Kolumne Die eine Frage: Verdammt kurz her

Sind Sie der letzte Rock'n Roller von Rot-Grün, Herr Niedecken? Eine Begegnung mit dem BAP-Chef nach seinem Schlaganfall.

Wolfgang Niedecken hat ein neues Album aufgenommen. Bild: dpa

Als Wolfgang Niedecken nach einem Schlaganfall erwachte, dachte er als Erstes: „Geil, gibt noch ’ne Zugabe.“ Reden konnte er da noch nicht. Zwanzig Monate später. Ein Indian-Summer-Abend in Berlin-Kreuzberg, nahe Oberbaumbrücke.

Niedecken, der BAP-Chef, in Blau-Grau. Jeansjacke und Jeanshose sind blau, Haare und Kinnbart grau. Dazu weiße Turnschuhe und eine schöne Bräune. Er sieht gut aus. Grau und gut. Also gleich mal gnadenlos drauf. Sind Sie der letzte Rock ’n’ Roller von Rot-Grün, Herr Niedecken?

„Aaaaaaah.“ Hat er doch Schmerzen? Nur wenn ihm einer mit Wahlkampf kommt. Fürs Protokoll: Es bleibe richtig, dass BAP im Wahlkampf 2002 für Schröder (Rot) und Fischer (Grün) am Brandenburger Tor gespielt haben. „Aber diesmal geht es nicht um Krieg oder Frieden“, sagt er. Gehört also offenbar zu denen, die dieser oder irgendeiner Bundestagswahl keine allzu große Bedeutung beimessen. Vor allem glaubt er inzwischen nicht mehr, „dass es Sinn macht, sich ersatzweise für die Leute die Gedanken zu machen, wen sie wählen sollen“. Also anderes Thema, bitte.

BAP, wir erinnern uns, wurde ab 1982 wichtig und berühmt, mit Songs über Niedeckens erste Frau Carmen, die Sprachlosigkeit zwischen (Post-) 68ern und ihren Eltern („Verdamp lang her“), Raketenwahnsinn („Zehnter Juni“), über alte und neue Nazis („Kristallnaach“) und interessanterweise auch über grünen Tugendterror („Müsli-Man“). Niedecken speiste dazu in den öffentlichen Diskurs, was seiner Meinung nach gesagt werden musste, und engagierte sich politisch und humanitär. Was ihm Respekt, aber auch jede Menge Hohn eingebracht hat.

Es reicht

Im November 2011 erwischte ihn der Schlaganfall, zu Hause beim Lesen von Faulkner (darunter macht er es nicht). Es lag nicht an zu viel Rock ’n’n Roll. Ein dämlicher Husten hatte ein Blutgerinsel in der Halsschlagader ausgelöst. Seine Frau Tina kam zufällig oder schicksalhaft ins Zimmer und rettete ihn. Als sie am Krankenbett darauf wartete, dass er aufwacht, fragte sie sich, wie sie ihn zurückbekommen würde.

Und, was hat sich verändert? Zum einen habe er eine entscheidende Erkenntnis gewonnen, sagt er. Sie lautet: „Ich habe keine Zeit mehr zu verplempern.“ Niedecken ist im Grunde wohl ein ziemlich gutmütiger Mensch und wartete immer lieber ab, ob Dinge sich nicht von selbst erledigten. Jetzt sagt er schneller, dass es reicht, wenn es reicht. Und öfter nein.

Wird das Interesse an Politik und der Außenwelt kleiner, wenn man fast schon tot war? Nein, sagt er. So nicht. Zum einen hat er vier Kinder, zwischen neunundzwanzig und siebzehn, zwei Söhne aus der ersten, zwei Töchter aus der jetzigen Ehe, für deren persönliche Zukunft er tun wolle, was er könne. Dazu gehöre die Frage, welche Welt er seinen Kindern hinterlasse und „ob ich da noch was drehen kann“.

Zum Zweiten habe sich seine Perspektive erweitert. „In die Zeit, in der ich mal nicht mehr bin.“ Diese Zeit gab es vorher nicht. Niedecken ist jetzt zweiundsechzig Jahre alt und schaut, ob und dass er „sein Haus bestellt hat“. Er hat eine Patientenverfügung gemacht. Er will ein Testament aufsetzen.

„Zosamme alt“

Mit „Hope I die before I get old“ brauchte man ihm nie kommen. „Wenn man jung ist, kann man weiß Gott was sagen“. Er litt an der damals üblichen Überdosis Selbstgerechtigkeit und beschimpfte seinen Vater jahrelang als Nazi-Mitläufer. Bereut er heute. Aber er ist gleichzeitig auch „so viel jünger als viele seiner Kritiker“, wie der Kritiker Eric Pfeil schrieb, „weil es ihm nie peinlich war, zuzugeben, wie viel ihm der ganze Quatsch mit dem Rock ’n’ Roll wirklich bedeutet“. Das Werk von Bob Dylan und Ray Davies. Seine Freundschaft zu Bruce.

Seit Freitag gibt es ein Soloalbum, das „Zosamme alt“ heißt, zusammen alt, und das er in Woodstock aufgenommen hat. Ausgerechnet. Es besteht nur aus Liebesliedern an seine heutige Frau, die er neu aufgenommen hat. Mit amerikanischen Musikern, ohne elektronische Instrumente. Und um etwas aus sich herauszukitzeln, was im BAP-Kontext nicht da ist. Der Titelsong des Albums ist neu und sehr ergreifend. Darin beschreibt Wolfgang Niedecken den Moment, in dem er in seinen nächsten Lebenszyklus gezwungen wurde und in ein entschlosseneres Denken.

Der Sommer seines Lebens hatte im Juli 1974 begonnen, mit seinem Kunstexamen und sintflutartigem Regen am Tag des WM-Halbfinals gegen Polen. Davor war Frühling. „Ich dachte dann, es sei ewig Sommer“, sagt er ohne besondere Schwingung in der Stimme, „und mit einem Mal war es Herbst geworden.“ Das war seine zweite Erkenntnis, nachdem er wieder aufgewacht war. Ich sage automatisch: „Der Herbst hat auch noch schöne Tage.“ Und er: „Der goldene Oktober, genau.“ Und ich: „Jetzt ist erst mal September.“

Wir lachen beide. Im Herbst erlebt man einen Sonnentag einfach intensiver und bewusster als im Sommer. Klare Verbesserung. Aber später fallen Blätter auf die Straße, und dem unverwundbar strahlenden Folk-Helden Christian Ströbele hat jemand einen Hitlerbart aufs Wahlplakat geschmiert.

Da kann selbst die coolste Sau noch melancholisch werden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.