Kolumne Besser: Muss sich Mama vom IS distanzieren?

Zum Beispiel bei Jauch: Der fromme Muslim distanziert sich vom „Islamischen Staat“, die säkulare Türkin sieht dafür keinen Grund. Was sagt uns das?

Kämpfer des „Islamischen Staats“ in Rakka/Syrien: Muss man sich von sowas distanzieren? Bild: reuters

Bislang galt hierzulande die Regel: Wann immer Sie den Fernseher anschalten, Sie werden mindestens auf einem Kanal Hitler finden. Quasi HTV. Doch dieses Privileg hat der Führer nicht länger allein. Den Rang streitig macht ihm derzeit der „Islamische Staat“.

Damit ist nicht gesagt, das Thema würde, um mit Bruno Labbadia zu sprechen, von den Medien hochsterilisiert. Aber bemerkenswert ist es schon, dieses IS-TV. Zum Beispiel dieser Sonntag, nur bei der ARD: Klar, die Nachrichten, dazu mittags „Presseclub“, am Vorabend „Weltspiegel“ und „Lindenstraße“, spätabends „TTT“. Und dazwischen – nein, noch kein Dschihad-„Tatort“, aber dafür Günther Jauch. Dessen Thema: „Gewalt im Namen Allahs – wie denken unsere Muslime?“

Kurz vor Schluss wird die Runde interessant: Bilder von der Kampagne #NotInMyName, die britische Muslime gestartet haben, werden eingeblendet, dann fragt Jauch den Imam von der Neuköllner Al-Nur-Moschee, ob er sich einer solchen Kampagne anschließen würde. „Auf jeden Fall, voll und ganz“, antwortet der Imam Abdul Adhim Kamouss, der nicht gewillt ist, die Rolle des hinterwäldlerischen Hasspredigers zu spielen, die ihm die Redaktion offensichtlich zugedacht hat. Die Spiegel-Redakteurin Özlem Gezer widerspricht ihm: „Das ist ja absurd, was du sagst. Warum soll meine Mutter als praktizierende Muslimin sich auf den Hamburger Rathausmarkt stellen und sagen, dass sie gegen IS ist?“

Verpasste Gelegenheit

Jauch, darin geübt, keine Gelegenheit zu verpassen, eine Gelegenheit zu verpassen, verpasst auch diese nicht. Er fragt den Imam nicht, warum sich der Mann nicht längst dieser Kampagne angeschlossen hat. Und ihm entgeht auch die interessante Konstellation: Der – vorsichtig formuliert – konservative Imam einer Moschee mit zweifelhaftem demokratischem Leumund heißt die Distanzierungsaktion gut, während die säkulare, womöglich atheistische Nannen-Preisträgerin sie für absurd hält.

Diese Konstellation findet sich auch an anderer Stelle. Auf der Facebookseite der taz zum Beispiel. Lassen wir einmal die gönnerhaften („Oh, super, mehr davon“) oder paternalistischen („Was haben die Muslime damit zu tun?“) Beiträge von irgendwelchen Kartoffeln beiseite und blicken nur auf die Olivenaugen. Manche von ihnen finden eine Kampagne wie #NotInMyName ganz wunderbar, während andere es nicht einsehen, sich von etwas zu distanzieren, womit sie nicht das Geringste zu tun haben.

Was die Säkularen übersehen

Nun kann man sagen, dass Muslime – oder Menschen aus muslimischen Ländern – seit dem 11. September ohnehin einem permanenten Verhör ausgesetzt sind. Aber dass dieser Rechtfertigungsdruck, wie etwa jüngst von der Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur in der taz behauptet, anlässlich des IS besonders stark ist, würde einer empirischen Überprüfung vermutlich nicht standhalten.

Dafür würde, jede Wette, eine empirische Überprüfung folgende Beobachtung bestätigen: Es sind vor allem Menschen, die eine öffentliche Stimme haben, und/oder Leute, die mit Religion nicht viel am Hut haben, die es aus guten Gründen ablehnen, den IS öffentlich zu verurteilen.

Andererseits sind es eher Leute, die nicht als Journalisten oder Professoren Teil der Debatte sind, sowie eher religiöse Menschen, die das Bedürfnis haben, sich zu distanzieren – so wie nach den Anschlägen von Mölln und Solingen manche ganz gewöhnliche Deutsche den Wunsch hatten, ihre Scham ihren türkischen Nachbarn mitzuteilen.

Heute empfinden manche Muslime ein ähnliches Bedürfnis. Aber nicht, weil man sie dazu nötigen würde, derlei Distanzierungen sind auch in der islamischen Welt zu hören, ob von konservativen Imamen in Saudi-Arabien oder den „Antikapitalistischen Muslimen“ in der Türkei. Vermutlich erkennen fromme Muslime viel eher als säkulare oder atheistische Olivenaugen, dass der IS sehr wohl etwas mit dem Islam zu tun hat – die Begriffe, die Referenzen, die Riten. Und genau deshalb wollen sie sich von IS abgrenzen. Ihnen diesen Wunsch abzusprechen aber, ist nicht weniger bevormundend als die herrische Forderung nach Distanzierung.

Besser: Es distanziert sich ein jeder, wovon er will, wie er will.

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Von Juli 2007 bis April 2015 bei der taz. Autor und Besonderer Redakteur für Aufgaben (Sonderprojekte, Seite Eins u.a.). Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik 2011. „Journalist des Jahres“ (Sonderpreis) 2014 mit „Hate Poetry“. Autor des Buches „Taksim ist überall“ (Edition Nautilus, 2014). Wechselte danach zur Tageszeitung Die Welt.

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