dpa

Im rauchfreien Familienblock im Olympiastadion wurde geraucht und das Deutsche Krebsforschungszentrum forderte umgehend, die Täter zu steinigen. Nein, das nicht, aber fast. Wer jetzt noch raucht, gilt als selbst schuld an finanziellem, sozialem oder seelischem Elend. Wer gar im Beisein ganzer Familien raucht, gilt als so bedrohlich, dass dem Einsatz von Bodentruppen zugestimmt werden würde, wenn damit die von ihm ausgehende Gefahr gebannt werden könnte.

Teil eines Milieus zu sein, das ausgerottet wird und nun tatsächlich kurz davor ist, auszusterben, hatte eine Weile lang Charme. Nie war das Image des Unkonventionellen und Rebellischen so billig zu haben wie in den Jahren nach der flächendeckenden Durchsetzung des Rauchverbots in Gaststätten. Man brauchte Zigaretten und Feuerzeug nur auf den Tisch zu legen, um Gespräche über Vernunft, Selbstzerstörung, Hedonismus, Nihilismus, Freiheit und Verantwortung, also die ganz großen Themen der Menschheit, anzuzünden.

Mit den Jahren waren die Argumente ausgetauscht und die Raucher zunehmend härterer Diskriminierung ausgesetzt. Sie waren nicht mal mehr in ihren eigenen vier Wänden sicher und mussten mit Mietkündigungen rechnen. Immerhin blieb ihnen das lustige Draußenrumstehen auf Veranstaltungen, bei denen sich die Nichtraucher drinnen langweilen mussten. Aber wie das so ist, wenn schlecht über andere geredet wird: Irgendwas bleibt immer hängen. Und so fand man selbst als Raucher, dass die Raucher tatsächlich immer schlechter aussahen.

Die Rumwedler kommen

In diesem Sommer nun musste ich mir mehrfach in Neuköllner Biergärten, auf Kreuzberger Parkbänken oder Cafés unter freiem Himmel mit der Hand vor dem Gesicht rumwedeln lassen. Von Leuten, die damit Zeichen geben wollten, dass sie sich – wahrscheinlich „massiv“ – von dem von mir produzierten Rauch gestört fühlten. Die Nichtraucher hatten ihre Kriegsstrategien also ausgebaut. Dem „Können Sie bitte in die andere Richtung rauchen?“ hatte man immer noch „Nein!“ antworten können. Dem Wedelnden konnte man jetzt höchstens noch sagen: „Können Sie mal in die andere Richtung wedeln?“ Da die Wedler aber keine Redner waren, konnte man sie damit weder zur Ruhe noch in Rage bringen. Sie sagten einfach nichts.

In diesem Sommer passierte noch mehr: Ich habe so viele Feuerzeuge gekauft wie im ganzen letzten Jahr zusammen. Anfangs hielt ich es für Symptome zunehmender Altersschludrigkeit. Früher war immer irgendwo ein Feuerzeug. Jetzt schüttete ich fast täglich den Inhalt meiner Tasche auf dem Fußboden aus, um dieses Ding zu finden, ohne das ich weder meinen Herd noch meine Zigarette anzünden konnte. Und fand es nicht.

Um nicht durchzudrehen, begann ich auf meine 1-Euro-Feuerzeuge zu achten. Es gibt nichts Unwürdigeres für einen Raucher, als auf sein Feuerzeug aufzupassen und, sobald es jemand in die Hand nimmt, sagen zu müssen: „Meins.“ Das ist ungefähr so erbärmlich, wie jemanden nach zwei Wochen daran zu erinnern, dass er einem noch einen Euro schuldet. Denn mit Lust und Genuss ist es so wie mit dem Geld: Man will es nicht die ganze Zeit organisieren müssen. Es sollte immer einfach da sein.

Nach intensiver Langzeitbeobachtung war die Diagnose klar: Nicht um mich und meinen Kopf herum wurde es immer nebliger, sondern um mich herum wurde immer weniger geraucht. Und das in der raucherfreundlichsten aller deutschen Städte. Dann schmiss auch noch Klaus Wowereit hin. Wer auch immer nun an diesem Wochenende von der SPD ins Rathaus geschickt wird: Ich hoffe, er raucht. Ich bin vorsichtshalber schon mal auf was anderes umgestiegen.

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