Kolumne Der Zuckerberg Teil 19: #WirSindMehr ohne Profilbild

Wer Facebook-Kommentare über die Vorfälle in Chemnitz liest, bekommt Probleme mit dem Blutdruck. Da ändern auch nette Profilbilder nichts.

Rechtsextreme demonstrieren in Chemnitz mit Deutschlandfahnen

Wer nicht sofort tot umfallen möchte, sollte beser keine Facebook-Kommentare zu Chemnitz lesen Foto: dpa

Es war erst Anfang September, morgens las ich Martensteins Kolumne im Tagesspiegel und dann weitere Kommentare zu Chemnitz auf Facebook. Die Werte, die diese garstige Mixtur bei meinem Blutdruck auslöste, kannte ich bislang nur vom Drehzahlmesser unseres Kleinwagens.

Manche Diskussionen in meiner Timeline setzten erstaunliche Schwerpunkte. Scheiß auf die Nazis, denn nichts schien einigen wesentlicher als die suggestive Frage, ob und wie viele und wie lange Hetzjagden auf Ausländer es in Chemnitz wohl gegeben haben mag. Wo denn die Belege seien? Hier zeigten kritische Köpfe, dass sie sich nicht manipulieren ließen. Die zweck- und moralbefreite Demonstration des eigenen Scharfsinns, der sich von der plumpen Panikmache der Empörten abhob, war geistige Onanie in Reinform.

Es gab den „friends“ zu wenige belegte Hetzjagden. Gut, dass speziell am ersten Abend vor allem freie Journalisten und Fotografen, die den trägeren Massenmedien zuvorkamen, in Scharen die Flucht ergreifen mussten, und nicht zuletzt daher oft die Bilder fehlten.

Gut zum anderen auch, dass es nach dieser Logik nur winzige Hetzjägdchen gab, von kleinen flauschigen Nazis auf Ausländer, die daran so viel Freude hatten wie ein Kind, wenn es vom Papa durchgekitzelt wird. Familien waren ja auch da. Gut also, dass lediglich „Sieg heil“ und „Ausländer raus“ gebrüllt, familiär Flaschen geworfen und Pyro gezündet, Leute beleidigt und bedroht, Hitlergrüße mit und ohne nackten Arsch gezeigt wurden. Sonst fast nichts.

Schwamm drüber und frisch­auf zur Tagesordnung. Viel wichtiger war es doch, kritisch aufzuzeigen, wie die westlich gesteuerten Systemmedien alles nur noch schlimmer machten, wie sie die besorgten Bürger diffamierten und somit quasi im Alleingang radikalisierten: die Hetzjagdlüge, der Maaßenaufschrei, die Nazikeule. „Tagesschau“ und Konsorten waren so gesehen eigentlich die Hauptschuldigen an den Ausschreitungen, neben den Unisex-Toiletten, den Radfahrern und natürlich Merkel. Das wird man ja wohl mal hinterfragen dürfen.

Facebook. Ein alter Hut zwar, doch mit vielen bunten Federn. Angesichts der versammelten Pracht von Schreiadler, Vollmeise, Schluckspecht, Trollvogel sowie praktisch sämtlichen Kauzarten, soll diese Serie für den nötigen Durchblick sorgen.

Wie so viele andere den Schriftzug #Wirsindmehr über mein Profilbild zu legen, habe ich jedoch nicht über mich gebracht. Ich mache das nie: keine Frankreichfahne und je ne suis pas Charlie, gar nichts – ich denke einfach so dran, ohne entsprechendes Profilbild. Auch wenn ich nun dastand wie der Unhold, der sich beim Massentest fast als Einziger weigert, seine DNA-Probe abzugeben: Bloß ich und diese schwärenden Stacheln im Fleisch der Staatspresse. Feine Gesellschaft, aber das ist eben Facebook.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Seit 2001 freier Schreibmann für verschiedene Ressorts. Mitglied der Berliner Lesebühne "LSD - Liebe statt Drogen" und Autor zahlreicher Bücher.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.