Kolumne Besser: Der „Du-darfst-nicht“-Antirassismus

Jonny K. ist tot. Zu Tode getreten von einer Gruppe türkischer Jugendlicher. Die Herkunft der Täter zu verschweigen ist dumm.

Gedenken am Berliner Alexanderplatz an Jonny K. Aber wer hat ihn ermordet? Einfach Menschen? Bild: dapd

Jonny K ist tot. Der 20-jährige Thai-Deutsche wurde am vorigen Wochenende von einer Gruppe junger Männer totgeprügelt, am Alexanderplatz, mitten in Berlin. Die Täter hätten „südländisches Aussehen“, bemerken einige Zeitungen wie der Tagesspiegel unter Berufung auf die Polizei beiläufig.

In anderen Zeitungen, darunter der taz, fehlt dieser Hinweis. Die Staatsanwaltschaft – man muss sie nur fragen – sagt inzwischen, sie habe „Hinweise auf eine vermutlich türkische Herkunft der Täter“. Aber ist es diskriminierend, gar rassistisch, diesen Umstand zu erwähnen?

In den Richtlinien des Presserates heißt es hierzu: „In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.“ Dabei sei zu beachten, dass „die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte“.

Antirassismus auf Knigge-Niveau

Doch was einst eine vernünftige Reaktion darauf war, dass Eduard Zimmermann in „Aktenzeichen XY“ vorzugsweise nach jugoslawischen und türkischen Staatsbürgern fahndete („Der Täter spricht gebrochen Deutsch und ist bewaffnet“) und deutsche Lokalzeitungen und Boulevardblätter über keinen Ladendiebstahl berichten konnten, ohne auf die Herkunft der Täter zu verweisen („Ausländer beim Klauen erwischt“), hat sich zu einem Verschleierungsinstrument verselbstständigt; zu einer Ansammlung von „Du-darfst-nicht“-Sätzen, die die Glaubwürdigkeit von Medien erschüttern, aber jede Erkenntnis verhindern. Antirassismus auf Knigge-Niveau.

Wenn, wie vor drei Jahren in Berlin-Friedrichshain geschehen, Neonazis einen linken Studenten ähnlich brutal misshandeln und beinahe totschlagen, ist ein „begründbarer Sachbezug“ zu ihrer Herkunft offensichtlich. Sie stammten aus Königs Wusterhausen, einem jener ostzonalen Browntowns, deren Wirklichkeit so grauenhaft ist, wie es der Ortsname vermuten lässt. Man durfte, ja man musste die Herkunft der Täter erwähnen, ganz gleich, ob sich irgendwelche Ostdeutschen dadurch diskriminiert fühlten.

Die gleichen Maßgaben gelten für Taten, welche im Polizeideutsch „Rohheitsdelikte von Jugendgruppengewalt“ heißen. 1.049 solcher Delikte hat die Berliner Polizei im vergangenen Jahr registriert. 32 Prozent der Tatverdächtigen waren ausländische Staatsbürger (ohne Illegale), weitere 41,5 Prozent deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund. Macht zusammen 73,5 Prozent – bei einem Anteil von 43,1 Prozent an allen jugendlichen Einwohnern. Einen noch größeren Wert vermerkt die Statistik lediglich für die Geschlechtszugehörigkeit der Tatverdächtigen: 82,8 Prozent Männer. Wer aus Furcht vor Pauschalisierungen die Hakans und Mohammeds nicht beim Namen nennen will, kann ebenso die Geschlechtszugehörigkeit verschweigen. Die Opfer waren Menschen, die Täter auch, und wir sind alle schwer betroffen.

Ursachen? Ja, welche?

„Solche Taten haben gesellschaftliche Ursachen“, wird jetzt einer rufen; vermutlich ein Linker, vielleicht aber auch einer von der Gewerkschaft der Polizei. Falsch ist dieser Befund nicht. Er ist nur derart allgemeingültig, dass er so gut wie keine Aussagekraft besitzt. Wenn die Rede von den gesellschaftlichen Ursachen nicht der Verschleierung dienen soll, muss also genau fragen, welche gesellschaftlichen Ursachen ein solche Verhalten begünstigen.

Vielleicht erfolgte die einzige Erziehung, die die Mordbuben vom Alexanderplatz und ihresgleichen genossen, mit der Gürtelschnalle; vielleicht sahen ihre Eltern verzweifelt und ohnmächtig zu, wie ihre Söhne auf die schiefe Bahn gerieten. Vielleicht spielt der Islam eine Rolle, mithin in einer degenerierten Form, vielleicht ist diese Jugend auch eine ohne Gott. Vielleicht hatten diese Typen schon in der Schule keine Chance, vielleicht fühlen sie sich ausgegrenzt. Vielleicht hat der Kapitalismus keine Verwendung für sie und die Onkelökonomie auch nicht. Vielleicht sind sie arbeitslos, vielleicht auch gelangweilt. Vielleicht haben sie bloß zu kleine Schwänze. Auf jeden Fall haben sie gehörig einen an der Waffel und man hindert sie besser daran, das zu tun, was sie sonst tun.

Denn nichts von alledem ist eine Entschuldigung dafür, ohne jeden Grund und bar jeden Mitgefühls einen bereits am Boden liegenden Menschen totzutreten. Dazu hat sie niemand gezwungen. Wenn sie zuschlagen, dann tun sie es, weil sie zuschlagen wollen. Sie sind nicht das, was ihnen – vielleicht nach „Hurensohn“ und „Jude“ – als größte Beleidigung gilt: Opfer.

Dass die „Bürgerbewegung Pro Deutschland“, eine „Bürgerinitiative Tag der Patrioten“ und andere Schwachköpfe nun versuchen, den Mord an Jonny für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, und im Kondolenzbuch rassistische Parolen auftauchen, ist übrigens kein Grund dafür, über diese Dinge zu schweigen. Diese Leute hätten womöglich keine Mahnwache organisieren können, wenn sich gleich andere der Erinnerung an Jonny K. angenommen hätten.

Besser: Man sagt, wie es ist.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Von Juli 2007 bis April 2015 bei der taz. Autor und Besonderer Redakteur für Aufgaben (Sonderprojekte, Seite Eins u.a.). Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik 2011. „Journalist des Jahres“ (Sonderpreis) 2014 mit „Hate Poetry“. Autor des Buches „Taksim ist überall“ (Edition Nautilus, 2014). Wechselte danach zur Tageszeitung Die Welt.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.