Kolumne Damals bei uns daheim: „Ich bin durch“

Telefonieren war früher Schwerstarbeit. Hatte man wen erreicht, mussten alle was in den Hörer sagen. Nicht eine Sekunde durfte verlorengehen.

Ein altes graues Wählscheibentelefon auf einem braunen Furniertisch.

Telefoniert wurde nur am Sonntagabend, da war das Telefonieren noch billiger Foto: photocase / Mr. Nico

Vor der Anschaffung eines Fernsehgeräts bildete der Telefonapparat das logistische und spirituelle Zentrum unseres Stiefzuhauses. Waschmaschinenschwer thronte das eiterfarbene Ungetüm auf einem altarähnlichen Schrein im Flur.

Das Wählen dauerte länger als die Ziehung der Lottozahlen – und wie ein Lottogewinn war es auch, traf man die gewünschte Nummer, denn meist blieb die Wählscheibe auf ihrem langen Weg zurück zur Ausgangsposition mit schürbelndem Geräusch irgendwo hängen. Dann konnte man wieder von vorn anfangen.

Egal, ob man anrief oder angerufen wurde, so galt immer die ungeschriebene Regel: Der Mann geht ans Telefon. Denn das Telefon war Technik, und Technik war Männersache.

Außerdem konnte man ja nie mögliche Gefahren ausschließen – im Grunde konnte alles jederzeit explodieren. „Ich bin durch“, verkündete Stiefvater stolz, sobald er das Freizeichen vernahm. Er war schweißüberströmt. „Jetzt geht jemand ran“, zischte er schließlich, und alle jubelten.

Holzleitungen

Wir schrien derart laut in den Hörer, dass es stattdessen auch gereicht hätte, einfach das Fenster aufzureißen.

Vermutlich wäre so die Tonqualität sogar besser gewesen, denn durch die Holzleitungen drang vom Geschrei am anderen Ende nur ein hohles Blubbern wie von einem Ertrinkenden ans Ohr, selbst wenn der Gesprächspartner zwei Häuser weiter wohnte – rein hypothetisch natürlich, denn unter zehn Kilometern Entfernung ging man zu den Leuten hin und sprach mit ihnen. Denn Sparen galt als die höchste Tugend, noch vor Keuschheit, Fleiß und Antikommunismus.

NSU war damals eine angesehene Automarke in einem grauen Land, in dem der Weiße Riese und schwarze Pädagogik herrschten. Die Serie über eine Kindheit in der Westzone zwischen Umweltverschmutzung, Pellkartoffeln und Kaltem Krieg.

Daher mussten alle reihum in den Hörer sprechen, bis die zehn guten Pfennige, die ein Ortsgespräch nach achtzehn Uhr immerhin kostete, abtelefoniert waren – egal ob mit guten Bekannten oder völlig Fremden. Das war nicht anders als mit dem wöchentlichen Badewasser, es durfte ja nichts verschwendet werden.

Leider gab es noch nicht viele Gesprächsthemen. Deutsch war ja immer die Sprache der Forschung, des Geistes und der Mordkunst gewesen. Kommunikation im Sinne von eitlem Geschwätz musste man erst widerwillig von den Besatzern lernen, wollte man in der neu geordneten Welt nicht gleich wieder den Anschluss verlieren.

Telefoniert wurde, außer in Notfällen wie Sturmflut oder Reichstagsbrand, nur am Sonntagabend, da war das Telefonieren noch billiger. Allein die Reichen hielten sich nicht daran. Man wusste ja, dass sie eigene Arschpickelausdrücker und Leibnasenhaarbrenner beschäftigten. Doch als obszönster Ausdruck ihrer Macht galt, dass sie ohne Ansehen der Tageszeit, sooft und solange sie wollten, telefonierten.

Fräulein von Amt

Bei Auslandsgesprächen half ein Fräulein vom Amt. Aber wir riefen ohnehin nie im Ausland an. Erstens kannten wir da keinen, zweitens war es zu teuer, und drittens meldeten die Ausländer sich ja auch nicht bei uns.

Wahrscheinlich waren „die Tröpfe noch immer wegen des Kriegs beleidigt“, wie Stiefvater erklärte. Aber wir hätten sie sowieso nur verstanden, wenn sie Latein oder Altgriechisch gesprochen hätten, die einzigen Fremdsprachen, die meine Stiefeltern in der Schule gelernt hatten.

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