Kolumne Besser: Eliten und Hornochsen

Ägypten, Tunesien, Türkei. Jeweils zwei unversöhnliche Blöcke stehen sich gegenüber. Eine freiheitliche, säkulare Gesellschaft ist nur jenseits beider Blöcke zu haben.

Ein Weg aus der Konfrontation? Gegnerinnen und Gegner der AKP-Regierung beim Fastenbrechen auf der Istiklal-Straße. Bild: reuters

Ist der Islam mit einer bürgerlichen Gesellschaft vereinbar? Die Frage erinnert an Samuel Huntingtons These vom „Clash of Civilizations“, der Linke und Linksliberale in aller Welt so penetrant und so trotzig widersprochen haben, dass sich, ähnlich wie bei Francis Fukuyamas Idee vom „Ende der Geschichte“, irgendwann der Verdacht aufdrängte, es könnte doch etwas dran sein. Und genau diese Frage wird derzeit in Ägypten, Tunesien oder der Türkei verhandelt – jedoch nicht als Konflikt zwischen der westlichen Welt und der islamischen, sondern als innerer Konflikt in diesen Gesellschaften.

Auf der einen Seite stehen dabei aus islamistischen Bewegungen stammende und demokratisch gewählte Machthaber, die die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich wissen, die aber durch die Art ihrer Herrschaftsausübung die Zweifel an ihrer Demokratietauglichkeit gestärkt denn beseitigt haben.

Ihr gegenüber stehen die urbanen Mittel- und Oberschichten samt den alten Eliten aus dem Staatsapparat. Deren Selbstverständnis hat niemand so schön ausgedrückt wie Nevzat Tandogan, in den Anfangsjahren der Republik Gouverneur von Ankara: „Was bildet ihr anatolischen Hornochsen euch ein?“, fuhr er einen Vordenker der völkisch-nationalistischen Bewegung an. „Was habt ihr mit Nationalismus und Kommunismus zu schaffen? Falls der Nationalismus gebraucht wird, werden wir uns darum kümmern, falls der Kommunismus gebraucht wird, werden wir ihn einführen. Eure Aufgabe ist es, eure Felder zu bestellen und als Soldaten zu dienen, wenn wir euch rufen!“

Nach dem Putsch vom 12. September 1980 waren die türkischen Militärs der Ansicht, dass zur Eindämmung der Linken die Religion gebraucht würde. Also trieben sie eine Islamisierung voran. Das Militär, ob in der Türkei oder in Ägypten, ist nicht Garant einer freiheitlichen, säkularen Gesellschaft. Interessiert ist diese Kaste zuvörderst am Erhalt der eigenen Macht. Alles andere ergibt sich daraus.

Doch die Gegnerschaft der Erdogans und Mursis zum tradierten System autoritärer Herrschaft ist ebenfalls instrumenteller Natur. Erdogan hat getan, wozu Mursi nicht mehr kam: Er hat den Staatsapparat unter seine Kontrolle gebracht, aber nicht, um mit dem Prinzip des Obrigkeitsstaates zu brechen, sondern dessen Führung zu übernehmen. Der Staat als Beutegut seiner Parteigänger, die Gesellschaft als zu formende Masse, jetzt eben mit islamischer Note.

In Ägypten ist es den jungen Demonstranten vom Tahrirplatz vorläufig nicht gelungen, eine dritte Kraft zu entfalten. Doch so nachvollziehbar es ist, dass viele von ihnen nun den Militärs zujubeln, wird der Putsch nicht den Grundkonflikt lösen, der seit den Modernisierungsdiktaturen unter Atatürk und Nasser diese Gesellschaften beherrscht. Im schlimmsten Fall könnte eine ganze Generation dafür verloren gehen. In der Türkei ist die Lage besser, weil das Militär seinen alten Einfluss verloren hat. Für die Gezi-Bewegung wird es darum gehen, die Erdogan-Regierung auf zivile Weise zu überwinden. Sie hat das Zeug dazu.

Besser: Man findet einen Weg raus aus der Scheiße.

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Von Juli 2007 bis April 2015 bei der taz. Autor und Besonderer Redakteur für Aufgaben (Sonderprojekte, Seite Eins u.a.). Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik 2011. „Journalist des Jahres“ (Sonderpreis) 2014 mit „Hate Poetry“. Autor des Buches „Taksim ist überall“ (Edition Nautilus, 2014). Wechselte danach zur Tageszeitung Die Welt.

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