Kolumne Besser: Der kranke Mann von Ankara

Egal ob Erdogan aus Kalkül handelt oder nur einen Sprung in der Schüssel hat – mit einem, der nicht zuhören will, ist ein Gespräch schwierig.

Ein Graffito in der Nähe des Taksim-Platzes im Juni 2013. Bild: Deniz Yücel

Nächste Woche wird er in Deutschland erwartet, der Mann, den seine Fans für den größten Politiker der Gegenwart halen: Recep Tayyip Erdogan.

Vermutlich wird er sowohl den Deutschtürken als auch der Bundesregierung ein paar Ratschläge mitgeben. Der Mann, der zu Hause, ob bei den Gezi-Protesten oder den Korruptionsermittlungen, stets geheime ausländische Kräfte am Werk sieht, selbst aber keine Bedenken hat, sich in die Belange anderer Länder einzumischen und beispielsweise die Dschihadisten in Syrien zu unterstützen.

Die Deutschtürken wird er dazu aufrufen, „unsere Traditionen“ zu wahren. Sagen lassen aber wird er sich nichts. Denn Erdogan tritt inzwischen derart entrückt auf, dass einem eine Figur in den Sinn kommt, die man, ähnlich wie das in Europa herumgehende Gespenst, eigentlich nicht mehr hören kann: der „kranke Mann am Bosporus“.

Der „kranke Mann“ war einst das rückständige und zerfallende Osmanische Reich des 19. Jahrhunderts; ihn plagten, im übertragenen Sinne, Gicht, Diabetes und Rücken. Wenn es heute einen kranken Mann in Ankara gibt, dann ist er kein Fall für die Rheumatologie, sondern für die Psychopathologie. Und der Mann steht nicht metaphorisch für ein ganzes Land, er regiert es dummerweise nur.

Nun gibt es gute Gründe, die Pathologisierung ausländischer Politiker den Leuten vom Fach, also der Bild zu überlassen. Aber bei Erdogan kann man aus ebenso guten Gründen ernsthaft fragen, ob er vom Cäsarenwahn befallen ist.

Zuletzt polterte er gegen den Unternehmerverband Tüsiad, weil dessen Präsident die mangelnde Rechtssicherheit beklagt hatte. Vaterlandsverrat, schrie Erdogan, wie er überall nur noch Verrat und Verschwörung wittert. Gewiss folgt diese aggressive Rhetorik dem rationalen Zweck, die eigenen Anhänger hinter sich zu scharen.

Aber Erdogan hat alles Maß verloren; er spielt keine Partitur, er hängt am schrillsten Ton fest, und wenn er überhaupt noch etwas variiert, dann die Lautstärke. Und das hat Konsequenzen – von der Verfolgung politischer Gegner über Strafaktionen gegen Polizei und Justiz bis zu einem geplanten Internetgesetz, dessen Ziel lautet: eine Nation, eine Fahne, eine Website.

Zu allem Überfluss ist er umgeben von Beratern, die entweder – wie der frühere grüne Europaabgeordnete Ozan Ceyhun – opportunistische Lakaien, knallharte Einpeitscher, wirre Verschwörungstheoretiker oder alles auf einmal sind.

Was aber sagt man so jemandem, wenn man ihn zu Gast hat? Wir sind in Sorge? Wie ist bei euch so das Wetter? Geh bügeln? Vielleicht das.

Denn egal, ob Erdogan aus Kalkül handelt oder einen Sprung in der Schüssel hat – mit einem, der nicht zuhören will oder kann, ist ein Gespräch schwierig. Die Frage ist nicht, ob er stürzen wird; die Frage ist, was er im Fall zertrümmern wird.

Besser: Zum Ende beitragen.

Schöner: Sich den Gegnern widmen. Zum Beispiel durch mein Buch „Taksim ist überall – Die Gezi-Bewegung und die Zukunft der Türkei“, das im März im Nautilus-Verlag erscheint. Es ist nicht auszuschließen, dass es lesenswert ist.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Von Juli 2007 bis April 2015 bei der taz. Autor und Besonderer Redakteur für Aufgaben (Sonderprojekte, Seite Eins u.a.). Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik 2011. „Journalist des Jahres“ (Sonderpreis) 2014 mit „Hate Poetry“. Autor des Buches „Taksim ist überall“ (Edition Nautilus, 2014). Wechselte danach zur Tageszeitung Die Welt.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.