Kolumne Besser: Wie der Herr, so's Gescherr

Pegida findet die „Lügenpresse“ doof, die „Lügenpresse“ findet Pegida doof. Aber es gibt Ausnahmen: Stephan, Weimer, Matussek, Broder, di Lorenzo.

Oldschool-Taschenlampe auf einer Pegida-Demonstration in Dresden Bild: ap

Das haben die Pegida-Deppen nun davon, dass sie das schon bei den Nazis so beliebte Wort von der „Lügenpresse“ herausgekramt haben: Mag es, Angela Merkel zum Trotz, Politiker geben, die meinen, die „Sorgen“ dieser Leute „ernstnehmen“ zu müssen, genießt Pegida zwar die Aufmerksamkeit, nicht aber die Zuneigung der Presse.

Ob Josef Winkler in der taz die „Jammer-Ossis“ daran erinnert, was man ihnen früher zugerufen hätte, Gero von Randow in der Zeit das Libidinöse an Pegida herausarbeitet, Sascha Lobo auf Spiegel-Online den „gesitteten Code“ bei Pegida analysiert, Ivo Bozic in der Jungle World auf die Ähnlichkeiten zwischen Pegida und Mahnwachen aufmerksam macht oder, um diese unvollständige Hitlist abzuschließen, Franz-Josef Wagner in der Bild beweist, dass sich große Kunst in der knappen Form zeigt („Das Volk ist leider oft dumm“) – die „Lügenpresse“ ist ganz gut in Form.

Doch nie ist es billiger, sich als Dissident zu gerieren als in Momenten des öffentlichen Einvernehmens – selbst wenn dieser Nonkonformismus ungefähr aus dem Quatsch besteht, mit dem der Onkel Herbert oder die Tante Hilde, die es in ziemlich jeder Familie gibt, bei Familienfeiern nach dem dritten Obstler nerven. Folglich sind es nicht allein Figuren aus dem Dschungelcamp der deutschen Publizistik, die höchstens bei RT Deutsch als satisfaktionsfähig gelten und die nun Verständnis oder gar Sympathien für Pegida zeigen.

Cora „Naziverdacht“ Stephan

Da wäre zum Beispiel Cora Stephan. Ende der Neunzigerjahre feierte sie die Rückkehr des Krieges nach Europa, weil dieser „das Beste im Mann“ wecke, heute hat sie ganz doll Angst vor islamistischen Kriegern – als ob diese ihre Opfer vorzugsweise im Frankfurter Umland oder in der Zone suchen würden. Und während sie sonst den Sozialstaat für eine „institutionalisierte Verschwendung“ hält, kann sie dank Pegida einmal eins sein mit dem ganzen Volk: „Der Trick hat sich verbraucht, alles unter Naziverdacht zu stellen, was vom Parteienkonsens abweicht“, frohlockt sie einem Kommentar für den NDR, was für die Pegida-Demonstranten ein Ding der Unmöglichkeit sein müsste, schließlich sind ihnen die öffentlich-rechtlichen Sender noch verhasster als alle übrigen Medien.

Im Herzen der Bestie und auf deren Honorarkasse also triumphiert Stephan: „Der Bürger hat das Spiel durchschaut.“ In Sachen Nazis hat „der Bürger“ in Dresden noch viel mehr durchschaut, da muss man ihn nur mal fragen. Doch mit dem Naziverdacht ist es wie mit dem Hundescheißeverdacht: Wenn es danach riecht, ist man meistens reingetreten.

Wolfram „Tabubrecher“ Weimer

Ein gewisser Wolfram Weimer, der mal Chefredakteur der halben „Lügenpresse“ war, schreibt in einer für seine Volkstümlichkeit bekannten Zeitung, nämlich dem Handelsblatt: „Pegida hält der Politik einen unangenehmen Spiegel vor, in dem ihre eigenen Tabus sichtbar werden. Das Tabu zum Beispiel, über die Probleme mit muslimischen Minderheiten in Deutschland lieber nicht zu reden. Das Tabu, dass der moderne Islamismus für das 21. Jahrhundert eine ähnliche geopolitische Bedrohung darstellen könnte wie der Faschismus und Kommunismus im 20. Jahrhundert gewesen ist. Das Tabu, dass massenhafte Einwanderung von Menschen muslimischen Glaubens weitreichende Folgen für Europa haben wird.“

Nun kann heutzutage jeder aufgeweckte Gymnasiast erkennen, dass, wenn einer lauthals irgendein „Tabu“ anprangert, dieses Tabu keins ist. So zeigte sich denn auch das von Weimer beklagte Tabu, das zusammen mit dem Tabu, Israel zu kritisieren, zur deutschen Top-Tabu-Liga gehört, im Jahr 2014 beispielsweise bei Günther Jauch, Anne Will, Frank Plasberg und Maybritt Illner in insgesamt 17 Sendungen mit Titeln wie „Gewalt im Namen Allahs – wie denken unsere Muslime?“ oder „Deutschland und der Islam – wie passt das zusammen?“

Okay, es mag sein, dass die Ausbeute etwas geringer ausfiel als in den Vorjahren, weil andere Tabuthemen (Putin, Hoeneß) dazwischen kamen. Aber vielleicht spricht der Mann ja ähnlich verklausuliert wie die Pegida-Dumpfbacken.

