Kolumne Die eine Frage: Was wird aus Özdemir?

In der richtigen Welt würde Robert Habeck jetzt Partei- und Cem Özdemir Fraktionsvorsitzender. Bei den Grünen nicht.

Ein Mann, Cem Özdemir

Cem Özdemir auf dem Grünen-Parteitag am 25. November 2017 Foto: dpa

In der richtigen Welt wäre jetzt völlig klar, dass Robert Habeck Parteivorsitzender wird und Cem Özdemir Fraktionsvorsitzender. Zwar haben sich die Grünen bei den Sondierungen als zukunftsbereite Partei inszeniert, die fähig ist, für die zentralen Politikfelder Sozialökologie, Europa und liberale Gesellschaft tragfähige Kompromisse mit Andersdenkenden zu schließen, aber im Ergebnis ist man wohl die kleinste Partei in der Opposition. Also die Besten nach vorn?

Schleswig-Holsteins Vizeministerpräsident Habeck ist Herz und Hirn eines anschlussfähigen Politikwechsels mit sozialökologischer Perspektive, Spitzenkandidat Özdemir für weite Teile der nicht grün wählenden Leute (und das sind nun mal die meisten) ein Staatsmann, der ihr Vertrauen hat. Oder schlicht der einzige Bundesgrüne, den sie überhaupt kennen.

Wie will man der mediengesellschaftlichen Irrelevanz entkommen und gleichzeitig eine anschlussfähige politische Gestaltungsperspektive anbieten, wenn man nicht die zwei Geeignetsten nach vorn stellt und als Kern eines neuen strategisch-operativen Zentrums begreift? Selbst wenn man mit Grünen redet, die das genauso sehen, erzählen sie stundenlang, warum das nicht geht.

Die Grünen-Weltlogik

Also Habeck, okay, da werde man sich mit ihm hoffentlich so einigen, dass es die Statuten nur dehnt, aber nicht verletzt. Und, klar, Özdemir sei landauf, landab der beliebteste Bundesgrüne. Aber das gehe ja wegen der diversen Quotierungen nicht und wegen der machtstrategischen Züge, die andere innerhalb der Grünen-Weltlogik ziemlich perfekt gemacht haben. Konkret: Das Bündnis der derzeitigen Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt (Frau, realagrün) und Anton Hofreiter (Mann, linksgrün) sichert beide ab – und Bienenkönigin Göring-Eckardt ist nach jetzigem Stand so eisern, dass der als Realomann etikettierte Özdemir nicht gewählt werden kann.

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Warum das mit Habeck nicht längst geklärt ist; warum das bekannteste Gesicht in die dritte Reihe rücken und der Rest einfach weitermachen soll: ein normaler Mensch kann das alles unmöglich verstehen. Aber das tut nichts zu Sache. Die Grünen sind schon wieder vollauf damit beschäftigt, die Zentrifugalkräfte in der eigenen kleinen Welt auszubalancieren. Das war das zweite Leitmotiv des jüngsten Parteitags neben der perspektivlosen Selbstbegeisterung. Das Auseinanderdriften, die Konzentration auf das Eigentliche, nämlich das Eigene, das sich in dem rhetorischen Beschwören der neuen Harmonie verbergen wollte und genau dadurch offenbarte. Die einen brauchen ihren Dogmatismus, den sie ironischerweise als Fortschrittstradition pflegen, damit ihre kleine Welt nicht aus den Fugen gerät. Und die anderen haben sich abgefunden. Oder täusche ich mich?

Wenn man beim Grünen-Parteitag zuhört, dann ist man mal in der kleinen Grünen-Welt selbstgerechter Hohepriester der Dogmatik und eines merkwürdigen ethischen Überlegenheitsanspruchs, aber dann auch wieder in der realen Welt komplexer politischer Kompromisse. Die Aufgabe ist nicht, sich „treu“ zu bleiben, sondern eine neue sozialliberalökologische Antwort zu suchen auf die radikalen Veränderungen der deutschen und europäischen Gesellschaft, die Marginalisierung der nur noch eingeschränkt funktionierenden Volksparteien und die eigene Niederlagenserie. Robert Habeck macht mit seiner Partei in Schleswig-Holstein genau das. Die ganz große Antwort gibt es übrigens auch schon, das will ich ausnahmsweise hier mal sagen. Sie kommt von Winfried Kretschmann.

Das zu ignorieren ist das eine. Aber es jetzt Cem Özdemir büßen zu lassen, das wäre wirklich lower als low.

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Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried

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