Kolumne Blicke: Auf den Hund gekommen

Wenn Journalisten über den Leser nachdenken, kommt schon mal ein Kretin dabei heraus. Die Doppeldeutigkeit dieser Aussage ist eventuell beabsichtigt.

Verehrter Leser, lieber junger Hund!

Finden Sie diesen Einstieg gelungen? Oder interessieren Sie sich als taz-Leser eh nur für Ausstiege? Wenn man Sie „junger Hund“ nennt – fühlen Sie sich dann überhaupt angesprochen? Ich ja nicht.

Ich bin kein junger Hund. Ich bin ein mittelalter Mensch. Und ein Leser – zum Beispiel hin und wieder des „Fachmagazins für Journalisten“ medium. In der aktuellen Ausgabe wird über einen Workshop des „Reporterforums“ berichtet. Das ist ein Branchentreffen in Hamburg. Spiegel-Redakteur Cordt Schnibben wird von dort mit dem Satz zitiert „Man muss sich den Leser heute als jungen Hund vorstellen.“ Und das Magazin fragt seine Leser: „Wie also dressiert man das Hündchen?“

Cordt Schnibben findet aber nicht nur, dass Sie, lieber Leser, ein junger Hund sind; er findet auch, dass Sie „der schlaue Hund“ sind, der heute alle Tricks der Reporter schon kennt. Und deshalb „müssen wir schlauer sein als der Hund“.

Der Schnibben’sche Hund ist ein ruheloses Kerlchen. Er „will lieber rumspringen“ als lesen, möchte lieber „Facebook-Games spielen“ als aus einem Text etwas erfahren, er vermag überhaupt nicht „still zu sitzen“, er sehnt sich nach „Rumtwittern oder Youtubegucken“. Er ist also, kurz gesagt, ein Kretin: jemand, den man beruhigen muss, sedieren, bannen; verzaubern, bezirzen, austricksen.

Aber warum darf der arme junge Hund nicht das tun, was er eigentlich tun möchte? Vielleicht ist er mit all seinen Ablenkungen ja besser bedient, unterhalten, informiert? Warum soll er eine Spiegel-Reportage lesen? Oder eine Seite drei der SZ? Oder eine Seite 5 der taz? Weil der Einstieg so catchy ist? Und die Spannungskurven stimmen?

Wenn ich jetzt sage: wegen dem, was in der Seite drinsteckt an Information, an Schönheiten, an Stil und Radikalität des Autors – oute ich mich dann als böswillig, konservativ oder schlicht geistig nicht ganz auf der Höhe? Gilt die Schnibben’sche Dramaturgieschule nicht sowieso auf der Grundlage, dass ein Text etwas Lesenswertes enthalte? Und geht es dem Spiegel-Mann und ehemaligen Werbetexter nicht eben darum, diesen „Content“ an den zeitgenössischen Zwei- oder Vierbeiner zu bringen?

Dass die innerjournalistische Dramaturgiediskussion auf den Leser als Hund gekommen ist, scheint mir ein Zeichen von Verzweiflung zu sein. Wie immer, wenn Formen sich erschöpft haben, versucht man durch Normung und Verschulung die Sache zu retten. Im Theater hat man inzwischen begriffen, dass man zurück zum Körper, zum Flow muss. Die gedrechselte Reportage, wo man immer schon weiß, dass der Protagonist vom Anfang am Ende wiederauftauchen und die Sache „rund“ machen wird, ist ein gelutschter Drops.

Vielleicht kann man ja mal wieder über einen nicht unkryptischen Satz von Hans Fallada nachdenken: „Das Leben hat alles, was gebraucht wird.“ Also auch seine eigene Dramaturgie – mit klarem Einstieg und Ausstieg.

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Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.

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