Kolumne Blagen: Das Herz schlägt links? Ach so!

Das ist neu: Der Ärztestand lässt jetzt Frauen als Beichtmütter zu. Aber sie müssen nackt sein.

Martin sagt immer: So was kann man sich nicht ausdenken! Er meint Begegnungen wie die mit der eindrucksvollen Transgenderperson, die sich im Berufsverkehr unter großem Kleidergeraffel erst mal schön den Schlüpper hochzieht. Oder die mit dem Penner, der mir vor dem taz-Gebäude den besten Fick meines Lebens anbietet im Tausch gegen Kleingeld. Fassungslos stehe ich vor derlei Ereignissen und den sie auslösenden Personen, die man sich - Martin sagte es bereits - nicht ausdenken kann.

Acht Uhr morgens in Ostberlin, ich habe einen Termin zum Herz-Ultraschall. Oben ganz freimachen, sagt die Schwester, schon mal hier hinlegen, Gesicht zur Wand, der Doktor kommt gleich. Ich liege und grübele über die Möglichkeit nach, dass irgendetwas nicht in Ordnung sein könnte, da entert - kantipper, kantapper - der Doktor auf Holzpantinen den abgedunkelten Raum. Es ist ein ganz kleiner Doktor ausgangs des sechzigsten Jahrzehnts, das erkenne ich, als ich den Kopf wende. Er sächselt leicht. Sein spärliches, schwarz gefärbtes Haar hat er sich kunstvoll über den kleinen Doktorkopf drapiert.

Beherzt greift der Doktor zum Ultraschallkopf und rammt ihn mir unter die linke Brust. Auf dem Bildschirm sieht man mein Herz pumpen. Der Doktor fragt nach Beschwerden, wir fachsimpeln ein bisschen über Stiche, Luftknappheit, Angst. Keine leichte Sache, so nackt und ausgeliefert an einem dreckigen Ostberliner Novembermorgen.

Dann fragt er, was ich beruflich mache. Ich sage es. Und bereue. Denn nun macht es sich der Doktor erst mal bequem, er lehnt sich gegen meinen ihm zugewandten Hintern, sein Unterarm findet Halt in der Taille, der Ultraschallkopf wird sich in den nächsten dreißig Minuten kaum bewegen. Denn der Doktor ist - erstens - erfreut: Oh, sächselt er, Journalistin, eine interessante Frau also! Und er möchte - zweitens - jetzt gern mal ein bisschen erzählen.

Während meine Herztöne - knurzeldiknurz - den Raum erfüllen, erzählt er mir sein Leben: FDJ-Karriere, wie man ihn gezwungen hat, in die SED einzutreten … er übt also jene Handarbeit aus, die man Widerstandsbiografiestricken nennt.

Ich war immer dagegen, so der Tenor von derlei Storys - habe unter Zwang Medizin studiert, stets missbilligend an Parteiversammlungen teilgenommen und mein eigentlicher Berufswunsch war Dissident. (Nein, das hat er nicht wirklich gesagt.) Und heute bin ich auch dagegen. Was dieses Land heute braucht, ist eine Partei links der Linken.

Der Schallknopf wandert an meinem Busen herum, der Drucker spuckt Bilder. Ich liege da wie eine nackte Beichtmutter, heuchele Interesse, unsere Gesprächssituation ist doch recht ungleichberechtigt. Irgendwann frage ich ihn direkt nach dem Befinden meines Herzens. Und was sagt der verhinderte Widerständler? Das Herz schlägt links, meine Dame, links! Und da schlägt es sehr ordentlich, kurzum, Sie können gehen.

Ich frage noch mal nach: Was ist mit den Schmerzen? - Drehen Sie sich mal auf den Bauch, fordert er mich auf. Beherzt flutschen die Doktorfinger zwischen meine Rückenwirbel, das tut weh, ich jaule auf. Höho hoho, freut sich der Herzspezialist, Sie sind ja richtig erregbar!

Ich schüttele mich, ziehe mich an, verabschiede mich. Was ist passiert? So was kann man sich doch nicht ausdenken. Sagt auch Martin.

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1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.

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