Matthias „HJ-Pöbeln“ Matussek

Doch was ist ein Wolfram Weimer gegen einen Matthias Matussek? Auf seiner öffentlich einsehbaren Facebookseite schreibt dieser: „Meine Ansicht: wer beim rituellen Treten gegen diese Menschen mitmacht, hat die Gesinnung von HJ-Pöbeln.“ Na logisch. Und die Nürnberger Rassengesetze waren Gesetze zur Bekämpfung des Rassismus und Matthias Matussek ist der Dietrich Bonhoeffer unserer Tage und das Weltall besteht aus Brombeermarmelade.

Aber, Matussek: Das Wort „Pöbel“ bildet keinen Plural. (Auf gut Abendländisch: ein Singularetantum.) Die Formulierung „rituelles Treten“ ist ein Fall von ritueller Verwendung des Wortes „rituell“, aber vollkommen sinnfrei. Und ganze Sätze, die auf einen Doppelpunkt folgen, beginnen mit einem Großbuchstaben, da können sie noch so brunzdumm sein. Wie der Herr, so’s Gescherr: Man kann kein Deutsch, ist aber schwer dafür.

Henryk „Einheitsfront“ Broder

Einer, der im Gegensatz zu Matussek ein großer Stilist ist, stapelt ein paar Diktaturklassen tiefer: Wenn sich „eine nationale Einheitsfront“ bilde, formuliert Henryk M. Broder in der Welt, in welcher „die christlichen Kirchen, der Zentralrat der Juden, die Gewerkschaften, das Handwerk, die Arbeitgeber und die üblichen Verdächtigen aus dem Kulturbetrieb Seit an Seit“ marschierten, dann stimme etwas „nicht mit der gelebten Demokratie in unserem Land“. Dann seien „wir nicht auf dem Wege in eine neue DDR, sondern bereits mittendrin“.

Lieber Henryk, gerne hätte ich mich mit dir darüber unterhalten, ob Demokratie und Meinungsfreiheit wirklich nur dann herrschen, wenn jede Arschgeige jeden ressentimentgeladenen Unsinn verzapfen und dennoch Anspruch erheben darf, für voll genommen zu werden; egal, ob er nun die Gleichberechtigung von Männern und Frauen infrage stellt, Homosexualität für eine Krankheit hält, Arbeitslose zur Zwangsarbeit verpflichten will oder den Staat Israel von der Landkarte gelöscht wissen möchte.

Aber seit unser Land ein so gänzlich anderes geworden ist und die Welt nur noch konspirativ in Wilmersdorfer Hinterhofkirchen im Matrizendruck hergestellt wird, ist das gefährlich geworden. Und trotzdem, Henryk, selbst wenn du mit einem Bein mittendrin in Bautzen stehst und mit dem anderen kurz vor der Ausbürgerung: Du lass dich nicht verhärten, in dieser harten Zeit!

Giovanni „Es brennt nicht“ Lorenzo

Ach ja, die Zeit. Deren Chefredakteur Giovanni di Lorenzo mahnt: „Im Umgang mit aufgeschreckten Bürgern bringt das Abkanzeln nichts“, um dann zu seiner überaus gelungenen Pointe zu kommen: „Bislang haben sich die Deutschen übrigens noch sehr viel vernünftiger verhalten als 1992. Damals brannten die Asylbewerberheime, und lange war unklar, ob der ausländerfeindliche Mob nicht die Avantgarde der schweigenden Mehrheit war.“

Damals, also ungefähr 1992, bemerkte Wolfgang Pohrt: Dass man Fremde nicht einfach totschlägt, gehe nur in Deutschland bereits als Ausweis von Zivilisiertheit durch. Pohrt – oder war es Eike Geisel? – meinte das polemisch, di Lorenzo meint es ernst. Aber vielleicht glaubt er auch nur, dass eine gewisse Tantenhaftigkeit, mit der man prima eine Wochenzeitung für die ganze Familie machen kann, in politischen Fragen ebenfalls eine gute Maxime ist.

Aber hat sich seit 1992 nichts verändert? Ein paar Dinge schon. Die „Lügenpresse“ zum Beispiel, im Großen und Ganzen jedenfalls.

Besser: Wagner.

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Von Juli 2007 bis April 2015 bei der taz. Autor und Besonderer Redakteur für Aufgaben (Sonderprojekte, Seite Eins u.a.). Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik 2011. „Journalist des Jahres“ (Sonderpreis) 2014 mit „Hate Poetry“. Autor des Buches „Taksim ist überall“ (Edition Nautilus, 2014). Wechselte danach zur Tageszeitung Die Welt.

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