Kolumne B-Note: Prima Motzer, Meckerer, Protzer

Niemand aus der deutschen Olympia-Equipe hätte Gold so sehr vierdient wie er: Robert Harting. Der Diskuswerfer ist aber einfach zu stark auf Adrenalin.

Wird er der goldene Motzer? Robert Harting Bild: dpa

Missmutig, wie unter höchster Spannung, schlich er Montagmittag in den Ring, kam ins werfertypische Schaukeln des Körpers und warf den Diskus nach zwei Umdrehungen in die Weite des Stadions. Beifall – mit 66,22 Meter hatte Robert Harting, Welt- und Europameister in seiner Disziplin, gleich im ersten Versuch seiner Qualifikation das Finale am Dienstagabend erreicht. Kein Lächeln auf seinem Gesicht.

Dieser Mann ist einfach zu stark auf Adrenalin, als dass er jetzt schon seinen gelungenen Vorkampf genießen könnte; er will Gold, er braucht diesen Triumph für sich – und das ist das Sympathischste an diesem 27-jährigen Sportler, dass man ihm seine Ambitionen anmerkt. Von ihm käme nie, dabei zu sein sei alles.

Nein, Robert Harting will gewinnen und das mit all dem, was ihm an Macht zur Verfügung steht. Er ist kein technisch perfekter Diskuswerfer, dafür ist sein massiger Körper, 130 Kilogramm auf gut zwei Meter Höhe verteilt, zu verletzungsanfällig, zu oft schon im Training versehrt worden, als dass er noch wie federleicht werfen könnte.

Niemand aus der deutschen Olympia-Equipe hätte Gold so sehr verdient wie er – ein Mann aus dem kulturell proletarischen Osten, ein Motzer, Meckerer, Protzer. Einer, der aus purer Loyalität seinen Trainer Werner Goldmann in Schutz nahm, als dieser mit DDR-Dopinghistörchen öffentlich behelligt wurde; einer, der einen Sieg einem in Afghanistan gefallenen Sportkameraden widmete; einer, der nichts, in überhaupt nichts habituell an all diese Männlein und Softies erinnert, die sonst so die deutsche Sportszene bevölkern.

Harting nämlich hat nicht die Aura von schaumschippenden Caffè-Latte-Trinkern, die Leidenschaft zwar buchstabieren können, aber nicht ernsthaft aufgewühlt sind. Dieser Diskusmann ist das Sinnbild eines modernen Mannes, der sich für voll nimmt – eine Diva mit Neigung zum groben Keil.

Ein Kerl, der erstaunt ist, dass man ihm sexuelle Avancen von weiblicher wie männlicher Seite anträgt und deshalb kein pflichtschuldiges Dementi auf die Homokomponente ausbringt. Nein, dieser Ballerino von unziemlicher Kraft ist ein scheuer Charakter, dessen Sprüche über diese gewisse Anmut hinwegtäuschen, dass da einer vor Rührung – nicht: Rührseligkeit! – weinen kann wie ein alleingelassenes Kind.

Er will gewinnen, weil er sich einer Niederlage schämen würde. Er weiß selbst nicht, warum man ihm übel nahm, einst nach dem WM-Sieg in Berlin, sein Trikot so auseinandergerissen zu haben, dass er mit nackter Haut entblößt stand – und sich ersatzweise mit der deutschen Fahne verhüllte. Stört das gebildete Publikum, dass da einer so echt und nicht formelhaft wirkt? Er möge es erklären, nach seinem Goldwurf.

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Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Kurator des taz lab und des taz Talk. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders der Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. Er ist auch noch HSV-, inzwischen besonders RB Leipzig-Fan. Und er ist verheiratet seit 2011 mit dem Historiker Rainer Nicolaysen aus Hamburg.

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