Kolumne Besser: We love Dosenpfand

Vertreibung trifft nicht immer die Falschen. Und ein bisschen Gentrifizierung hat noch keinem Stadtteil geschadet.

Was aber ist das Gegenteil von Gentrifizierung? Protest in Berlin-Kreuzberg. Bild: dapd

Erinnert sich noch jemand, welch düsterer Ort der Berliner Stadtteil Friedrichshain in den neunziger Jahren war? Gott hatte diese Gegend (halb Stasi, halb Nazi oder beides in einem) sicher nie betreten. Dafür waren andere gekommen: Hausbesetzer und Partygänger, viele von ihnen aus dem Westen zugereist, die nach und nach den Stadtteil wenn schon nicht in einen Garten Eden, so doch in einen halbwegs zivilisierten Ort verwandelten. Natürlich vertrieben sie die „alteingessene Bevölkerung“. Und sie taten ihre Sache gut.

Gar nicht so lange her ist der Wandel des Bezirks Neukölln. Vor zehn Jahren noch ein Reservat der Hisbollah und des Schultheiß-Proletariats, wo die Restaurants „al-Quds-Falafel-Imbiss“ hießen und die Bars „Zur warmen Stube“. Auch hier waren es junge, sich oft als alternativ verstehende Leute, Künstler, Studenten, Linke, die „Kinderarmee der Stadtsanierung“, wie Jörg Sundermeier sie einmal genannt hat, die sich als Avantgarde der Gentrifizierung betätigten. Auch hier wurden „Alteingessene“ vertrieben. Vertreibung aber trifft, die deutsche Geschichte lehrt es, nicht immer die Falschen.

Den „alternativen“ Kneipen und Ateliers folgten die Galerien, schließlich die Läden, die veganes Eis, Holzspielzeug und anderen Utensilien für das spaßfreie Leben verkaufen. Und dennoch Neukölln wurde zu einem passablen Stadtteil. Kein Ort zum Sterben, aber einer zum Leben, was auch nicht zu unterschätzen ist.

Das zeigt: Ein bisschen Gentrifizierung hat noch keinem Stadtteil geschadet – wie auch, um das schon wieder erledigte Großthema dieses Sommers aufzugreifen, ein bisschen Körperverletzung noch keinem Mann geschadet hat. Ganz im Gegenteil, meistens wurden die Dinge durch die Gentrifizierung besser. Ein verlässliches Verfahren, um den Gehalt eines Begriffes zu überprüfen, besteht in der simplen Frage nach dem Gegenteil. Was aber ist das Gegenteil von Gentrifizierung? Verslumung? Und was ist dann das Idealziel? Das Wohnen mit Küchendusche, Außenklo und Schlafburschen?

Perverse Liebeserklärung

Jetzt ist – nicht nur, aber besonders in Berlin – wieder viel von Gentrifizierung viel die Rede. Wobei oft vergessen wird, dass ein Stadtteil viel häufiger von innen verändert wird, als dass er von außen annektiert würde, dass sich also Lebensstile der „eingessenen Bewohnern“ wandeln und es meist nicht irgendwelche Investoren aus Süddeutschland oder Südeuropa sind, die den „gewachsenen Stadtteil kaputtmachen“.

Lustigerweise sind es genau die Leute, die selbst einst auf der Suche nach einem aufregenderen Leben nach Neukölln oder Kreuzberg zogen und sich diese Stadtteile aneigneten, also andere Leute vertrieben, die sich nun über die böse Gentrifizierung beklagen. Oder sie verlassen entnervt ihren Stadtteil und ziehen in ärmere Gegenden wie an den Rand von Neukölln oder in den Wedding, um dort denselben Prozess in Gang zu setzen.

Andere wehren sich und veranstalten Proteste, auf denen sie so putzige Transparente wie „We love Miete“ durch die Stadt tragen – was eine ziemlich perverse Liebeserklärung ist und obendrein die schwachsinnigste Parole der jüngeren Protestgeschichte. Nicht einmal in Stuttgart wurden jemals Transparente mit der Aufschrift „We love Kopfbahnhof" gesichtet. „We love Miete“ ist so, als würden Kreuzberger Flaschensammler mit „I love Dosenpfand“-T-Shirts durch die Straßen ziehen.

Um nicht missverstanden zu werden: Weniger Miete zu zahlen ist besser als zu viel Miete zu zahlen. Noch besser aber ist es, gar keine Miete zu zahlen. Das kann man, indem man Häuser besetzt (wofür die Umstände nicht günstig sind) oder indem man welche kauft (wofür die Umstände günstig sind).

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Besser: Besser kaufen und die Gentrifizierung in die eigenen Hände nehmen.

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Von Juli 2007 bis April 2015 bei der taz. Autor und Besonderer Redakteur für Aufgaben (Sonderprojekte, Seite Eins u.a.). Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik 2011. „Journalist des Jahres“ (Sonderpreis) 2014 mit „Hate Poetry“. Autor des Buches „Taksim ist überall“ (Edition Nautilus, 2014). Wechselte danach zur Tageszeitung Die Welt.

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